Arbeitsrecht

Brauchen Gewerkschaften einen frischen Anstrich?

Handschlag zwischen Arbeitskollegen.
Streiks im Trend? Gewerkschaften nutzen ihre Stimme und fordern Veränderung. | Quelle: Danah Ruf
11. Dez. 2023
Ihre Mitglieder werden weniger, ihre Arbeit bleibt wichtig. Eine sich wandelnde Arbeitswelt stellt die Gewerkschaften vor große Herausforderungen. Welche sind das, wie sieht die Zukunft für Gewerkschaften aus und brauchen wir sie eigentlich überhaupt noch?

Claus Schnabels Eltern waren beide in Gewerkschaften aktiv. Deshalb hat er schon als Kind am Küchentisch mitgeholfen, die Streikgelder abzufüllen. Das Erlebnis entflammte sein Interesse an Gewerkschaften. Heute ist er Professor am Institut für Wirtschaftsforschung mit dem Schwerpunkt Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Im Interview gibt Schnabel Antworten darauf, warum die fortschreitende Globalisierung, der technologische Wandel und die moderne Arbeitswelt die Rolle der Gewerkschaften neu definiert haben.

Inwiefern prägen Gewerkschaften in Deutschland aktuell das Leben von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

Gewerkschaften beeinflussen heutzutage zahlreiche Bereiche des öffentlichen Lebens. Eigentlich alles, was irgendwie mit dem Arbeitsmarkt zu tun hat: Neben der wichtigsten Aufgabe, Tariflöhne zu verhandeln, sind sie auch in der gemeinsamen Verwaltung der Sozialversicherungen oder bei der Bundesagentur für Arbeit aktiv. Sie werden zudem immer einbezogen, wenn es bei Parlamentsanhörungen um Arbeitsmarktfragen geht. Sie sind im Grunde auch eine politische Lobbygruppe für die Arbeitskräfte.

Was machen Gewerkschaften eigentlich?

Vereinfacht ausgedrückt sind Gewerkschaften ein Zusammenschluss von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die gemeinsam die Situation der Beschäftigten verbessern möchten. Wichtig ist dabei, dass sie von der Arbeitgeberseite unabhängig sind und sie üblicherweise das Recht haben, Tarifverträge zu vereinbaren.

Mitte des 19. Jahrhunderts erkannten Beschäftigte, dass sie von ihren Arbeitgebern ausgebeutet wurden. Wie wurden die Gewerkschaften dann gegründet?

Facharbeiter*innen, und nicht wie zu erwarten das verarmte Proletariat, schlossen sich zu den ersten Gewerkschaften zusammen und konnten durch ihr spezifisches Fachwissen Verhandlungsmacht erlangen. Auf dem Weg zu einer ausgewogenen Machtverteilung auf dem Arbeitsmarkt stellte dies einen wichtigen Schritt dar. Gewerkschaften verfügen heute über das Recht, zu streiken und stellen eine wirksame Stimme der Arbeitnehmer*innen in Politik und Wirtschaft dar.

Portraitfoto von Klaus Schnabel.
Claus Schnabel studierte Wirtschaftswissenschaften an der University of Kent at Canterbury in Großbritannien und an der Universität Hohenheim.
Quelle: Claus Schnabel

Zwischen damals und heute liegen hunderte Jahre und Gewerkschaften haben sich verändert. Was ist passiert?

Bis in die Weimarer Republik waren Gewerkschaften stark weltanschaulich fragmentiert und daher ökonomisch wie politisch nicht sehr effektiv. In der Nazi-Zeit wurden sie dann auch verboten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten sie wieder zurück: In Westdeutschland wurde der politisch neutrale Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gegründet, in dem das Prinzip gilt: „ein Betrieb, eine Gewerkschaft". In jedem Betrieb sollen die Beschäftigten also nur von einer Gewerkschaft vertreten werden, sodass keine Zersplitterung entsteht. Dieses Prinzip wird bis heute weitgehend beibehalten, sodass Gewerkschaften einen starken Einfluss haben und das zu ihrem Vorteil nutzen können. Das Recht, zu streiken, legaler Schutz und eine Stimme für Arbeitnehmer*innen zu sein, sind einige dieser Vorzüge, die aus der Herausforderung gewachsen sind.

