„Wenn Sie mich erwischt hätten, wäre ich entweder tot oder ein Minenarbeiter, der Steine zerbricht.“
Das System Balabanov
Ein kalter Dezembermorgen am Frankfurter Flughafen. Wir schreiben das Jahr 2021, die Corona-Inzidenz liegt ungefähr bei 280 und die Weihnachtszeit steht kurz vor der Tür. Zusammen mit meiner Freundin geht es nach Tampa, der drittgrößten Stadt Floridas. Für mich ist klar, dass es keine gewöhnliche Reise wird. Wir besuchen Ivan Balabanov – selbsternannter Philanthrop und Vater meiner Freundin. Für knapp drei Wochen werden wir in seiner großen Ranch im sonnigen Tampa leben. Diese dient zugleich als sein Übungsplatz, denn Ivan ist nicht irgendwer. Er gehört zu den bekanntesten Hundetrainern Amerikas – wenn nicht sogar weltweit. In der Hundebranche kennt jeder den Namen Balabanov mitsamt seinen Trainingsmethoden.
Amerika ist ein hundebegeistertes Land. Hier sind Hunde nicht bloß Tiere, sie gehören zur Familie. Das werde ich während meiner Reise schnell feststellen. Das erste Mal lernte ich Ivan Monate zuvor in Bulgarien kennen, seinem Heimatland. Nun lädt er uns über Weihnachten und Neujahr ein, um die Festtage bei ihm zu verbringen. Seit mehr als 30 Jahren lebt er in den Staaten. Die Motoren des Flugzeuges heulen auf, 16 Stunden Flugzeit liegen vor mir. Mich erwarten Sonnenschein, Freizeitparks und ein Haufen Kläffer. Bis dahin beschäftige ich mich mit halbwegs leckerem Flugzeug-Essen und Thriller-Streifen.
Von Sofia bis Sunshine State
Bis zur Ranch in Tampa Bay war es ein langer Weg für Ivan. Seine Geschichte beginnt 9.327 Kilometer weiter entfernt in Sofia, der Hauptstadt Bulgariens. Dort ist er 1962 geboren, dort verbrachte er seine Kindheit und Jugend. Das Land war ein kommunistischer Staat, geprägt von Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung von Minderheiten. Schon als Kind träumte Ivan von einem Hund – er wünschte sich nichts sehnlicher. Besitzen durfte er keinen, aufgrund seiner Eltern. Ihm wurde klar, dass seine Vision von einer Arbeit mit Hunden in Bulgarien nicht realisiert werden kann. Nach reiflicher Überlegung entschied er sich kurz vor dem Berliner Mauerfall aus seiner Heimat zu fliehen.
Mit ein paar bulgarischen Lew und einem Sack voller Kleidung steigt er in den Zug mit dem Ziel: Belgien. Zu seinem Glück wird er während seiner Durchreise nicht kontrolliert. In Belgien angekommen, erhält er als Flüchtling politisches Asyl. „Wenn Sie mich erwischt hätten, wäre ich entweder tot oder ein Minenarbeiter, der Steine zerbricht“, erzählt mir Ivan. Geflüchtete Personen wurden in Bulgarien bis 1989 als „Landesverräter*innen“ bezeichnet und zur Fahndung ausgeschrieben. All das riskierte Ivan, um seinen Traum zu verwirklichen.
In Belgien lebte sich Ivan schnell ein und kam mit etlichen Hundetrainern in Kontakt. Der richtige Durchbruch konnte ihm aber nur in einem Land gelingen: den USA. Die Vereinigten Staaten galten als Vorreiter für professionelle Hundeausbildung. Ivan beschloss, dort Fuß zu fassen. Er arbeitet erst als Ausbilder für Blindenhunde, ehe er die Stelle als Tierverhaltensforscher bei der Tierschutzorganisation SPCA in San Fransisco annimmt. Mit den Jahren wurde Ivan Profi in Hundeausbildung und Hundezucht. Mit „Ot Vitosha Ot Mailonis“ gründet er eine Zuchtstätte, die sich auf Familien-, Wettkampf- oder Polizeihunde spezialisiert. In Hundesport-Wettkämpfen holt er zwei Weltmeistertitel und zwölf nationale Titel. 30 Jahre Erfahrung stecken in den Knochen des knapp 1,90 Meter großen Mannes, der uns nun vom Flughafen-Gate in Tampa abholt.
