Hand in Hand mit Rechtsextremen?
3. März 2021: Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stuft die Alternative für Deutschland (AfD) als Verdachtsfall ein, berichtete das ARD-Hauptstadtstudio. Bereits Ende Januar wurde bekannt, dass das BfV die Partei beobachten will. Davor galt die Partei als Prüffall, wodurch das Bundesamt lediglich öffentlich zugängliche Quellen auswerten durfte und zwei Jahre lang Informationen zusammentrug, warum die AfD als Verdachtsfall geführt werden sollte. Das Ergebnis: Ein Gutachten von beinahe 1.000 Seiten Umfang, in dem das BfV insbesondere Verstöße gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzip anführt. Die Einstufung als Verdachtsfall bedeutet, dass nach Einschätzung der Verfassungsschützer*innen hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vorliegen und der Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Mittel einsetzen darf. Darunter fallen sogenannte V-Leute und andere Methoden der heimlichen Informationsbeschaffung.
Anfang Juli entschied das Kölner Verwaltungsgericht nach einer Beschwerde der AfD jedoch, keine Entscheidung im Streit um die Einstufung als rechtsextremistischen Verdachtsfall zu treffen. Sowohl eine für die AfD positive als auch eine negative Entscheidung könnte die Wahlentscheidung der Bürger*innen zugunsten oder zulasten der Partei beeinflussen, teilte das Verwaltungsgericht mit.
Rechtsextremismus und die AfD in Baden-Württemberg
Das Kontrollgremium des baden-württembergischen Landesverfassungsschutzgesetzes zählte 2020 circa 1.900 Rechtsextremist*innen im Land. Damit stieg die Zahl seit 2018 um circa 200. Dies sei darauf zurückzuführen, dass in die Gesamtsumme erstmals ein „sonstiges rechtsextremistischen Personenpotenzial der Parteien“ einfloss, welches die Angehörigen der AfD-Teilstrukturen Der Flügel und Junge Alternative umfasst.
Betrachtet man die AfD-Abgeordneten des baden-württembergischen Landtags, die AfD-Bundestagsmandatsträger*innen aus Baden-Württemberg und den Landesvorstand der Jungen Alternative, ergeben sich einige Verbindungen zu rechten Organisationen, die vom Verfassungsschutz teilweise als rechtsextrem eingestuft wurden. Dazu zählt der mittlerweile aufgelöste Flügel sowie die Identitäre Bewegung. Auch die Junge Alternative, bei der manche Abgeordnete ihre Wurzeln haben und zu der sie immer noch Kontakte pflegen, hat einen Einfluss auf die Gesamtpartei AfD.
Die Junge Alternative (JA) wurde 2013 gegründet und ist die offizielle Jugendorganisation der AfD. Sie steht jungen Menschen von 14 bis 35 Jahren offen und bezeichnet sich selbst als „programmatischer Innovationsmotor“ der AfD. Sie wird seit 2019 vom Verfassungsschutz beobachtet, da dieser befürchtet ihre „rechtsextremistischen Strömungen [könnten] Einfluss auf politisch-programmatische Entscheidungen der AfD sowie auf die Zusammensetzung des Bundesvorstands nehmen“. Die Junge Alternative schüre Misstrauen gegen die parlamentarische Demokratie und hätte personelle Verbindungen zu rechtsextremistischen Akteuren wie der Identitären Bewegung.
Der Sozialpsychologe und Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld, Andreas Zick, bezeichnet die Junge Alternative als „Nachwuchsschmiede“ des Flügels. Die JA sei ein zentraler Bestandteil der Partei, von dem aggressive Kampagnen und rechtsradikale Ideen ausgehen. „Sie bietet neurechten, autoritären und rebellischen Kräften eine Heimat und sie versucht, ihre rechten Ideen in die Bundespartei erfolgreich einzubringen“, so Zick im Interview.
Die Junge Alternative als Knotenpunkt zum Rechtsextremismus
Das bestätigt sich in den Verbindungen der Jugendorganisation. Sie stellt sich vollumfänglich hinter die Erfurter Resolution, das Gründungsdokument des Flügels, und kommt immer wieder mit der Identitären Bewegung in Kontakt. Neben inhaltlichen Parallelen gibt es personelle Überschneidungen zwischen den Organisationen, die auf gemeinsame verfassungsfeindliche politische Ziele hindeuten.
Die Identitäre Bewegung wurde 2014 als Verein gegründet und wird seit 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet – seit 2019 sogar nachrichtendienstlich – und wird als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ geführt. 2020 bestätigte das Verfassungsgericht nach einer Klage der Identitären Bewegung, dass der Verein „rechtsextremistisch“ genannt werden darf.
