„Das spricht für ein starkes Commitment.“
Junger Corona-Protest
Karsamstag auf dem Cannstatter Wasen. Eine Menschenmasse steht vor der Bühne, fast keiner trägt eine Maske. Es läuft gemischtes Programm: Reden, ein Kinderchor, ein Rapper. Vereinzelt sind Protestbanner zu sehen, Friedenssymbole und Deutschlandfahnen. Am Anti-Impf-Stand werden Sticker und Buttons verteilt. Nebenan verkauft „Querdenken 711“ den eigenen Merch. Die Initiative von Michael Ballweg hat zur Demonstration aufgerufen und rund Zehntausend Teilnehmende sind gekommen. Ein Heimspiel für die Bewegung.
Am Rand der Demo sitzt Anton. Er ist 31 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Darmstadt in Hessen. Aus seiner Sicht wurden die Grundrechte „unverhältnismäßig“ außer Kraft gesetzt. Seit April 2020 setzt er sich dafür ein, dass sie wieder hergestellt werden.
Leon ist aus einem ähnlichen Grund hier. Der 19-Jährige steht ein paar Meter weiter, er trägt Inlineskates und das Trikot seiner Eishockey-Mannschaft. Er möchte sich „auf diesen Demos für unsere Freiheitsrechte stark machen“. Leon ist Teil der Gruppe „Ruf der Trommeln“, die den Protestzug heute zum Wasen begleitet hat. Dafür ist er schon gestern aus der Nähe von Nürnberg angereist. Seine Haltung zur Pandemie ist klar: „Ich habe als junger Mensch keine Angst vor dem Corona-Virus.“ Die Berichterstattung zu dem Thema findet er zu einseitig. Seiner Meinung nach „wurde wenig informativ berichtet im letzten Jahr“. Auch der Politik gegenüber ist Leon misstrauisch. Sie wäge die Viruszahlen nicht ausreichend gegen die Grundrechte ab.
Großes Misstrauen, hohe Motivation
Eine kritische Einstellung gegenüber den Medien, der Politik, der Wissenschaft, gepaart mit der Sorge um die Grundrechte – diese Themen begegnen uns in den Gesprächen immer wieder. „Die Freiheitsrechte und dieses Misstrauen sind ganz häufig die zwei zentralen, vereinenden Elemente“, sagt Johannes Pantenburg. Er ist Projektkoordinator eines fachübergreifenden Teams der Universität Konstanz. Seit Oktober 2020 beschäftigen sich die Forscher mit der Bewegung. Dass Anton und Leon von weit her nach Stuttgart gekommen sind, überrascht ihn nicht. „Das spricht für ein starkes Commitment von den Leuten für die Sache.“ Die Demonstrierenden identifizieren sich also mit dem Protest. Gleichzeitig entstehe der Eindruck, es gäbe eine „sehr große Schnittmengen unter den Demonstrationen“. Sprich: Auf die unterschiedlichen Veranstaltungen kommen häufig die gleichen Leute. Das ist allerdings noch nicht mit aussagekräftigen Zahlen bewiesen.
Für Lukas ist es ungefähr die zehnte Demonstration dieser Art. Über sich selbst sagt er: „Ich bin ein Mensch, der extrem kritisch denkt." Der 22-Jährige Lehramtsstudent war mal in der Jungen Union, der Jugendorganisation der CDU. Jetzt ist er Mitglied bei der Partei „die Basis“, die 2020 gegründet wurde und Corona-Maßnahmen kritisiert. Mit der Veranstaltung heute ist er zufrieden: „War ein toller Tag." Für ihn hat sich die Anfahrt aus der Nähe von Frankfurt besonders gelohnt: Auf der Demo trifft er junge Gleichgesinnte, die er vorher nur über Zoom kannte.
„Das ist die falsche Generation für sowas.“
Friedlich für die Grundrechte demonstrieren, ein paar nette Leute treffen und abends wieder nach Hause gehen als sei sonst nichts passiert – ganz so einfach ist es nicht. Querdenken-Demonstrationen fallen in der Berichterstattung immer wieder negativ auf. Es gab Übergriffe auf Journalist*innen, Rechtsextreme nutzen die Veranstaltungen als Bühne, mittlerweile beobachtet der Verfassungsschutz Teile der Bewegung.
Lukas, Leon und Anton distanzieren sich in den Gesprächen von Rechtsextremen. Sie sind der Ansicht, dass die Probleme der Bewegung deutlich weniger gravierend sind als von führenden Nachrichtenmedien dargestellt.
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Eine neue, alte Bewegung
Die Drei ähneln in ihrer Meinung und ihrem Verhalten vielen der Demonstrierenden. In einem Punkt unterscheiden sie sich aber von den anderen – dem Alter. Laut einer Studie der Uni Konstanz ist der Altersdurchschnitt auf Querdenken-Veranstaltungen hoch, er liegt knapp unter 50 Jahren. Pantenburg findet das bemerkenswert: „Im Grunde müsste es eigentlich ein sehr hohes Mobilisierungs-Potential geben für die Bewegung.“ Jugendliche gehören also zu der Bevölkerungsgruppe, die man durchaus auf einer Querdenken-Demo erwarten kann. Immerhin seien sie von dem Virus deutlich weniger gefährdet als Ältere, aber von den Corona-Maßnahmen besonders betroffen. In einer Lebensphase, in der man sich ausprobiert und neue Erfahrungen sucht, sitzen viele junge Menschen allein zuhause. Wieder normal Leute treffen, richtig feiern gehen – davon können sie zurzeit nur träumen.
Für eine Bewegung, die sich für die Abschaffung der Beschränkungen starkmacht, würden aber nur wenig Jugendliche an Querdenken-Veranstaltungen teilnehmen. Warum sei nicht ganz sicher. „Das kann natürlich damit zusammenhängen, wie diese Bewegung aufgestellt ist“, erklärt Pantenburg. Unter den führenden Persönlichkeiten seien keine Jugendlichen dabei. Ganz anders ist die Situation bei der Klimabewegung. Dort sind mit Aktivistinnen wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer sehr junge Leute an der Spitze. Auch das Motto der Querdenken-Bewegung – Liebe, Frieden, Freiheit – könne etwas „altbacken“ wirken.
Anton erklärt den hohen Altersdurchschnitt anders. Netflix, Social Media und Playstation: Junge Menschen würden sich in digitale Welten zurückziehen, statt zu diskutieren. Was er schon vor Corona als Tendenz beobachtet habe, sei durch den Lockdown verstärkt worden. Trotzdem habe er „mehr zivilen Ungehorsam erwartet“. Dass die Jugend sich nicht vom politischen Querdenken-Protest angesprochen fühlt, wundert ihn aber nicht: „Das ist die falsche Generation für sowas.“
Ob nun die Bewegung nicht sexy genug ist oder es doch an der unpolitischen Jugend liegt – Johannes Pantenburg sieht einen weiteren Grund: Die Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland unterstützt die Maßnahmen, die das Virus bekämpfen.