"Ich habe mich erst nicht getraut"
„Bei Eurythmie lernt man seinen Namen tanzen“ – wie oft begegnet Ihnen selbst dieser Satz?
Eigentlich fast immer. In einem sehr „schlichten“ Umfeld kriegt man sofort den Spruch zu hören. Doch ich merke tatsächlich, wenn man sich mit Akademikern unterhält, dann kommt nicht der Spruch, sondern eher das Interesse, es näher zu erklären.
Was ist Ihre erste Reaktion darauf?
Ich reagiere mit Humor. Dann sage ich: „Ja genau, dann weißt du ja schon, was ich tue.“
Meistens kommt dann direkt die Frage, ob man es vormachen kann. Das mache ich nicht. Da sage ich dann: „Das macht 20 Euro pro Buchstabe.“
Für jemanden, der sich außer dem Klischee nichts darunter vorstellen kann, was ist Eurythmie in drei Sätzen?
Erstmal ist Eurythmie eine Bewegungskunst und kann in der Schule als Fach unterrichtet werden. Eurythmie macht letztendlich die Sprache und Musik sichtbar. In völlig verschiedenen Möglichkeiten.
Die Sprache sichtbar machen, wie muss man sich das vorstellen?
Wenn ich Sprache sichtbar mache, habe ich für jeden Laut eine Bewegung. Wir sagen bewusst nicht Buchstaben, da es nicht darauf ankommt, wie der Buchstabe in Schriftform aussieht, sondern wie der Laut klingt. Ein S ist deutlich bewegter als ein stumpfes B, die Dynamik von dem Klang wird in Bewegung umgesetzt.
Eurythmie steht auf dem regulären Stundenplan einer jeden Waldorfschule. Haben Sie selbst auch eine besucht?
Ich selbst habe keine Waldorfschule besucht, nein.
Hätten Sie sich in Ihrer Schulzeit so etwas gewünscht?
Ich bin generell ein totaler Bewegungsmensch und künstlerisch veranlagt. Deswegen war ich eher ein Kind, was gerne viel mehr solcher Fächer gehabt hätte. Ich hatte in der Grundschule Musik und Kunst und an der weiterführenden Schule dann gar keine Musik mehr. Man denkt, die Schüler müssen ihren Abschluss schaffen und daher sind die kognitiven Fächer das Wichtigste. Heute weiß man, und ich weiß vor allem auch aus meinen Beobachtungen, wie wichtig das Kreative ist.
Eurythmie an Kinder vermitteln ist genau das, was Sie selbst als Eurythmielehrerin jetzt täglich tun. Wie sind Sie auf diesen Beruf gekommen?
Ich habe mein Praktikum während des Fachabiturs in einem Waldorfkindergarten gemacht und war dort in einer integrativen Gruppe, wo auffällige Kinder waren. Jeden Freitag kam die Eurythmistin und es war total verrückt, denn diese wirklich sehr auffallenden Kinder waren immer mit so einer Spannung und Ehrfurcht dabei. Sie saßen in der Garderobe und haben darauf gewartet, dass diese Eurythmistin in ihrem Eurythmie-Kleid reinkam. Das war so verrückt, was macht diese Frau mit diesen Kindern oder warum ist das so ein Geheimnis und so eine Bewunderung? Da habe ich gedacht, dieses Geheimnis, das will ich lüften.
Wollten Sie auch nochmal etwas anderes werden, oder war die Entscheidung für die Eurythmie sofort gefällt?
Ich habe mich tatsächlich nicht getraut. Ich habe mich schlau gemacht am Institut für Waldorfpädagogik in Witten, wo man Eurythmie studieren kann. Ich habe mich aber nicht getraut. Weil das wirklich ein seltener Beruf ist, davon bekommt man nicht alle Tage erzählt oder ein Eurythmist kreuzt den Weg und sagt: „Ich bin übrigens Eurythmist und da verdient man ganz viel Geld.“ Für mich war klar, ich möchte etwas mit Kindern und Jugendlichen machen und habe mich dann entschieden, Lehrerin für Handwerk und bildende Kunst an Waldorfschulen zu werden. Dann habe ich aber im ersten Jahr gemerkt, ich werde niemals Lehrerin. Ich habe nicht das Verlangen gehabt, einen Lehrauftrag zu bekommen. Also habe ich mich entschieden, anthroposophische Heilpädagogik in Mannheim zu studieren. Das konnte ich berufsbegleitend machen und habe dann gedacht, dass ich mich jetzt trauen kann. Ich habe die Heilpädagogik quasi als Rückendeckung und dann kann ich zusätzlich Eurythmie machen und habe etwas in der Hinterhand, falls das alles nicht funktionieren sollte.
Woher kam diese anfängliche Angst – hatten Sie Angst, dass man Sie schräg anguckt?
Oder eher, dass Sie ihren Lebensunterhalt damit nicht finanzieren können?
