Proteste

Klima statt Kunst und Kartoffelbrei

26. Nov. 2022
Klimaaktivist*innen machen mit ihren Aktionen auf die Dringlichkeit der Klimakatastrophe aufmerksam. Und alle Welt diskutiert über Kunstwerke und Kartoffelbrei. Eindeutig das falsche Thema. Ein Kommentar.

Platsch – plötzlich tropft Kartoffelbrei von Claude Monets Gemälde „Getreideschober“ in einem Museum in Potsdam. Zwei Aktivist*innen der „Letzten Generation“ hocken darunter und kleben sich mit Sekundenkleber an der Wand fest. Wofür? Für den Klimaschutz. „Menschen hungern, Menschen frieren, Menschen sterben“, sagt die Aktivistin Miriam Hermann in einem auf Twitter geteilten Video, „Wir sind in einer Klimakatastrophe.“ Politik, Medien und Gesellschaft antworten ihr prompt. In den folgenden Tagen entbrennt eine Diskussion um wertvolle Kunstwerke und Kartoffelbrei. Sogar die New York Times berichtet darüber. Eins mag Kunstliebhaber*innen beruhigen: Das Gemälde war von einer Glasscheibe geschützt und wurde nicht direkt getroffen.

Die Empörung ist groß

Die Bild-Zeitung nennt die Aktivist*innen „Kriminelle“, der FDP-Politiker Frank Schäffler spricht von Terrorismus, Thilo Jung findet die Aktion peinlich. Kritiker*innen werfen den Aktivist*innen vor, sie würden nur sich selbst in den Vordergrund rücken. Ihre Aktionen würden das Thema Klima und die drohende Katastrophe überschatten. Außerdem steigen Unverständnis und Ablehnung in der Bevölkerung, wenn Kunstwerke beschmutzt und Straßen blockiert werden.

Kunstschutz statt Klimaschutz

Man muss die radikalen Protestformen nicht gut finden und feiern. Doch kann man sowohl ihren Befürworter*innen als auch ihren Gegner*innen Vorwürfe machen. Sie sind alle daran beteiligt, dass nicht über den Schutz des Klimas, den Schutz der großen Kunstwerke der Natur, gesprochen wird. Stattdessen fragt man sich: Wie können Museen wertvolle Kunstwerke besser schützen? Und wie weit darf Protest fürs Klima gehen? Tomatensuppe und Kartoffelbrei bekommen sogar eigene Hashtags auf Twitter. Über Katastrophen wie die Fluten in Pakistan und Nigeria wird nur wenig geredet und berichtet.

Form statt Inhalt

Es scheint ein grundsätzliches Problem in unserer Gesellschaft zu sein, dass über die Form, statt über den Inhalt diskutiert wird – nicht nur in Sachen Klimaschutz. Man erinnere sich an den Bundestagswahlkampf 2021. Große Empörung entbrannte über Baerbocks Lebenslauf.  Und Laschets Lacher nach der Flutkatastrophe im Ahrtal wurde ihm zum Verhängnis. Natürlich kann man das Verhalten der Politiker*innen, genauso wie die Aktionen der Klimaaktivist*innen kritisch betrachten. Doch Wahlkampfthemen wie Kohleausstieg, Care-Arbeit und Gesundheit, Inhalte der Wahlprogramme, hätten nicht in den Hintergrund rücken dürfen.

In Bezug auf die Klimaproteste bekräftigte Olaf Scholz selbst dieses Bild. Als Aktivist*innen der „Letzten Generation“ beim Weltgesundheitsgipfel am 16. Oktober in Berlin den Feueralarm auslösten, argumentierte er, der beste Weg, die Diskussion zu verbessern, sei nicht hinzuhören und weiterzumachen. Weitermachen und weiterdiskutieren, ob Kartoffelbrei und Tomatensuppe die richtigen Mittel sind, um das Klima zu schützen? Die Faktenlage und die Dringlichkeit des Klimaschutzes ignorieren, bis es dann schließlich zu spät ist?

Gemeinsam statt gegeneinander

Die Aktivist*innen bringen es auf den Punkt: „Wir sind in einer Klimakatastrophe.“ In einer Klimakatastrophe, die alle betrifft. Sowohl die Befürworter*innen, als auch die Gegner*innen der Kartoffelbrei-Proteste. Im neusten Weltklimabericht wird bekräftigt, dass wir nur widerstandsfähig gegen den Klimawandel werden, wenn Regierungen mit der Gesellschaft, wissenschaftlichen und anderen Institutionen, also auch Museen, Unternehmen, Medien, Bildungseinrichtungen und Investoren zusammenarbeiten. Im Kapitel zur Minderung des Klimawandels steht die internationale Zusammenarbeit im Fokus. Es muss also gemeinsam gekämpft werden. Und das Thema sollte klar sein: das Klima. Über die Form kann dann noch mal gesprochen werden. Gemeinsam, an einem Tisch, vielleicht bei einem Teller Kartoffelbrei.