"Was will man heute noch für neue Musik erfinden,
die alles irgendwie ins Wanken bringt?"
Wenn Worte zu Waffen werden
Ein Blick auf die letzten Jahrhunderte in Deutschland und schnell wird klar: Konflikte und Krisen gab es immer und überall. Grund genug für Widerstand und Auflehnung – Unzufriedenheit, die ihren Ausdruck sucht und findet. In der Musik.
Unterdrückung, politische Unfreiheit und Umweltkatastrophen. Themen, die sich durch die Geschichte ziehen und immer wieder in revolutionären Bewegungen äußern. Von der legendären 68er-Bewegung bis zu heutigen Fridays for Future Demonstrationen gegen die Klimakrise. Die Menschheit durchlebt große gesellschaftliche Herausforderungen, die sich die Musik als gemeinsame Sprache aussuchen.
„Es ist schön, wenn es für Leute nicht nur Musik ist, sondern sie daraus ihre Schlüsse ziehen und wir sie motivieren, irgendetwas zu tun“, sagt Joshi. Er ist Gründungsmitglied und Sänger der Punkrockband ZSK aus Berlin. Bereits mit 13 Jahren hat ihn diese Musikrichtung in den Bann gezogen. Heute schreibt er Songs, die Fans nicht nur in Konzert-Arenen locken, sondern auch in Japan auf Demonstrationen gespielt werden. „Ich denke jeden Tag darüber nach, was in dieser Welt für Scheiße läuft. Aber auch, was gut läuft, das beschäftigt mich sehr. Das sind deshalb auch die Dinge, über die wir singen“, so Joshi über seine Motivation, politische Musik zu machen.
Die Jugendkulturen haben sich enorm gewandelt und sind in den letzten Jahren verschmolzen. Es ist nicht mehr Revolution genug, überhaupt Rock zu hören und damit zu rebellieren. Denn alle Genres sind nahezu anerkannt und es ist viel schwerer, herauszustechen.
Die Menschenmassen an Freitagen sind Abbild einer neuen Bewegung gegen eine Krise, die uns alle betrifft. Rufe werden laut; nach weniger CO2 und mehr Nachhaltigkeit. Untermalt werden diese Forderungen von gleichlautender Musik. Denn das verbindet und schafft Gemeinschaftsgefühl. Deshalb wünscht sich Joshi, „dass coole Kids groß werden und wir für deren Entwicklung ein Soundtrack sind." Denn der größte Lohn ist es, die Auswirkung zu spüren: Eine Nachricht zu erhalten, dass die Crew des Rettungsschiffs „See Eye“ aus dem Mittelmeer mit der Musik von ZSK großgeworden ist und sich jetzt in diesem Rahmen engagiert.
Dabei fangen diese Bewegungen mit großer Auswirkung oft ganz klein an: Greta Thunberg verletzt die Schulpflicht und stellt sich allein vor den schwedischen Reichstag, einzelne Demonstranten besetzen den Hambacher Forst. „Ein Risiko eingehen oder der Verzicht auf etwas, auch wenn das weh tut oder unangenehm ist, das müssen wir alle, sonst wird sich nichts ändern“, sagt Klaus der Geiger, Deutschlands bekanntester Straßenmusiker. 45 Jahre lang hat der mittlerweile 79-Jährige unter freiem Himmel die Saiten der Geige für mehr Gerechtigkeit gestrichen. Dazu gekommen ist er nach einer normalen Karriere als Musiklehrer und Orchestermusiker während der 68er-Jahre: „Da bin ich dann irgendwie zum Revoluzzer geworden."
Auf der Straße treffen Menschen mit allen Ansichten aufeinander und kommen ins Gespräch. „Wenn ich Lieder schreibe, hab ich doch überhaupt keinen Bock über mich zu schreiben. Da muss ich doch irgendwie gucken, dass ich eine Wir-Geschichte daraus mache und dann wird´s einfach politisch." Er betont, es ginge bei solcher Musik darum, dass er Instrument dafür sein kann, eine Diskussion und Auseinandersetzung zu entfachen.
Die Charts werden von anderen Künstlern dominiert: von amerikanischen Mega-Stars oder Gangster-Rappern mit homophoben und frauenfeindlichen Texten, die häufig Vorbild für die junge Generationen sind. Joshi distanziert sich davon: „Ich kann mir nichts Langweiligeres vorstellen als über Drogenverkäufe zu singen und welchem gegnerischen Rapper ich gerne den Hals brechen würde."
Einzelne Musiker greifen weiterhin komplexe und kontroverse Themen auf und verarbeiten sie in Liedern, um sie dadurch der Menschheit näher zu bringen. Ein Lied zum Mitsingen hinterlässt Spuren, einen Gedankenanstoß. Denn einen Ohrwurm bekommt man nur schwer aus dem Kopf. Geier Sturzflug sang 1983: „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht." Jetzt machen Musiker wie Joshi und Klaus weiterhin politische Musik, damit es irgendwann nicht heißen muss: „Besuchen Sie die Erde, solange Sie noch steht."