Ich glaube tatsächlich, dass in dem Augenblick bei mir der Kopf statt des Herzens gesiegt hat. Was ich mit Eurythmie alles machen kann, war mir gar nicht wirklich bewusst. Ich wusste nur: entweder im Kindergarten oder in der Schule. Und ich habe nicht so wirklich durchblicken können, ob ich mich damit über Wasser halten kann. Da hat der Kopf gesiegt und irgendwie gesagt: „Nee, mach mal was Vernünftiges.“
Ich war selbst Waldorfschülerin und habe Eurythmie-Unterricht bekommen. So eine Stunde kann in manchen Altersgruppen anstrengend werden, wenn in der Pubertät das Verständnis für so eine Art von Unterricht fehlt – wie erleben Sie den Umgang mit Schülern?
Ich glaube, das kommt von Schule zu Schule darauf an, wie die Eurythmie etabliert ist. Bei uns an der Waldorfschule war Eurythmie einfach ein Fach, was es gab und was gelebt hat durch meine ganzen Kollegen, die auch vor mir schon da waren. So habe ich das eigentlich immer erlebt auch bei den Schülern, dass es einen Stellenwert hat. Natürlich gib es auch den einen oder anderen Schüler, vor allem Jungs in der Pubertät, wo man merkt, dass es nicht unbedingt auf Verständnis stößt. Und ich gebe diesem Unverständnis Raum und versuche, in einen Dialog zu kommen, dass der Schüler für sich selbst Antworten findet, wofür wir das eigentlich tun.
Was machen Sie persönlich als Lehrerin vielleicht anders als andere?
Man stellt sich einen Eurythmisten immer als einen Menschen vor, der von Tüchern und Lavendelduft umhüllt durch die Gegend läuft. Und das bin ich halt überhaupt gar nicht. Ich bin tatsächlich eher der sportliche Typ. Das nehme ich einfach in den Unterreicht mit rein. Diese Authentizität nehmen mir gerade die Jungs in der Pubertät auch ab. Die sagen dann: „Alles klar, wenn die so cool drauf ist, dann machen wir das jetzt einfach.“
Welche Rolle spielt Eurythmie bei Ihnen im Alltag?
Ich selbst mache tatsächlich recht wenig privat Eurythmie, was schade ist. Aber mir wird immer wieder bewusst, wenn ich Kunst sehe oder in eine Kirche gehe, wo überall Eurythmie-Gebärden drinstecken. Und ich höre gerne klassische Musik. Manchmal höre ich über Spotify Mixtapes, wo ich mir überlege, welche Form man daraus machen und was für den nächsten Unterricht verwenden könnte.
Ist das schon ein Automatismus oder können Sie Musik und Gedichte auch manchmal noch genießen, ohne dass dazu etwas im Kopf passiert?
Eigentlich passiert bei mir immer irgendwas. Das ist bei Musik extremer, Gedichte kann ich auch manchmal noch genießen. Doch auch da habe ich oft etwas vor meinem inneren Auge. Man versucht, irgendwie alles in eine Bewegung zu bringen, das ist tatsächlich ein Automatismus, der entstanden ist mit der Zeit.
Was sagt das Umfeld zu Ihrem Beruf?
Das ist ganz spannend. Meine Familie steht da total hinter, die findet das super spannend, was ich mache. Auch enge Freunde, die interessiert das eigentlich auch immer viel. Aber ich bin selbst auch Fußballerin, da erzähle ich das dann einfach gar nicht. Ich sage manchmal, ich bin Lehrerin und gut ist. Wenn speziell die Frage kommt, für welches Fach, dann sage ich auch einfach gerne mal Kunst. Ich merke dann, hier passt mein Beruf grade nicht rein.
So ganz außerhalb des Berufs, was charakterisiert Nele Klappheck in drei Fakten, was gar nichts mit Eurythmie zu tun hat?
Das ist wirklich Fußball. Ich trinke ab und zu mal ein Bier, das hat gar nichts mit Eurythmie zu tun. Das gehört dann eben zum Fußball. Und sonst ist es tatsächlich das Bodenständige.
Das Geheimnis, was Kinder an der Eurythmie fesselt: Würden Sie sagen, das haben Sie gefunden?
Ja, ich glaube, das habe ich gefunden im Laufe der Zeit. Wenn man manchmal gar nicht groß davon spricht, dass man Eurythmie macht, sondern es einfach geheimnisvoll tut und die Kinder ganz begeistert davon sind. Das wirkt manchmal so sehr, weil sie dann auf einmal merken, sie machen da grade etwas ganz Besonderes und dabei machen sie die einfachste Eurythmie. Sie sind dabei ganz fokussiert, konzentriert, auf einmal ganz ruhig, manchmal sogar in sich gekehrt und genießen das einfach auch. Mal unbewusst und mal bewusst.