Das Ziel ist, den Anderen nicht mit Fäusten zu schlagen, sondern seine Mutter und Schwester zu beleidigen.
Frauenfeindlichkeit – millionenfach gestreamt
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„Sie hat zwar kleine Titten, doch ein Arsch wie ein Pfirsich. Guck, wir nehmen sie mit und geben ihr zu dritt.“ So startet der Refrain des bekannten Hits „Jim Beam & Voddi“ von den Rappern AK AUSSERKONTROLLE und Bonez MC. Der Song wurde auf Spotify rund 84 Millionen Mal gestreamt. Warum schreiben Rapper so frauenfeindliche Lyrics? Und die noch viel wichtigere Frage: Warum hören Frauen sich so etwas an?
Kultursemiotikerin Eva Kimminich beschäftigt sich an der Uni Potsdam mit Hip-Hop Studies. Laut ihr müsse man zuerst einmal unterscheiden, um welche Art von Rap es sich handle. Dabei fiele auf, dass im sogenannten Gangster-Rap frauenfeindliche Lyrics, patriarchale Männlichkeit und sexistische Macho-Rapper nicht wegzudenken sind. Alles Schlagwörter, die im Grunde nur eins bedeuten: Es ist eine Imagesache, in der das eigene Ego aufgeblasen wird.
Dieser Deutschrap hatte seinen Boom in den 2000ern und hat bis jetzt nicht an Hörerzahlen eingebüßt. Kimminich weiß: „Diese Art von Männlichkeit bringt Geld und lässt sich gut vermarkten.“ Dabei hat auch die Musikindustrie ihre Finger im Spiel. Sie erklärt den Rap-Teufelskreis so: Die Industrie habe starken Einfluss darauf, was produziert wird. Solange diese Texte produziert würden, würden sie auch verkauft und konsumiert. Irgendwann schleiche sich das so sehr ein, dass sich manche nicht einmal mehr darüber aufregen würden. Den Rappern bleibe nichts anderes übrig, als mitzuziehen und sogar noch einen obendrauf zu setzen, wenn sie im Mainstream erfolgreich sein wollen. Kimminich fügt hinzu: „Diese Zusammenhänge sind gar nicht so leicht zu unterbrechen, man kann nur versuchen, gerade bei Jüngeren, dazu aufzurufen, das nicht alles einfach so zu übernehmen.“
Battle-Kultur als Ursprung
Dieses „immer noch einen obendrauf setzen“ kommt nicht von irgendwo her. Battlerap ist ein Sprachritual mit afroamerikanischem Ursprung. „Das Ziel ist, den Anderen nicht mit Fäusten zu schlagen, sondern seine Mutter und Schwester zu beleidigen“, so Kimminich. Eine Umlenkung von physischer Gewalt. Die oberste Regel lautet also, seinen Kontrahenten immer zu toppen.
Das weibliche Publikum
Warum auch Frauen so etwas hören, dazu kann Kimminich nur Annahmen machen. Anfang der 2000er füllten Gangster-Rapper wie Kool Savas ganze Säle voll 14-jähriger Fans. „Die Texte waren, wenn man so will, sprachlich brillant formuliert, aber die Inhalte waren sehr abstoßend.“
Auf einem seiner Konzerte fragte sie eine Gruppe junger Mädchen, warum sie sich das anhören: „Der Savas ist ja sonst gar nicht so.“ Scheinbar trenne man zwischen Rap und Künstler, wenn es sich so anfühlt, als würde man die Künstler kennen. Tabubruch sei mit Sicherheit auch ein Thema, bestimmt sei es cool, Grenzen zu überschreiten. Oder man höre gar nicht so richtig hin. „Oder man findet die Typen letztendlich doch toll, weil man sie kennt“, nimmt Kimminich an.
Ein Gegenbeispiel: „Rechtsrockgruppen, wie z.B. Freiwild treten auch auf, obwohl man weiß, dass sie rechtes Gedankengut verbreiten“, sagt Kimminich. Dasselbe gelte bei extrem brutalen Computerspielen.
Der Savas ist ja sonst gar nicht so.
Ein Blick in die Zukunft
Wie sieht es aber bei den Newcomer*innen der letzten fünf Jahre aus, gibt es Licht am Horizont? Scheinbar kommt etwas Neues auf uns zu. Sprachwissenschaftlerin Dr. Heidi Süß betreibt kritische Rap- und Männlichkeitsforschung und hat sich mit Texten der jüngsten Zeit beschäftigt und festgestellt: Es gibt Einbrüche.
Laut Süß gebe es zum einen immer noch die Macho-Rapper, zum anderen schwingen auch „Weicheitöne mit“ à la „Eigentlich bin ich gar nicht so, ich bin auch nur ein armer Kerl, den seine Freundin verlassen hat“, so Kimminich. Entweder ändere sich gerade etwas in der Szene oder es wird auf die Skandale reagiert, die Einzelne losgetreten haben. Sicher gebe es mittlerweile auch eine höhere Sensibilität in der Gesellschaft dafür. Manchmal ist es aber auch ganz banal: „Vielleicht ist es einfach ausgelutscht“, sagt sie.
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Was sind Bad Bitches?
Was passiert an der Frauen-Front? In einer Analyse durchsuchte der SPIEGEL 2020 30.000 Songs aus den letzten vier Jahrzehnten auf sexistisches Vokabular. Das Rapperinnen-Duo SXTN landete in der Kategorie mit den durchschnittlich meisten sexistischen Begriffen pro Song ganz oben auf dem Siegertreppchen. Kimminich hat dafür eine Erklärung: Rapperinnen reagieren auf die frauenfeindlichen Texte ihrer männlichen Kollegen, indem sie die Beleidigungen verdrehen. Sich „die Bitch“ zurückholen.
Das trägt aber sowohl zum Problem, als auch zur Lösung bei. Kimminich sagt: „Erstmal ist das schon ein konsequenter Schritt, den viele Rapperinnen getan haben, um sich dagegen zu wehren und zu zeigen, dass sie ihren männlichen Kollegen auf sprachlicher Ebene gewachsen sind.“ Wieder einmal sind wir bei der Battlekultur, denn wenn Frauen sich auf diese Art von Ausdrucksform einlassen, müssen sie auch mithalten. Und das gehe nur, wenn sie die Männer toppen. Kritische Stimmen, wie z.B. die aktivistische Rapperin Lady Bitch Ray, seien der Meinung, dass durch diesen Umgang Sexismus von Frauen selbst reproduziert wird.
Rapperin Juju, die Teil von SXTN war, klärt in einem Interview mit dem Berliner [030] Magazin auf, warum sie das Wort „Fotze“ so oft verwendet: „Es ist ein Selbstschutz, würde ich sagen. Wenn man es selbst macht, juckt das nicht mehr. Ich hasse das Wort eigentlich, es ist wahrscheinlich das schlimmste Wort, das man auf eine Frau anwenden kann.“
Übrigens: Der SXTN-Hit „Fotzen im Club“ wurde nur rund 62 Millionen Mal auf Spotify gestreamt.
Frauenfeindlichkeit im Deutschrap ist also ein Teufelskreis, der von der Musikindustrie, Künstler*innen und Hörer*innen immer weiter befeuert wird. Durch den Charakter einer Battlekultur ist jeder, der erfolgreich sein will – egal ob männlich oder weiblich – dazu gezwungen, noch einen obendrauf zu setzen.