Demokratie heißt nicht, dass es ein paar Leute gibt, welche sich um alles kümmern und die sind alle überbezahlt und blöd. Sondern Demokratie heißt, eigentlich könnte sich jeder einbringen.
Ein Leben für 0,7 Prozent
Im Jahr 2011, als die FDP in Umfragen noch unter vier Prozent lag, fragte ein Comedian Christian Lindner warum sich seine Partei nicht in Sonstige umbenennt. Die stünden immerhin bei sechs Prozent. Heute liegen die Sonstigen in Umfragen bei acht Prozent. Die Kleinparteien werden größer. Die Bühne der Kleinen ist nicht der Bundestag, sondern die Kneipe um die Ecke. Diese ist für einen Donnerstagabend gut gefüllt, die Stimmung ist ausgelassen, es läuft Musik im Hintergrund, das Wort des anderen versteht man nur schwer. Neun Männer und eine Frau sitzen eng zusammengedrängt an einem Tisch, lila Prospekte der Partei liegen auf dem Tisch.
Meet & Greet nennt sich diese Veranstaltung, auf der die Kleinpartei Volt neue Mitglieder kennenlernen will. Vier Interessierte sind gekommen, um sich darüber zu informieren, wie sie ein Teil der Partei werden können. Sie alle eint die Enttäuschung über die großen Parteien und die Begeisterung für Europa. Ein Teilnehmer outet sich als ehemaliges Junge Union Mitglied. Politisch interessiert sind sie alle. Ein Mann mit langen Haaren kommt leicht verspätet an den Tisch, er war schon vor ein paar Monaten bei einem der Treffen, doch findet kein vertrautes Gesicht mehr vor. Die Gesichter der Partei haben sich gewandelt. Trotzdem ist er sofort integriert, bei jeder Aussage der anderen nickt er enthusiastisch und streckt seinen Daumen in die Höhe.
Das Europa der Kleinparteien
Die Europawahl war die Wahl der Kleinparteien. Durch die fehlende Fünfprozenthürde zogen sieben Parteien aus Deutschland in das Europaparlament, welche zurzeit nicht im Bundestag sitzen. Die Partei Volt ist die erste paneuropäische Partei. Zur Europawahl trat sie in sieben Ländern an und erhielt ein Mandat und 0,7 Prozent der Stimmen aus Deutschland.
Auf der „Veggie & Frei von“-Messe in Stuttgart, zwischen veganem Döner und neuartigen Sojasprossen, steht Matthias Gottfried, Stadtrat und Mitglied der Tierschutzpartei. Er verteilt Flyer, auf welchen er und seine Partei für ein Umdenken in der Ernährungsindustrie und dem Verankern von Tierrechten im Grundgesetz werben. Der Duft von Gemüsebrühe liegt in der Luft, die Messe ist gut gefüllt, viele Familien mit Kindern sind gekommen, doch das eigentlich wohlwollende Publikum ignoriert den Stand weitestgehend. Nach einer Weile gibt Matthias Gottfried entmutigt auf und zieht sich hinter seinen Stand zurück.
Begonnen hat die politische Karriere des 32-Jährigen durch die Doku „Nie wieder Fleisch?“ auf Arte. „Ich habe gemerkt, dass meine Ernährungsweise nicht zu den moralischen Werten passt, welche ich eigentlich vertreten will“. Er wurde Veganer und schloss sich verschiedenen Tierrechtsaktionen an. Ein paar Jahre später lernte er dann bei einem Stammtisch die Tierschutzpartei kennen und wurde Mitglied.
Vom Stammtisch in den Gemeinderat
Seit diesem Sommer sitzt er nun für seine Partei im Gemeinderat von Stuttgart. Dort bildet er zusammen mit der Linken, den Piraten und SÖS die drittstärkste Fraktion im Gemeinderat. Die Fraktion ist größer als die der SPD, trotzdem werden sie von den Alteingesessenen immer noch belächelt. Auch beim Wahlkampf auf der Straße muss er sich Sätze wie: „Was seid ihr denn für Öko-Spinner“ anhören. Wofür das Ganze, wenn bei der letzten Bundestagswahl die Fünfprozenthürde mit 0,8 Prozent noch weit verfehlt wurde? Der Blick in die Zukunft motiviert den gelernten IT-Systemkaufmann. „Bei den U18-Wahlen liegt unsere Partei immer um die fünf Prozent, ginge es nach der Jugend säßen wir schon im Bundestag“.
Von einem Platz im Gemeinderat ist Volt noch ein Stück entfernt. Leonie von Lenthe ist ein Teil des Leader Duos von Volt in Stuttgart. Vater CDU-Mitglied aus Niedersachsen, sie selbst überzeugte Europäerin. Sie ist kurz nach der Gründung der Partei, zur Zeit des Brexits, beigetreten. Aus damals drei Leuten wurden 55 Mitglieder in Stuttgart. Über zehn Stunden pro Woche verbringt sie mit Arbeit für ihre Partei.
Den Vorteil ihrer Partei gegenüber den Etablierten sieht sie darin, dass sie gerade erst neu angefangen haben. „Ich glaube es ist schon schwieriger für große, ältere Parteien, alles noch einmal komplett umzustellen, anstatt alles neu aufzubauen“.
Weniger Mitglieder = Mehr Einfluss
Eine einzelne Stimme zählt mehr in einer Kleinpartei. Was bringt es allerdings, viel Einfluss in einer Partei zu haben, welche selber keinen Einfluss hat? Matthias Gottfried sieht trotzdem einen Weg wie kleinere Parteien auch ohne Mandate etwas bewegen können. „Die großen Parteien schauen auf uns und wenn sie sehen, da holt eine Partei zwei bis drei Prozent, übernehmen sie unsere Themen, um diese Prozente zurückzuholen.“ Die Motivation für 1,4 Prozent auf die Straße zu gehen und Wahlkampf zu betreiben, zieht er vor allem daraus, die Menschen zu informieren. „Wir machen im Wahlkampf eher Informationsarbeit und klären die Menschen über pflanzliche Ernährung auf. Das lohnt sich, selbst wenn man nicht in das Parlament kommt.“ Neben den ideologischen Gründen ist jede Stimme auch bares Geld: ab 0,5 Prozent erhalten die Parteien staatliche Mittel aus der Parteienfinanzierung. Dies ist für die kleinen Parteien überlebenswichtig.
Die Kleinen werden groß
Groß sind die Kleinen auf kommunaler Ebene. In vielen Gemeinderäten haben Kleinparteien einen Sitz und erhalten auch so immer mehr Bekanntheit. Bestes Beispiel für den Erfolg dieses Systems, sind die Freien Wähler in Bayern. Aus einer Kleinpartei, bestehend aus Bürgermeistern und Gemeinderäten, wurde eine Regierungspartei mit den Vizeministerpräsident von Bayern. Irgendwann sehen Leonie von Lenthe und Matthias Gottfried ihre Partei auch in Parlamenten mit fünf Prozent Hürde. „Unser Ziel ist es, unseren eigenen Balken bei Wahlen zu haben“ so Leonie von Lenthe. Nicht mehr in Grau, sondern in Hellgrün und Lila.