Meinungsstark verknüpft, prominent veröffentlicht
Bekannte Gesichter in ungewohnter Umgebung. Anstatt auf großen Leinwänden oder Zuhause im TV, zeigen sich viele deutsche Schauspieler*innen in Zeiten der Corona-Pandemie im Netz. Im Zuge der jüngsten Aktion #allesaufdentisch entstanden 70 Videos, in denen neben den mehr oder weniger bekannten deutschen Theater-, Film- und Fernsehschaffenden auch Expert*innen vieler Disziplinen zu Wort kommen. Menschen aus den Bereichen Medizin, Virologie, Epidemiologie, Psychologie, Rechtswissenschaften, Ökonomie und Ethik diskutieren in ungefähr 20-minütigen Gesprächen mit jeweils einem oder einer Künstler*in verschiedene Themenkomplexe, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehen. Dabei sollten vor allem Dinge thematisiert werden, die laut den Teilnehmer*innen der Aktion in der öffentlichen Debatte unter den Tisch fallen.
Mit einem „breitgefächerten, faktenbasierten, offenen und sachlichen Austausch“ starten die Akteur*innen einen neuen Versuch, nach dem die Kampagne #allesdichtmachen auf reichliche Kritik stieß. Ende April veröffentlichten die deutschen Theater-, Film- und Fernsehschaffenden kurze Videos, in denen sie sich satirisch über die Corona-Maßnahmen äußerten und diese als unverhältnismäßig darstellen. Die Kritik kam damals nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern auch aus den eigenen Schauspielreihen. Unter anderem Nora Tschirner wirft ihren Kolleg*innen vor allem eines vor: Zynismus. Neben der teilweise heftigen Kritik führten vermutlich auch Verbindungen einzelner Akteur*innen zur Querdenker-Szene dazu, dass viele Teilnehmende den Entschluss fassten, ihre Videos wieder offline zu stellen. Trotzdem betonten die Beteiligten beider Aktionen, dass es sich bei der Zusammenstellung um „keine feste Gruppe, sondern um einen losen Zusammenschluss von Menschen“ handelt. Auch gibt es „keine gemeinsame Stimme“. Das Projekt sei kollektiv entstanden und auch die Meinungen der jeweiligen Teilnehmer*innen sind verschieden.
Die Aufregung der Künstler*innen kommt nicht unerwartet. Die Unterhaltungs- und Kulturbranche litt wie kaum eine andere unter den Folgen der Pandemie. Kinos, Theater- und Konzertsäle blieben monatelang leer. An überschüssiger Zeit und vermutlich auch Frust fehlte es den Künstler*innen somit wohl nicht.
Woher kennen sich die Akteur*innen?
Bei einer Aktion, die so große Wellen schlägt, stellt man sich die Frage, wie so etwas zustande kommt und ob die Teilnehmer*innen sich schon vorher kannten. Wie haben die Schauspieler*innen von der Kampagne Wind bekommen und sich entschieden, ein Teil davon zu werden, bevor die Videos online kamen? Ist die persönliche Bekanntschaft oder der gemeinsame Beruf der Auslöser, der alle zusammengebracht hat oder steckt etwas anderes dahinter? Bei der Betrachtung und Analyse des Netzwerkes der #allesdichtmachen-Kampagne fallen viele verschiedene Verbindungen ins Auge. Was man auf den ersten Blick erkennen kann, ist, dass sich fast alle Akteur*innen schon vor der Aktion kannten oder sich zumindest schon mal gesehen haben. Die einzige Ausnahme ist hierbei Claudia Rippe, bei der keine Verbindung zu einem anderen Mitglied festgestellt werden konnte.
