Die Benachteiligung von Frauen projiziert man natürlich gerne auf eine Minderheit oder als hätten nur die das Problem.
„Weil es nicht ums Kopftuch geht, sondern um Selbstbestimmung.“
Seit Monaten gibt es Proteste im Iran, die sich ursprünglich am Fall von Jina Mahsa Amini entzündet haben: Die 22-Jährige wurde am 16. September 2022 von der Sittenpolizei des Irans verhaftet, weil sie ihr Kopftuch nicht richtig getragen hatte. Wenig später war sie tot. Obwohl das Medieninteresse an den Protesten inzwischen etwas nachgelassen hat, sind Bilder von Frauen, die im Iran aus Protest ihre Kopftücher verbrennen und ihre Haare abrasieren in den Medien und in den sozialen Netzwerken nach wie vor präsent – auch in Deutschland. Hier trifft man auf eine seit Jahrzehnten andauernde Debatte um das Thema Kopfbedeckung bei Muslimas.
Symbol der Proteste
Jina wurde verhaftet, weil man ihre Haare sehen konnte. Infolge ihres Todes verbrannten viele Frauen demonstrativ ihr Kopftuch oder schnitten sich die Haare ab. Doch ist es Widerstand gegen den Staat oder den Islam? Genau diese Frage entflammt auch in den sozialen Netzwerken viele Diskussionen. So schreibt die feministische Aktivistin Aie Al Khaiat auf Twitter Folgendes: „Wäre ich in einem Land mit Kopftuchpflicht geboren, würde ich zu denen gehören, die ihr Kopftuch verbrennen. Weil ich in Deutschland lebe, wo Frauen wegen des Kopftuchs strukturell diskriminiert werden, trage ich erst recht eins. Weil es nicht ums Kopftuch geht, sondern um Selbstbestimmung.“
Deutschland, der Islam und das Kopftuch
In Deutschland haben Menschen mit islamischem Glauben laut Statista einen rund sechs Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung. Der Islam stellt somit, die drittgrößte Glaubensgemeinschaft in Deutschland, dar. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt auch, dass die deutsche Bevölkerung dem Islam gegenüber im Vergleich zu den Vorjahren aufgeschlossener geworden ist. Dennoch ist die Hälfte der Deutschen der Meinung, dass der Islam bedrohlich ist.
Viele assoziieren mit dem Stichwort Islam die Unterdrückung der Frau. Diese negativen Einstellungen lassen sich einerseits darauf zurückführen, dass in den deutschen Medien der Islam oftmals in Verbindung mit Gewalt, Unterdrückung und Terrorismus gestellt wird. Das bestätigt auch eine Studie der Amadeu Antonio Stiftung von 2016.
Stereotypisierung des Kopftuchs
„Das Kopftuch ist ein ganz starkes bildliches Symbol und auf dieses Symbol überträgt sich natürlich alles, es ist ein Symbol für Einwanderung, es ist ein Symbol für Islam, es wird manchmal missbraucht als Symbol für Terrorismus“, erklärt Dr. Sabine Schiffer, die Leiterin des Instituts für Medienverantwortung. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung berichtet, dass die immer wiederkehrenden Impressionen von verschleierten Frauen, die unterdrückt oder auf der Flucht sind, Vorurteile gegenüber Muslim*innen verstärken. Das beliebteste Vorurteil ist, dass alle muslimischen Frauen mit Kopftuch unterdrückt sind. Laut Schiffer projiziere man natürlich gerne die Benachteiligung von Frauen auf eine Minderheit, als hätten nur die das Problem. In der Realität aber gibt es Frauen, die ein Kopftuch tragen und unterdrückt werden und Frauen, die keins tragen und trotzdem unterdrückt werden, erklärt Eren Ünsal, die Leiterin der Landesantidiskriminierungsstelle Berlin. Allerdings habe man in Deutschland insgesamt seit der iranischen Revolution 1979 ein äußerst reduziertes Bild, das sich an Äußerlichkeiten festmache, so Schiffer.
Die Stigmatisierungen zeigen sich vor allem durch die Reduzierung auf bestimmte äußerliche Stereotype, das belegt auch eine Studie des Instituts für Interkulturelle und Internationale Studien. Somit entsteht die Stigmatisierung von Muslim*innen in Deutschland teilweise durch die stereotype Darstellung in den Medien.
Die Unterdrückung der Frau findet daher nicht nur im Islam statt und betrifft nicht nur Frauen mit einem Kopftuch. Auch in Hinsicht auf die aktuellen Proteste geht es in erster Linie um das Recht auf Selbstbestimmung, die aber nicht nur auf Äußerlichkeiten oder die Religion beschränkt ist. Am Ende des Tages zählt es zu den grundlegenden Menschenrechten, sich frei entfalten zu können und seine Persönlichkeit ausleben zu dürfen, das umfasst auch die Wahl der Kleidung.