„Es herrscht die paradoxe Situation, dass sachliche Informationen über erlaubtes Verhalten verboten sind.“
Weg frei für die Abschaffung von Paragraf 219a
Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches (StGB) verbietet Ärzt*innen für Abtreibungen zu „werben“. Seit einer Reform des umstrittenen Gesetzes im Jahr 2019 dürfen sie im Internet zwar darüber informieren, dass sie Abtreibungen vornehmen, doch die Methoden und der Ablauf dürfen nicht erklärt werden. Nur der Verweis auf eine Liste der Bundesärztekammer oder auf Beratungsstellen ist erlaubt. Ansonsten droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nannte das einen „untragbaren Zustand“. Bereits im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP sich auf die Abschaffung der Regelung geeinigt. Nun liegt der neue Gesetzesentwurf dem Bundesrat vor.
Viele Ärzt*innen haben Angst, von Abtreibungsgegner*innen angezeigt zu werden. Der Fall von Kristina Hänel erlangte besondere Aufmerksamkeit. Das Landgericht Gießen verurteilte die Ärztin 2017, weil sie auf ihrer Website darüber informierte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Daraufhin musste sie 6.000 Euro Strafe zahlen. Eine deutschlandweite Debatte um die Notwendigkeit des Paragrafen 219a entbrannte.
Die World Health Organisation (WHO) empfiehlt den Zugang zu zuverlässigen Informationen als einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Selbst wenn Abtreibungen an sich strafbar seien, sollten die Informationen darüber nicht strafbar sein, schreibt die WHO in ihren neuen Leitlinien zu Abtreibungen.
Inga Schuchmann, Mitglied des Deutschen Juristinnenbundes, sieht ein Problem von Paragraf 219a darin, dass in die allgemeine Berufsfreiheit der Ärzt*innen eingegriffen werde. „Es herrscht die paradoxe Situation, dass sachliche Informationen über erlaubtes Verhalten verboten sind“, so die Juristin. Dass Abtreibungen normalisiert oder kommerzialisiert werden könnten, seien keine legitimen Begründungen für 219a. Eine Studie von The Lancet Global Health zeigt auch, dass die Legalisierung von Informationen und Eingriffen nicht zu mehr Abtreibungen führt.
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Information ja, Werbung nein
Mit der Gesetzesänderung sollen Ärzt*innen Rechtssicherheit bekommen. Es stellt sich aber die Frage, was mit Angaben passieren soll, die wirklich zu unangemessener Werbung zählen. Zum Beispiel, wenn ein Arzt seine Praxis als die beste Abtreibungspraxis betiteln und mit besonders attraktiven „Leistungen“ werben würde. Der Regierungsentwurf von Anfang März sieht dafür zusätzlich eine Änderung des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) vor. Das HWG verbietet irreführende und anpreisende Werbung für zahlreiche ärztliche Leistungen. Nach der Änderung fallen auch alle Formen von Schwangerschaftsabbrüchen darunter. Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb und die Musterberufsordnung für Ärzt*innen enthalten weitere Vorgaben für die Gestaltung von Werbung. Inga Schuchmann fasst die Auswirkungen der Abschaffung von Paragraf 219a so zusammen: „Für Schwangerschaftsabbrüche werden genau dieselben Vorgaben an ärztliches Werben gestellt wie auch sonst für jede andere Gesundheitsleistung.“
Informationslage muss sich verbessern
Die Versorgungs- und Informationslage zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland ist schlecht. Das ergab eine Recherche von CORRECTIV. Abtreibungen sind nur in drei Fällen nicht strafbar: nach einem Beratungsgespräch bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle, wenn ein Schwangerschaftsabbruch die Folge einer Vergewaltigung ist oder wenn eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Schwangeren besteht. 2021 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von insgesamt 94 600 Schwangerschaftsabbrüchen 96 Prozent nach der Beratungsregelung vorgenommen. Laut der Datenbank von CORRECTIV. führen nur 38 Prozent aller Krankenhäuser mit gynäkologischer Station Schwangerschaftsabbrüche nach dieser Beratungsregelung durch. Für viele Betroffene ist es demnach schwierig, eine Praxis oder eine Klinik in der Nähe zu finden. Die begrenzte Informationslage erschwert die Suche zusätzlich.
„Es ist ein Prozess, bis die Ärzt*innen merken, dass ihnen gar nichts passieren kann.“
Nur über verschiedene Websites oder mehrere Telefonate kommen Frauen an seriöse Informationen. Die Gefahr, dass sie „fehlgeleitet werden“ und auf Seiten gelangen, auf denen sie falsche Informationen bekommen, sei groß, erklärt die Gynäkologin Nora Szász. Auch sie wurde 2017 angeklagt, weil sie auf ihrer Website mehr schrieb als die bloße Information, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Dort stand: „Schwangerschaftsabbrüche, operativ und medikamentös“. Die Ärztin möchte nach der Abschaffung von Paragraf 219a über die Methoden, nötige Unterlagen, Voraussetzungen, den Ablauf, Kosten und Risiken informieren. Ärzt*innen hätten eine Pflicht zur Aufklärung. Dazu würden auch seriöse und sachliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche gehören, meint Nora Szász.
Bis mehr Ärzt*innen auf ihren Websites über Schwangerschaftsabbrüche informieren werden, wird es jedoch einige Zeit dauern. „Es ist ein Prozess, bis die Ärzt*innen merken, dass ihnen gar nichts passieren kann“, so Nora Szász.
Legalisierung von Abtreibungen?
Die allgemeine Situation bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen könne auch schon jetzt ohne jede Rechtsänderung verbessert werden, sagt Inga Schuchmann. Dazu gehören mehr sachliche Informationen, mehr Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und verstärkter Schutz von Einrichtungen und Beratungsstellen vor Abtreibungsgegner*innen. Weitere Schritte wären Online-Beratungen, die Kostenübernahme für Verhütungsmittel oder die Abschaffung der Beratungspflicht. Die Bundesregierung möchte mit einer Kommission alternative Regelungen von Schwangerschaftsabbrüchen prüfen. Das könnte auch eine Legalisierung bedeuten. Inga Schuchmann macht deutlich, dass die Abschaffung von Paragraf 219a im Vergleich aber einfach gewesen sei, weil sie wenige Regelungen drumherum erfordere.