Der Großteil der Verbindungen zwischen den Schauspieler*innen ist durch gemeinsame Film-, Serien- oder Theaterprojekte entstanden. Wenn man diese Projekte der verschiedenen Schauspieler*innen anschaut, fällt auf, dass viele schon in gleichen Filmen gespielt haben. Das lässt annehmen, dass sie sich am Set auch kennengelernt haben. Auffällig ist auch, dass ein besonders großer Teil der Akteur*innen schon einmal in einem Tatort mitgespielt hat. Von den insgesamt 52 Akteur*innen haben nur 13 noch nie in einem Tatort mitgespielt. Dies könnte also ein Grund sein, der hinter der gemeinsamen Teilnahme an der #allesdichtmachen-Kampagne steckt.
Zusätzlich konnten auch Verbindungen durch gemeinsame Agenturen festgestellt werden, da die meisten Akteur*innen bei einer Agentur angemeldet sind. Wenn man die Agenturen der Mitglieder betrachtet, sticht die „Players Agentur Management GmbH“ hervor, in der insgesamt 9 Mitglieder der #allesdichtmachen-Kampagne unter Vertrag sind. Auch dadurch könnte eine Bekanntschaft entstanden sein.
Daneben fällt auf, dass viele Mitgestalter*innen von #allesdichtmachen ihren festen Wohnsitz in Berlin haben. Durch den gemeinsamen Wohnort kann zwar nicht darauf geschlossen werden, dass die Schauspieler*innen sich wirklich kennen. Es könnte aber eine weitere Möglichkeit des Kontaktes sein.
Tatsächlich gibt es auch ein paar wenige Schauspieler*innen, die nachweislich eine private Beziehung zueinander haben. Darunter fallen zum Beispiel Martin Brambach und Christine Sommer, die verheiratet sind und sogar ein gemeinsames Video für die Kampagne hochgeladen haben. Außerdem haben auch Jörg Bundschuh und sein Sohn Joseph Konrad Bundschuh ein Video hochgeladen. In den beiden Fällen kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich zusammen für die Teilnahme entschieden wurde und das vielleicht der eine dem anderen davon erzählt hat.
Wichtig ist es anzumerken, dass die genaue Art der Verbindungen oder des vorherigen Kontakts nicht bekannt ist. Obwohl nur wenige private Verbindungen festgestellt wurden, scheint es so, als wären alle Teilnehmer*innen auf irgendeine Art und Weise vorher schon mal in Kontakt gewesen. Wie genau die Aktion dann aber auf die Beine gestellt wurde, ist unklar.
Aktivismus im Schauspiel
Die Schauspieler*innen und Regisseur*innen nutzten ihre Reichweite jedoch nicht nur für die Aktion #allesdichtmachen, sie sind auch in anderen Bereichen aktiv. Aktivismus im Schauspiel verbindet viele Filmschaffende miteinander. So auch im Fall der Satire-Aktion, denn die Akteure arbeiteten auch bei anderen Projekten zusammen. Die Aktionen sind häufig politisch, so beispielsweise auch „Los für Lesbos“. Mit beiden Initiativen sind die Akteur*innen des Videoprojekts #allesdichtmachen verbunden.
Die Spendenaktion „Los für Lesbos“ unterstützte die Organisationen und Initiativen an der europäischen Außengrenze. Außerdem organisierten die Teilnehmer*innen öffentlichkeitswirksame Aktionen, um den politischen Druck auf nationaler und europäischer Ebene aufrecht zu erhalten. Nach dem Brand des Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos im September 2020 startete die Spendenaktion im Dezember 2020 in die zweite Runde. Dabei waren Volker Bruch und Trystan Pütter die Initiatoren der Aktion. In der ersten Runde des Projekts sammelten sie, nach Angaben von Bruch, etwa eine halbe Million Euro Spenden für die Geflüchteten an der europäischen Außengrenze. Mit einer Spende hatte dabei jede*r die Chance einen Gegenstand einer prominenten Person zu gewinnen, etwa von Daniel Craig, Jürgen Klopp oder Elyas M`Barek. Durch einen transparenten Prozess wurde außerdem garantiert, dass das gesammelte Geld in Projekte fließt, die eine Veränderung bewirken. Volker Bruch und Trystan Pütter riefen auch das Videoprojekt „Fakten gegen Vorurteile“ ins Leben, das parallel zur Aktion „Los für Lesbos“ lief. Dabei klärten einige Filmschaffende über Vorurteile zu den Themen Asyl und Migration, mithilfe von kurzen Videos, auf. Neben Bruch und Pütter war auch Vicky Krieps an der Aktion „Los für Lesbos“ aktiv beteiligt und stellen eine Verbindung zwischen dieser und der Aktion „Changemaker“ dar, da sie hier Teil Unterzeichnenden der Aktion sind.
