Migration

„Immer der Ausländer“

Drilon und sein kleiner Bruder Agon
20. Mai 2018

Sie kamen für eine bessere Zukunft. Nun ist die zweite Generation albanischer Emigranten erwachsen geworden. Drilon Bublaku ist einer von ihnen. Geprägt von osteuropäischer Tradition und deutschem Alltag wächst der 20-Jährige in einer bayrischen Kleinstadt auf. Welche Probleme bringt der ständige Zwiespalt durch das Aufeinanderprallen zweier Kulturen mit sich? Welche Chancen?

Es ist wieder soweit. Bei Familie Bublaku werden die Taschen gepackt und unter logistischer Höchstleistung im blauen Siebensitzer verstaut. Wie jedes Jahr geht es 22 Stunden nonstop in den Kosovo zum Rest der Familie. Kofferraum, Dachbox und Rückbank sind bereits bis zum Anschlag gefüllt. Nicht zu vergessen: den Block Granit, den Vater Nuhi für ein Bauprojekt am albanischen Haus eingepackt hat. Auf dem Vordersitz bei Mutter Fitnete wird die Verpflegungsstation eingerichtet. Es riecht nach Börek und Pide, für den schnellen Hunger verteilt sie belegte Brötchen. Unter den vier Kindern beginnt der Kampf um die besten Plätze, möglichst vorne oder am Fenster. Das Radio stimmt mit albanischen Klängen auf das bevorstehende Reiseziel ein. Doch Drilon hört das schon nicht mehr, er setzt die Kopfhörer auf und dreht den Deutschrap laut.

Auf der Suche nach einem besseren Leben

An die Fahrten in die Heimat erinnert Drilon sich gerne zurück. Seine ganze Kindheit war geprägt vom Pendeln zwischen Deutschland und dem Kosovo, vom Einfluss zweier Kulturen, vom Leben zwischen Zuhause und Heimat. Geboren wurde er hier, seine Eltern im Kosovo. Wie viele andere Albaner kamen sie Mitte der 90er-Jahre auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland.

Ob seine Kindheit besonders gewesen sei? „Eigentlich nicht, sogar ziemlich normal“, sagt Drilon. Wenn er allerdings genauer darüber nachdenkt, fallen ihm immer wieder Dinge ein, die doch anders waren als bei deutschen Kindern. Das fing schon im Kindergarten an. Er konnte die Erzieherin nicht verstehen. Kein Wunder, hat er doch bis zum dritten Lebensjahr nicht ein Wort Deutsch gesprochen. Dr. Horst Schulmayer, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, sieht das kritisch. Laut dem Fachmann haben Kinder bessere Voraussetzungen, wenn die Eltern gegenüber der neuen Kultur offen sind, sich mit der fremden Sprache auseinandersetzen und Verständnis dafür zeigen, dass ihre Kinder nicht nahtlos an die eigenen Wurzeln anknüpfen können.

Aller Anfang ist schwer.

Dies fiel Drilons Eltern nicht immer leicht. Seine frühesten Kindheitserinnerungen zeigen, wie wenig Kontakt er in den ersten Jahren mit der deutschen Kultur hatte. Zuhause gab es nur albanisches Essen, es wurde nur albanisch gesprochen und seine ersten Spielkameraden waren ebenfalls Kinder albanischer Migranten. Er weiß noch, wie groß die Angst am ersten Tag im Kindergarten war. Nicht zuletzt durch die Hilfe seiner großen Schwester Djellza ist die anfängliche Furcht vor dem Fremden aber schnell vergessen. Drilon lernt die Sprache, findet neue Freunde und entdeckt seine große Leidenschaft, den Fußball. Er geht gerne in die Grundschule und ist sehr stolz, als er nach der vierten Klasse auf das städtische Gymnasium versetzt werden soll. Als erstes Kind in seiner Familie, als einziger Albaner im Jahrgang.

Für Dr. Schulmayer beweist Drilons Geschichte, wie positiv sich das Aufwachsen mit zwei Kulturen auf Kinder auswirken kann. 