Ivan steigt aus seiner leicht verstaubten, schwarzen Mercedes V-Klasse. Er ist direkt eine Erscheinung. Sein langes, dunkles Haar ist zu einem Pferdeschwanz gebunden, seine Haut braungebrannt vom Sunshine State. Sein Gesicht ist leicht faltig, er geht immerhin auf die 60 zu. „Welcome Guys“ begrüßt er uns mit stark bulgarischem Akzent und umarmt uns dabei. Die milde Brise von Tampa vermischt sich mit dem Gestank der Auspuffe, während die amerikanische Flagge auf dem Mast schwingt. Eingestiegen in das Auto, geht es Richtung Plant City, ein Stadtteil von Tampa. Dort lebt Ivan gemeinsam mit seiner dritten Ehefrau Natalia, die er durch den Hundesport kennengelernt hat.
Etwa eine halbe Stunde brauchen wir vom Flughafen, bis wir zu seinem Anwesen gelangen. Anfangs ist es noch ruhig, während im Hintergrund leises Radio läuft. Ivan wirkt beunruhigt. Er erzählt uns, dass einer seiner Welpen gestorben ist. Nach der Geburt wurde der Kleine in ein Krankenhaus gebracht – ohne Erfolg. Die Stimmung ist für den ersten Moment bedrückt, doch Ivan wechselt das Thema. Ich vermute, dass ihm die Stille selbst langsam unangenehm wird. Angekommen, öffnet er per Knopfdruck die Tore für die Einfahrt. Viel kann ich aus den getönten Fenstern nicht erkennen, es ist inzwischen nach Mitternacht. Die Flutlichter beleuchten seine große Grünfläche, auf der er täglich mit den Hunden trainiert. Etwas weiter passieren wir seine Trainingshalle und zwei Wohnwägen, bevor wir vor seiner Haustüre parken. Am Hauseingang werden wir stürmisch von Ice und Glinda begrüßt – zwei belgische Schäferhunde. Beiden werde ich während meinem Verbleib mehrmals am Tag begegnen.
American Way Of Life
Ivans Wecker klingelt jeden Morgen um 6 Uhr. Gerade aufgewacht mahlt seine Maschine aus den schwarzen Kaffeebohnen seinen morgendlichen Wachmacher. Gleichzeitig bereitet er sein liebstes Frühstück zu: Bacon mit Spiegelei, dazu das Gewürz von Everglade. Ohne diese Zutat schmeckt der amerikanische Klassiker nur halb so gut. Im Dezember ist es angenehm warm in Tampa. Ivan trägt nahezu jeden Tag sein Bandana. Mit gefülltem Magen öffnet er die ersten Käfige, aus denen die Hunde auf das Feld losrennen. Ein paar Male kann ich Ivan während seiner Einheiten am Trainingsgelände beobachten.
Man spürt die Verbindung zwischen ihm und seinen Tieren. Die glänzenden Augen und schwanzwedelnden Bewegungen der Vierbeiner zeigen das. Ivans Trainingsstil besteht aus einer Mischung von Rufsignalen, bestimmender Körpersprache und Bekräftigung. Gegen 21 Uhr geht ein Arbeitstag von Ivan meist dem Ende zu. Seinen Abend klingelt er nicht ungern mit einem Glas Bourbon und einer kubanischen Zigarre aus. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht. „Ich könnte jederzeit in Rente gehen, doch was soll ich dann den ganzen Tag machen? Am Strand liegen?“, fragt er rhetorisch.