Die Aktion „Changemakers.film“ beschäftigt sich damit die Filmbranche klimafreundlicher zu gestalten. Die Initiatoren fragten sich, welchen Beitrag sie leisten können, um die Filmbranche klimaneutraler zu gestalten. Dabei wurden eine freiwillige Selbstverpflichtung und eine Erklärung von Filmschaffenden zum Thema „grünes Drehen“ ausgearbeitet, da bis dahin eine klare Positionierung von Seiten dieser gefehlt hatte. Mit der Erklärung formulierten sie den Idealzustand vom „grünen Drehen“. Ziel der Aktion ist es, auf nachhaltige Filmproduktionen aufmerksam zu machen und die Chance zu nutzen, um die Ziele und Visionen einzubringen, damit die Filmindustrie nachhaltig verändert werden kann. Sie wollen gemeinsam auf eine grünere Filmbranche hinarbeiten. Neben Vicky Krieps, Volker Bruch und Trystan Pütter zählten auch Manuel Rubey, Kostja Ullmann, Peri Baumeister, Miriam Stein, Felix Klare, Heike Makatsch, Inka Friedrich und Karoline Teska zu den Unterzeichnenden. Diese elf Filmschaffenden veröffentlichten auch für #allesdichtmachen jeweils ein Video. Die Schauspieler*innen sind somit nicht nur über gemeinsame Filme, Serien oder Wohnorte verbunden, sondern auch durch gemeinsames politisches Interesse.
Es wird deutlich, dass Aktivismus und Schauspiel klar zusammenhängen. Die Schauspieler*innen und Regisseur*innen nutzen ihre Reichweite auf verschiedene Arten, um auf Missstände oder bestimmte Themen hinzuweisen. Die Aktion #allesdichtmachen stieß auf größtenteils negatives Feedback des Publikums. Etwa die Hälfte der veröffentlichten Videos sind nun nicht mehr öffentlich zugänglich und einige Akteure*innen veröffentlichten Statements zu dieser Aktion oder distanzierten sich im Nachhinein. Jedoch war das Ziel der Aktionen „Los für Lesbos“ und „Changemakers“ aktiv einen Unterschied zu schaffen, die Beteiligten halfen gezielt dabei Geld zu sammeln oder auf eine Veränderung hinzuarbeiten. Im Gegensatz dazu war #allesdichtmachen eine reine Video-Aktion, die auf satirische Weise versuchte auf die Missstände während der Pandemie hinzuweisen.
Dieser Artikel bezieht sich auf eine Netzwerkanalyse der Verbindungen von 52 deutschen Schauspieler*innen und Regisseur*innen, die Ende April 2021 mit der Initiative #allesdichtmachen an die Öffentlichkeit gingen. Mit ironisch-satirischen Clips auf YouTube äußern sie ihre Kritik gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Um repräsentative Verbindungen unter den Akteuren außerhalb der Initiative darzustellen, wurden die Filmografie und persönliche Steckbriefe untersucht. Erfasst wurden gemeinsame Filme, Serien, Aktionen, Wohnorte, Agenturen und mehr.
Der vollständige Forschungsbericht mit allen Quellen, die wir für unsere Recherche genutzt haben, ist auf Github hinterlegt.