Ob Drilon sich selbst als perfekt integriert sieht? Ja. Ob er trotzdem Vorurteile zu spüren bekommt? Auch ja. Aber zum Glück die meiste Zeit im spaßigen Kontext. Ein Geschichtslehrer ist ihm da besonders in Erinnerung geblieben.

Unterschiede in den kleinen Dingen

Neben Vorurteilen sind es vor allem die Unterschiede im Alltag, die Drilon im Vergleich zu deutschen Familien auffallen. Er erklärt diese gerne am Beispiel seines besten Freundes Lukas. Es sind ganz einfache Dinge, wie die Gesprächsthemen beim Abendessen. Bei Zeilers wird zu Brot und Käse über Schulnoten und die neue Hecke der Nachbarn philosophiert. Bei Bublakus wird laut und durcheinander geredet. Über Gott und die Welt. Dazu gibt es Pasul, eine albanische Variante des Bohneneintopfes. Auch Geburtstage werden in den osteuropäischen Familien nicht unbedingt bei Kaffee und Kuchen gefeiert. Freunde und Familie treffen sich zum Tee trinken, Fernsehen und wild Diskutieren. Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn da mal 30 Paar Schuhe vor der Haustür stehen. Doch Lukas und Drilon haben auch viele Gemeinsamkeiten. Seit ihrer Jugend feuern sie in der Allianz Arena ihren Verein, den FC Bayern, an oder hören die neuesten Alben deutscher Rapper. Und obwohl Drilons Familie an den Islam glaubt, stellt sie wie die meisten anderen deutschen Haushalte jedes Jahr einen Weihnachtsbaum auf.

 

„Nicht wegen Weihnachten, mehr so weil alle das machen und es zum Winter dazu gehört.“

 

Drilon Bublaku

Geschenke bekommen die Kinder aber nicht. Diese werden nur an muslimischen Feiertagen, wie dem Zuckerfest, verteilt. Solche Traditionen sind vor allem Drilons Vater sehr wichtig. „Papa hat sich über die Jahre hier gut integriert“, sagt Drilon, „doch er hat auch seine Eigenheiten.“ Wie viele Migranten legt er großen Wert auf die kulturellen Sitten und die Verbindung zu seiner Heimat. Für Drilon ist das einer der Gründe, warum die Rollenverteilung und Erziehung in albanischen Familien strikter gehandhabt wird als in deutschen. Bier trinken mit 16, wie es hierzulande erlaubt ist, kam bei ihm nicht infrage. Zumindest nicht unter Vater Nuhis Augen. Auch gibt es bei der Erziehung von Mädchen und Jungen teils große Unterschiede. Das sei typisch für die osteuropäische Kultur, sagt Drilon. Während er als Jugendlicher Grenzen leichter austesten konnte, wurde bei seinen Schwestern im selben Alter ganz genau auf die Regeln geachtet. Doch eine Sache ist bei allen Kindern gleich: Ihre späteren Ehepartner/-innen sollten auch aus Albanien kommen, wenn es nach seinen Eltern geht. Mit dem Gedanken an eine potentielle deutsche Schwiegertochter, kann sich Nuhi nur schwer anfreunden. Drilon dagegen ist es egal, welche Nationalität seine Zukünftige einmal haben wird. Solange sie nur jedes Jahr mit zur Familie in den Kosovo fährt.

Drilon bei seiner Abiturzeugnisvergabe 2016
Drilon und sein bester Freund Lukas beim Wandern
Statue des albanischen Nationalhelden Skanderberg im Wohnzimmer der Bublakus
Nach 22 Stunden Autofahrt endlich ankommen in der Heimatstadt Prizren

Endlich! Das Auto stoppt. Sie sind in Prizren, Kosovo. Drilon öffnet die Tür und streckt sich. Heute wird er noch etwas mit seinen Cousins unternehmen. Sie werden ihn ausfragen über Deutschland, den FC Bayern und seine neue Adidas-Hose. Vielleicht werden sie auch ein paar Witze reißen, wie deutsch er geworden ist. Trotzdem liebt es Drilon hier, es ist ja immerhin auch sein Zuhause. Obwohl, wenn er so darüber nachdenkt …