Tarifverhandlungen sind für Gewerkschaften von entscheidender Bedeutung, denn sie bieten die Möglichkeit, Arbeitsbedingungen und Löhne für die Mitglieder zu verbessern. Sie sind auch der Grund dafür, dass Streiks stattfinden können. Wie diese Verhandlungen ablaufen, hat uns Herr Schnabel erklärt. Hier gibt's den Ablauf kurz zusammengefasst:

Um das Video anzuzeigen müssen Sie zuvor der Nutzung von Marketing Cookies zustimmen.

Natürlich gibt es aber auch Kritik, oder?

Kritisiert werden häufig hohe und wenig differenzierte Tarifabschlüsse, durch die Beschäftigungsmöglichkeiten nicht optimal genutzt werden. Außerdem ist die Grundfrage heute, ob Gewerkschaften wirklich noch die Interessen der Arbeitnehmerschaft vertreten, denn viele Beschäftigte bleiben ihnen fern. In Deutschland ist heute nur jede*r sechste Beschäftigte Mitglied einer Gewerkschaft, sodass die Repräsentativität der Gewerkschaften anzuzweifeln ist. Fraglich ist, ob Arbeitnehmer*innen überhaupt noch erreicht werden. Heute muss man viel individueller auf Interessen und Bedürfnisse der Arbeitskräfte eingehen als früher. Wenn den Gewerkschaften da keine Wende gelingt, drohen sie, irgendwann in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Wie könnte diese Wende gelingen?

Dafür gibt es kein Patentrezept. Aber es hat sich gezeigt, dass die Mitgliedergewinnung nur funktionieren kann, wenn die Gewerkschaften vor Ort rekrutieren, wenn sie die Beschäftigten direkt ansprechen und vor allem schon bei Jugendlichen anfangen.

Lukas Küfner und Victoria Ebnet von der EVG Jugend zu Gast im Gespräch über Gewerkschaften im Strukturwandel der Gesellschaft und ihre Zukunftsfähigkeit. | Quelle: Soundcloud

Inwiefern beeinflusst der Wandel in der Arbeitswelt die Funktionen, die Gewerkschaften künftig erfüllen müssen?

Gewerkschaften müssen sich nicht zuletzt auf die Digitalisierung einstellen. Entwicklungen wie Homeoffice, neue Kommunikationstechnologien oder dass sich der typische nine-to-five-Job auflöst, bringen neue Herausforderungen mit sich. Außerdem muss unser Arbeitsrecht in den nächsten Jahren deutlich überarbeitet werden, um neuen Herausforderungen einer digitalen Gesellschaft gerecht zu werden. Hierbei müssen sich die Gewerkschaften stärker in die Gesetzgebung einbringen und auch selbst mit den Arbeitgeber*innen moderne Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitregelungen vereinbaren.

Trotz dieser Herausforderungen sind die Gewerkschaften noch nicht zusammengebrochen. Wie lange kann das noch gutgehen und wie stellen Sie sich die nahe Zukunft der Gewerkschaften vor?

Die Gewerkschaften müssen die seit langem beobachtbare Mitgliedererosion stoppen und junge Arbeitnehmer*innen gewinnen. Das ist einfacher gesagt als getan, aber ich sage immer: „Totgesagte leben länger.“ Die Gewerkschaften haben es in der Vergangenheit immer wieder geschafft, sich neu zu erfinden. Und wenn sie auf die neuen Wünsche einer selbstbewussten Arbeitnehmerschaft eingehen, könnten sie das auch diesmal schaffen.

Streiken oder nicht streiken - das ist hier die Frage. Lehrende sind wichtig für die Bildung des Nachwuchses und fallen sie aus, kann das negative Folgen haben. Was trotzdem für oder gegen ein Streikrecht von Lehrer*innen spricht, lest ihr in unseren Pro- und Kontra-Kommentaren. Lehrkräfte auf die Straße! und Lehrkräfte in die Klassenzimmer! .