„Im Alter steigt auch immer das Risiko für einen Schlaganfall oder Herzinfarkt während der Fahrt.“
Fahren ab 70 – Muss Opa bald zur Prüfung?
Alle fünf Jahre müssen 70-Jährige mit Führerscheinklasse B ihre Fahrerlaubnis verlängern - nach diesem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission im Frühjahr wird viel über die Debatte rund um Fahrprüfungen im Alter berichtet. Laut Gesetzesentwurf wäre es damit nämlich möglich, die Fahrtauglichkeit regelmäßig zu prüfen. Doch wie realistisch ist es, dass Menschen ab 70 bald zur Prüfung müssen?
Viele kennen es vielleicht aus ihrem eigenen Umfeld: Die Diskussion mit Opa, ob er den Führerschein abgibt oder nicht. „Oftmals sind die Fahrerlaubnisinhaber ‚beratungsresistent‘ und weigern sich beharrlich, auf die Fahrerlaubnis zu verzichten“, sagt Dr. Matthias Köck, Fachanwalt für Verkehrsrecht. Geben Senior*innen den Führerschein nicht ab, können Angehörige ein Gespräch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin der Betroffenen suchen. Zum tatsächlichen Führerscheinentzug käme es dann erst nach sämtlichen Untersuchungen, einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) und einem Gutachten.
Alle Landtagsfraktionen lehnen die EU-Idee ab
Fragt man die Fraktionen des Landtags von Baden-Württemberg, findet die Idee der EU wenig Begeisterung. Die Fraktionen der Grünen, CDU, FDP, SPD und AfD lehnen den Gesetzesentwurf ab. Vielen Fraktionen sei eine solche Regelung zu „pauschal“. Stattdessen verweisen sie auf die freiwilligen Verkehrstests und die Eigenverantwortung. Die FDP vermutet hinter einer solchen Regelung sogar ein neues Geschäftsmodell. Obwohl sich die Grünen gegen die altersbedingten Fahrprüfungen aussprechen, sieht die AfD das Prüfen ab 70 unter anderem als "einen weiteren Versuch des Verkehrsministers (Winfried Hermann, Grüne), in Baden-Württemberg das Auto zurückzudrängen“.
Andere Länder, andere Gesetze
Einige europäische Staaten geben bereits klare Regeln vor. In der Schweiz müssen beispielsweise alle Autofahrenden ab 75 Jahren jedes zweite Jahr zu einer medizinischen Untersuchung. Spanische Senior*innen müssen sogar schon ab einem Alter von 65 den Führerschein alle fünf Jahre neu beantragen. Zu der Neubeantragung gehören dann auch verschiedene ärztliche Untersuchungen, die die Fahrtüchtigkeit anhand von Seh-, Hör- und Reaktionstests prüfen.
Hier die Auflagen einiger europäischer Staaten im Überblick:
Ärzt*innen befinden sich in der Zwickmühle
Anders als die Landespolitik befürwortet Frederike Sternberg eine Prüfung der Fahrtüchtigkeit ab einem gewissen Alter. Sie arbeitet als Assistenzärztin in der Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. „Ich finde das gut. Ich […] glaube, dass einfach die meisten Menschen, die ein Leben lang gut und sicher gefahren sind, dann irgendwann den Absprung nicht kriegen“.
Außerdem lassen ab einem gewissen Alter nicht nur die Sinnesleistungen, wie das Seh-, Hör- und Reaktionsvermögen nach, sondern auch „das Risiko für einen Schlaganfall oder Herzinfarkt während der Fahrt“ steigt. Die Umsetzbarkeit beinhalte allerdings viele Hürden und scheitere laut Sternberg eventuell auch an Politikern, „die es [...] nicht unbedingt durchboxen würden, weil sie dann Angst haben, von den älteren Wählern nicht mehr gewählt zu werden“.
Aktuell können Fachärzt*innen ihre Patient*innen belehren, wenn sie diese für nicht fahrtauglich halten. Bei der Aufklärung, welche vor allem nach Schlag- oder epileptischen Anfällen stattfindet, wird eine Frist festgelegt, in der die Betroffenen kein Auto fahren sollen. Im Falle eines Unfalls ist die ärztliche Fachperson nun rechtlich geschützt. Läuft eine Aufklärung ins Leere, müssen Mediziner*innen abwägen, ob sie die Fahruntauglichkeit einer Patient*in letztendlich doch an die Fahrerlaubnisbehörde melden möchten: „Ärzte befinden sich derzeit in einer Dilemmasituation, da sie zur [...] Verschwiegenheit verpflichtet sind“, so Köck. „Besteht eine konkrete Gefahr für eine Teilnahme am Straßenverkehr, dann wird eine Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde gerechtfertigt sein.“
„Die [Autofahrenden] können ja gerne beweisen, dass sie es noch können. Dann ist es ja auch ein schönes Gefühl, wenn man weiß: Ich kann noch sicher Autofahren“.
Für Sternberg ist es wichtig, die Gesellschaft für das Thema zu sensibilisieren. Sie macht deutlich, dass niemand den Senior*innen pauschal unterstelle, kein Auto mehr fahren zu können. „Die [Autofahrenden] können ja gerne beweisen, dass sie es noch können. Dann ist es ja auch ein schönes Gefühl, wenn man weiß: Ich kann noch sicher Autofahren.“
Muss Opa also nicht zur Prüfung? „Derzeit finden keine Gespräche mit der Politik und/oder Ärzten statt. Der Verkehrsrechtsausschuss und die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht führen derzeit keine Gespräche in diese Richtung“, so Verkehrsanwalt Köck. Weiter gehe er davon aus, dass „in absehbarer Zeit nicht mit einem Fahrtüchtigkeitstest ab 70/75 Jahren zu rechnen“ sei.
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