„Das war fast ein bisschen unheimlich. Wenige Anfragen und dann nahmen die aber stark zu.“
Frauenhäuser an ihren Grenzen
Ausgangsbeschränkungen, Kontaktreduzierung und Home-Office sind Maßnahmen, die in der Corona-Pandemie vor Ansteckungen schützen sollen. Während die Belastung für alle Familien und Wohngemeinschaften schon hoch ist, spitzt sich dies für Frauen und Kinder, die häusliche Gewalt erleiden, noch mehr zu. Gabi Allmendinger-Schaal, Mitarbeiterin des Frauen- und Kinderschutzhauses in Schwäbisch Hall, weiß von Frauen, die über einen gestiegenen Stresspegel und dadurch vermehrte Eskalation berichten. Die Enge der eigenen vier Wände würde aggressives Verhalten der Männer begünstigten. Sie wundert sich, wie ruhig es im März und April war. Die Hilfeanfragen waren in den Monaten geringer.
Anna Feistritzer, Mitarbeiterin des Frauenhauses „Frauen helfen Frauen e.V.“ in Stuttgart, vermutet, dass der Grund der wenigen Hilfeanfragen an den fehlenden Gelegenheiten lag. „Die müssen ja auch irgendwo in Ruhe telefonieren können“, erzählt sie. Wenn der Partner den ganzen Tag zu Hause ist, weil er im Home-Office arbeitet oder seine Arbeitsstelle verloren hat, stehen die Frauen unter ständiger Beobachtung und Kontrolle des Partners. Mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen nahmen die Anfragen dann schnell zu. Im Sommer seien so bis zu 15 Hilfeanfragen in der Woche reingekommen. Die Frauen konnten jedoch nicht immer aufgenommen werden und wurden zum Teil abgewiesen. Das Frauenhaus in Stuttgart sei die meiste Zeit über voll belegt gewesen und ist es zurzeit immer noch.
Hinzu kam, dass Corona-Maßnahmen teilweise zu einer Verknappung von Frauenhausplätzen führten. Das Frauenhaus in Schwäbisch Hall hat ein Zimmer freigehalten, für Frauen, die eventuell in Quarantäne müssen. Einige Frauenhäuser haben es so gehandhabt, doch dies wurde schnell aufgegeben. „Wir sind dann dazu übergegangen, dass wir Ausweichquartiere angemietet und die Frauen dort erstmal in Quarantäne gegeben haben“, erzählt Gabi Allmendinger-Schaal. Frauen, die in ihrer Region keinen Platz finden, müssen teilweise in einem anderen Landkreis und zur Not sogar in einem anderen Bundesland untergebracht werden.
Im Stuttgarter Frauenhaus versuchte man ebenfalls, die Situation zu entzerren. Dafür hat das Frauenhaus den Ort, der normalerweise für Versammlungen gedacht ist, zu einer kleinen Wohnung umfunktioniert. Ebenfalls wurde eine weitere Quarantäne-Wohnung geschaffen, wo sonst die Gruppenarbeiten mit Kindern stattfinden.
Allerdings ist die Platzproblematik kein coronaspezifisches Problem. Schon davor waren die Plätze in den Frauenhäusern sehr begrenzt. In der Istanbul-Konvention von 2011, einem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, wurde eine Anzahl an empfohlenen Frauenhausplätzen pro Einwohner errechnet. So sollte ein Familien-Zimmer pro 10.000 Einwohner vorhanden sein. Seit 2018 ist dies geltendes Gesetz in Deutschland. In Stuttgart fehlen demnach immer noch 69 Plätze und eine Verbesserung ist laut Anna Feistritzer nicht in Sicht. Dagegen sieht es für das Frauenhaus in Schwäbisch Hall besser aus: Im nächsten Jahr könnte dort schon ein neues Haus mit doppelt so vielen Plätzen bezogen werden. Aus einem Bericht vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages über den Sachstand der Frauenhäuser in Deutschland von 2019 geht hervor, dass jährlich rund 16.000 Frauen Zuflucht suchen. In Deutschland fehlen immer noch 14.600 Schutzplätze.
„Sich von dem gewalttätigen Partner zu trennen, das ist ganz oft ein langer Prozess.“
Die Frauenhäuser bieten für die Bedürftigen aber nicht nur Schutz an, sondern auch pädagogische Beratung durch die Frauenhaus-Mitarbeiter*innen. Manche Frauen sind noch nicht bereit, ihren Partner zu verlassen, und suchen daher das Gespräch. Frauen, die Hilfe suchen, können nach Absprache vorbeikommen und bei einem Spaziergang mit den Mitarbeiter*innen reden. Auch per Telefon und Video-Anruf können sich die Frauen Beratung einholen und müssen nicht extra den Weg auf sich nehmen. Aber nicht nur Frauen, die häusliche Gewalt erleiden, können sich Beratung und Hilfe holen, sondern auch Angehörige. Denn häusliche Gewalt betrifft nicht nur die Leidtragenden, sondern auch deren Umfeld.
Hier können Frauen nach Hilfe suchen
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet 24 Stunden Beratung in 17 verschiedenen Sprachen an.
Tel.: 08000 116 016 www.hilfetelefon.de
Webseite, um Frauenhäuser in Deutschland zu finden: www.frauenhauskoordinierung.de
Sollte kein Zugang zu einem Telefon oder anderen Geräten vorhanden sein, bietet die Initiative „Maske 19“ eine weitere Möglichkeit, vor Ort Hilfe zu erhalten. Ist das Codewort „Maske 19“ in Apotheken, Arztpraxen und Kliniken ausgeschildert, kann dort mit dem Codewort das Personal informiert werden und diese verständigen sofort die Polizei.