Jeder, der in den Ring steigt, hat sofort meinen Respekt, weil ich weiß, wie viel Mut man dafür aufbringen muss.
Durchboxen statt Aufgeben
Lucas, als Vierzehnjähriger hast du zu Boxen begonnen – jetzt bist du 18. Welchen Rat würdest du dir selbst geben, wenn du mit dem Boxanfänger Lucas sprechen könntest?
Lebe deinen Traum und lass dich von niemanden einschüchtern, sonst verlierst du dich.
Zuerst war Fußball deine große Leidenschaft, bis du dir einen Knochen im Rücken angebrochen hast. Wurde dir die Sportart dadurch unmöglich oder wieso hast du aufgehört?
Ich habe lange die Bank gewärmt und meinem Team vom Spielfeldrand zusehen müssen. Erst nach einem Jahr durfte mein Trainer mich wieder einwechseln. Die eine Verletzung hatte ich auskuriert, dann habe ich mir im Spiel den Arm gebrochen. (Seufzt) Wieder so lange ohne Sport aushalten zu müssen, wieder und wieder – das Risiko war mir im Fußball einfach zu hoch.
Und ausgerechnet beim Kampfsport hast du weniger Angst vor Verletzungen?
Im Fernsehen lief eine Dokumentation über Muhammad Ali. Seine Bewegungen im Ring sahen so einfach aus, wie er in Deckung ging und zum Schlag ausholte. Das hat mich motiviert, ihn zum Vorbild zu nehmen.
Der Film zeigt die sportliche Karriere Muhammad Alis – Szenen von angeschwollenen Augen und blutigen Nasen.
Das sind für mich noch keine Verletzungen. Ein bisschen Blut ist schnell weggewischt und die Schwellung wird am nächsten Tag weniger. Ich denke, mit den richtigen Bandagen, Mundschutz und einer guten Deckung wird mir beim Boxen bestimmt nichts Schlimmeres passieren als beim Fußballspielen. Auf jeden Fall hatte ich bisher deutlich mehr Glück gehabt. (Lacht)
Vom Feld in den Ring: Wie haben deine ehemaligen Fußballkollegen auf den Umschwung reagiert?
Wenn sich Menschen einen Boxer vorstellen, denken sie wahrscheinlich an einen gefährlich aussehenden Typen, groß und krass muskulös – so konnte ich natürlich nicht mit 14 Jahren sein. Trotzdem waren Menschen aus meinem Umfeld überrascht, als ich von meiner neuen Sportart erzählte. Nicht unbedingt meine Mannschaftskollegen, eher damalige Mitschüler belächelten mich ein wenig dafür.
Was hat dich dazu angespornt, entgegen aller negativen Stimmen weiterzumachen?
Auf der Kirmes in Idar-Oberstein hatte ich einen meiner ersten Kämpfe. Für meine Aufwärmübungen habe ich Platz neben einem Würstchenstand gefunden. Wegen dem qualmenden Grill und natürlich vor Aufregung ist mir dort fast die Luft weggeblieben. Mir war klar: Wenn ich im Ring verliere, verliere ich allein und nicht wie auf dem Fußballfeld die ganze Mannschaft – das war ein völlig anderes Feeling. Am Ende des Kampfs würde ich für die Zuschauer entweder der Champ oder ein Niemand sein. Meine Gedanken waren lauter als der Lärm aus dem Publikum. Die einzigen Stimmen, die zu mir durchgedrungen sind, waren die meiner Eltern. Sie haben mich immer in allem unterstützt und bestärkt.
Einen Kampf stelle ich mir anstrengend vor – die ganze Zeit auf der Stelle hüpfen, abblocken und zum Schlag ausholen.
Je nach Altersklasse dauert ein Kampf sechs bis neun Minuten und glaub mir, in der kurzen Zeit kann man sich ganz schön verausgaben – körperlich wie mental. Es ist so, dass ich mir im Kampf immer überlege mit welcher Taktik ich den anderen am besten besiegen kann. Dasselbe tut mein Gegner. Trifft er mich ein paar Mal auf den Körper, steh ich mehr und mehr unter Druck. Besonders Schläge auf den Kopf nehmen mir die Puste. Das klingt vielleicht schmerzhaft, aber ist auch schön – a beautiful struggle.
Du baust viele englische Wörter in deine Sätze ein. Ich merke, der Umzug aus dem Westerwald nach North Carolina prägt dich deutlich.
Ich lebe hier bei meiner Gastfamilie und habe vor wenigen Monaten meinen Abschluss an der High School in Fayetteville gemacht. (Grinst und kramt seinen schwarzen Hut, mit dem viereckigen Dach und der Quaste hervor) Ums Englischsprechen kam ich nie drumherum. Einerseits wegen der Bildung, andererseits wegen dem Sport habe ich den Schritt nach Amerika unternommen. Hier darf ich bei den Warrior Saints boxen. Trainiert werde ich vom Präsidenten der Boxvereinigung in North Carolina höchstpersönlich. Daneben fördert mich noch ein Athletiktrainier, der mal MMA gekämpft hat. Ich werde also von zwei der Besten im Bundestaat trainiert – dafür schätze ich mich besonders glücklich.