Wie gespalten und polarisiert die Vereingten Staaten sind, zeigt sich auch an der Hundekultur. Laut Ivan zeigt sich auch hier der Unterschied zwischen Liberals und Republicans: Hundeführer*innen, die sich den Liberals zuordnen, neigen dazu, jegliche Regularien der Tierschutzverbände und zugehörigen US-Bundesstaaten zu folgen. Republikanische Hundebesitzer*innen hingegen scheuen nicht vor kontroversen Maßnahmen wie die Nutzung von Elektrohalsbändern zurück. Auch Ivan nutzt gelegentlich Elektrohalsbänder bei seinen Hunden. Er weiß, dass die Nutzung umstritten ist und genau aus diesem Grund spricht auf seinen Social-Media-Kanälen viel über das Thema. Er sagt, er wolle die Menschen aufklären.
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In Deutschland ist der Einsatz von Elektrohalsbändern für Hundehalter*innen strikt verboten. Laut Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzverbund wären solche Trainingsmethoden in Deutschland nicht tierschutzkonform. Nach Ansicht des Deutschen Tierschutzbundes sollte die Erziehung eines Hundes auf verhaltensbiologischen Erkenntnissen beruhen. Als ich mit Ivan auf das Thema zu sprechen komme, wird er ernst. „In Deutschland ist es oft so, dass die Menschen das machen, was die Regierung vorgibt. In den Staaten ist das anders, hier hinterfragen wir die Regeln mehr“, erklärt er mir. Für ihn könne die amerikanische und deutsche Hundekultur nicht unterschiedlicher sein. Ihm gefallen die strikten Regularien in den europäischen Staaten nicht, das lässt er mich deutlich wissen.
Das große Dilemma
Während meiner Tage in Ivans Ranch bin ich oft zwiegespalten. Es war beeindruckend zu sehen, wie er mit den Hunden kommuniziert, wie sie ihm auf Schritt und Tritt folgen, fast schon auf hypnotische Art und Weise. Doch oft stelle ich mir die Frage, ob seine Methoden wirklich vonnöten sind – Methoden wie der Einsatz des Elektrohalsbandes. Ivan erklärt mir, dass der Gebrauch solcher Halsbänder für manche Hunde unausweichlich sei, um störendes Verhalten zu beenden. „Hunde sind immer noch Hunde. Sie können Mensch oder Tier attackieren und jederzeit auf eine volle Straße zurennen. Diese elektronischen Impulse verhindern dies“, sagt er. Dennoch frage ich mich, ob diese Verhaltensprobleme nicht anders zu lösen sind.
An einem Tag besuche ich auch Ivans Hundezucht. Ivans Hündinnen können bis zu dreimal im Jahr werfen, also Welpen gebären. Laut dem Verband für das Deutsche Hundewesen soll eine Hündin innerhalb von 24 Monaten nicht mehr als zweimal werfen. Ivans Hundewelpen werden die ersten Wochen mit ihrer Mutter im Zwinger gehalten. Ivan versichert, dass das Wohl seiner Zuchthunde an erster Stelle stehe. Er investiert jährlich 20.000 US-Dollar, allein für medizinische und gentechnische Zwecke. Einige seiner Zuchthunde sterben trotzdem, weil sie zu schwach sind oder es zu Fehlgeburten kommt. Für ihn ist das der bittere Alltag und kalt lässt es ihn nicht.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich die Hundekultur Amerikas nicht manchmal überfordert hat. Die unterschiedlichen Ansätze in der Hundeerziehung zeigen mir deutlich, dass es für meine Fragen keine einfachen Antworten gibt. Die Achtung vor Ivans Lebensleistung steht im Kontrast zu meinen Bedenken über seine Zuchtpraktiken und Trainingsmethoden. Es fällt mir bis heute schwer, ein abschließendes Urteil dazu zu bilden.
18 Tage gehen schnell herum. Erneut steigen wir in Ivans schwarze V-Klasse ein, doch diesmal geht es zurück – nach Stuttgart. Im Parkhaus ruft Ivan nach unserer letzten Umarmung „Have a good one“ mit stark bulgarischem Akzent. Meine Schuhsohlen betreten Tampa Airport und wir sind aufgrund der nötigen PCR-Tests 180 Dollar ärmer. Meine Gedanken über Ivans Ranch werden von einer Durchsage unterbrochen: „Boarding completed“.
Der Redakteur steht in freundschaftlicher Beziehung zu dem Protagonisten.