In Baden-Württemberg bestehen nachweislich Verbindungen zwischen Abgeordneten der AfD sowie der JA zur Identitären Bewegung. Dies bildet zugleich eine Brücke zu anderen Rechtsextremen in ganz Europa, wo die Identitäre Bewegung verwurzelt ist. Andreas Zick bezeichnet die Bewegung als „Scharnier zwischen neurechten, rechtsextremen, rechtsradikalen und rechtspopulistischen Gruppen und eine starke Kraft zwischen AfD und Wortführern der Neurechten.“
Der Flügel: aufgelöst und doch prägend
Als prägendste Kraft der AfD sieht der Konfliktforscher jedoch den Flügel. Dieser wurde 2015 mit der Erfurter Resolution unter anderem von Björn Höcke gegründet, der seither als „Galionsfigur“ der äußerst Rechten in der AfD gilt. In der Resolution wird ein etablierter Politikbetrieb beklagt; die Unterzeichner*innen sind national-konservativ. Das Politikkonzept des Flügels ist primär auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländer*innen, Migrant*innen – insbesondere muslimischen Glaubens – und politisch Andersdenkenden gerichtet. Der Verfassungsschutz schätzte den Kreis der Mitglieder 2020 auf etwa 7000 Personen. Im Januar 2019 stufte das BfV den Flügel als Beobachtungsobjekt ein, woraufhin sich Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verdichteten. Seit März 2020 gilt der Flügel als eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung. Daraufhin wurde die Gruppierung Ende April durch den AfD-Bundesvorstand aufgelöst. Verschiedene Äußerungen führender Flügel-Akteur*innen und deren anhaltende Vernetzungsaktivitäten sprechen allerdings dafür, dass das Personennetzwerk seine Aktivitäten fortführt und nach wie vor versucht, den parteiinternen Kurs in seinem Sinne zu beeinflussen. Das sieht auch Andreas Zick: „Er ist vermeintlich aufgelöst, was ihn noch einflussreicher in der AfD gemacht hat, denn es fand keine Distanzierung vom Flügel in der AfD statt, sondern ein Umschwenken auf Toleranz und Beteiligung“.
Antisemitische, rassistische oder rechtsextreme Aussagen toleriert die AfD, selten tragen sie Konsequenzen mit sich. Während AfD-Mitglieder, Geflüchteten öffentlich eine Mitschuld an HIV-, Krätze- und TBC-Fällen geben, müssen Comedians wie Enissa Amani hohe Geldsummen zahlen oder Haftstrafen absitzen, wenn sie Abgeordnete beleidigen.
Auch der Konfliktforscher Andreas Zick bewertet die Hassreden der AfD als problematisch: „Wenn wir berücksichtigen wie viele AfD-Anhänger*innen in den vergangenen Jahren menschenfeindliche Kampagnen wie Hassreden geteilt haben, bei rechten Aufmärschen mitgewandert sind und auch vorurteilsbasierte Hasstaten befürwortet und begangen haben – wir haben zig tausende Hasstaten gesehen –, dann ist klar, dass es bei Parolen nicht bleibt und viele Parolen zu Taten auffordern.“
Eine Frage für den Verfassungsschutz
Aber kann man die Taten der AfD-Mitglieder auf die Gesamtpartei beziehen und macht das die AfD wirklich rechtsextrem? Die Daten vermitteln ein recht deutliches Bild, doch Verallgemeinerungen sind nicht angebracht. Zick sieht die Partei eher als komplett rechtspopulistisch, jedoch biete sie dem Rechtsextremismus eine Stimme. Es falle immer schwerer, gemäßigte Mitglieder in der Partei zu finden.
Vorerst darf der Verfassungsschutz die AfD jedoch nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten. Über die Klage und Eilanträgen der Partei wegen der Einstufung zum Verdachtsfall entscheidet das Kölner Verwaltungsgericht voraussichtlich im ersten Quartal 2022.
Dieser Artikel bezieht sich auf eine im Rahmen des Moduls „226305 Netzwerk- und Beziehungsmanagement“ erhobene Netzwerkanalyse. Dabei wurden die AfD-Abgeordneten des baden-württembergischen Landtags, die AfD-Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg sowie der Landesvorstand der Jungen Alternative Baden-Württemberg analysiert. Beobachtet wurden die Verbindungen der Personen zu den Vereinigungen, Organisationen oder Vereinen: der Flügel, Identitäre Bewegung, Stuttgarter Aufruf, Demo für alle, Querdenken, Erfurter Resolution und Junge Alternative. Der Datensatz zur Netzwerkanalyse ist auf Nachfrage verfügbar.
*Für die Liste der Unterzeichner*innen der Erfurter Resolution gibt es keine gesicherte Quelle (die Infos konnten nicht mit dem Zwei-Quellen-Prinzip überprüft werden). Für unsere Recherche haben wir die Auflistung des Fuxenrot Blogs verwendet, auf den auch weitere Leitmedien in ihrer Berichterstattung verweisen.
Auf die Möglichkeit zur Stellungnahme reagierte die Landespartei Alternative für Deutschland nicht.