Was steht denn auf deinem Trainingsplan, um beim Niveau der „Besten“ mithalten zu können?
Wir trainieren sechs bis sieben Mal die Woche, zwei bis drei Mal am Tag. Regelmäßig müssen wir 15 Meilen laufen, grob 30 Kilometer. Dann machen wir zwei Mal wöchentlich Sparring – Trainingskämpfe mit Vereinbarungen darüber, ob man zum Beispiel nur mit der rechten Faust ausholen darf. Am Wochenende besuchen wir andere Boxclubs und trainieren mit neuen Gesichtern. Es ist immer wieder aufregend, gegen jemand Unbekannten zu kämpfen, was der Situation im Turnier deutlich näherkommt.
Zu deinem Training gehört bestimmt auch eine gute Ernährung, oder?
Wenig Kohlenhydrate, kein Zucker, dafür viele Proteine und gute Fette wie Avocado und Erdnüsse. Salat essen kann ich ohne Ende, wie Wasser trinken, um meine Gewichtsklasse für die Turniere einzuhalten. Ich kämpfe im Mittelgewicht. Dafür darf man bis zu 75 Kilo schwer sein. Im Moment bin ich noch zwei Kilo drüber.
Also musst du bis zum nächsten Kampf abnehmen?
Muskeln verlieren möchte ich auf keinen Fall, daher ist Abnehmen das falsche Wort. Ich spreche da eher vom Entwässern. Mit meinem Saunaanzug schwitze ich mir zwei Tage vor dem Kampf einfach die wenigen Kilo weg.
Ich höre raus, wie diszipliniert du bist. Inwieweit hat sich dein Engagement bisher ausgezahlt?
Wenn man sein Training schleifen lässt, wird das im Ring auch schnell gestraft. Bisher hatte ich aber nur eine Niederlage von zwölf großen Turnieren, davon gingen zwei unentschieden aus.
Wenn man einmal so richtig einen draufbekommt, lernt man sich selbst und seine Grenzen kennen.
Welcher Kampf war dein größter Erfolg?
Mein erstes richtiges KO wahrscheinlich. Ich war in Florida – wow – da sind 400 Boxer auf dem zweitgrößten Turnier in Amerika gegeneinander angetreten. Die Teilnehmer aus Puerto Rico hatten blaurote Haare, wie ihre Flagge – das hat mich beeindruckt. Ich als „White Boy“ war eher unterbesetzt, also fielen die Blicke besonders mir zu. Voll aufgeregt bin ich dann gegen einen aus Puerto Rico in den Ring gestiegen. Die erste Runde ging hin und her, in der zweiten lag mein Gegner plötzlich flach auf den Boden. „What?“ In dem Moment wusste ich nicht, ob ich ihm aufhelfen sollte. Es ging so schnell. Der Schiedsrichter streckte meinen Arm in die Luft, ich hatte den Kampf gewonnen.
Möchtest du auch über einen deiner schlechtesten Momente im Kampf sprechen?
Es ist halt so, dass ich für den Sieg mehr Schläge austeilen muss als sie zu kassieren. So war es auf einem Turnier in der Nähe von Frankreich. Am Ende musste mein Gegner verarztet werden, während ich mit der Trophäe in der Hand dastand. Das war kein schöner Moment. Ich habe gehofft, dass es ihm schnell wieder besser ginge. Ich wusste aber auch, dass Schläge nun mal zum Kampfsport gehören und dass es etwas anderes war, als jemanden mit Absicht verletzen zu wollen.
Inwieweit hat Amerika rückblickend deine Boxkarriere gefördert?
Sehr, sehr viel. In Deutschland lernte ich die Basics, in Amerika entwickelte ich daraus verschiedene Techniken. Bei den Warrior Saints hatte ich erstmals gefühlt, dass Boxen tatsächlich mehr sein kann als nur ein Hobby. Meine Teammates und ich trainieren 24/7 zusammen, haben einen abwechslungsreichen Plan und aktive Trainer, die immer mehr Potential aus uns herauskitzeln wollen. Der Sport wird hier sehr ernst genommen. Damit möchte ich nicht sagen, dass es in manchen Clubs Deutschlands nicht so ist. Dennoch hätte ich einige Erfahrungen nicht machen können, wenn ich nicht nach North Carolina gegangen wäre.
Von welchen Erfahrungen sprichst du genau?
Ich bin hier gegen Leute angetreten, die so aussahen, wie die in amerikanischen Filmen. Je öfter ich an Wettkämpfen teilgenommen habe, desto weniger ließ ich mich davon einschüchtern. Durch den Sport habe ich einiges an Selbstbewusstsein dazugewonnen.
Wie geht es in den nächsten zehn Jahren weiter für dich?
Erstmal geht es wieder zurück nach Deutschland. Da werde ich Sponsoren suchen müssen und fleißig weiter trainieren. Sobald ich meine Greencard habe, möchte ich wieder zurück nach Amerika. Profiboxer mit meinen Trainern zu werden, ist auf jeden Fall das Ziel. Dann werde ich besonders stolz darauf sein, nie an mir gezweifelt zu haben.