„Ich bin 13 Jahre alt“ – Von wegen!
Die meisten Social-Media-Plattformen sehen ein Mindestalter von 13 Jahren vor. Eingehalten wird dies in den seltensten Fällen. 92 Prozent der Zehn- bis Zwölfjährigen in Deutschland nutzten 2022 ein Smartphone – hauptsächlich für WhatsApp, aber auch Instagram und TikTok stehen hoch im Ranking. Das Problem: Die Plattformen schützen Kinder und Jugendliche völlig unzureichend vor gewaltvollen oder sexuellen Inhalten. Jugendliche stoßen ungefiltert auf Informationen, die sie so niemals in der Presse finden würden. Für Journalist*innen steht der Schutz der Identität von Minderjährigen auf der Prioritätenliste. Bei den Anbietern Sozialer Netzwerke scheint dies nicht der Fall zu sein.
Wir sprechen hier nämlich nicht nur von etwas mehr Haut, sondern von teils unzensierten Kriegsvideos, tödlichen Autounfällen und Vergewaltigungen. Ein Beispiel: Der „Devious-Licks-Trend“, bei dem sich junge Menschen bei Sachbeschädigungen oder Brandstiftung filmen und die Videos anschließend posten. Ein weiteres Thema, vor dem im letzten Jahr im Netz nicht Halt gemacht wurde: Junge Kinder, die sich gegenseitig abstechen. So auch die Tat in Freudenberg Anfang März 2023, als die zwölfjährige Luise von zwei Gleichaltrigen ermordet wurde. Auf Social Media? Ganz groß. Von teils anonymen Nutzer*innen wurden Spekulationen und Drohungen gegen die Beschuldigten veröffentlicht. Mutmaßliche Täterinnen hin oder her – diese Kinder waren definitiv zu jung, um öffentlich diskreditiert zu werden. Minderjährige müssen, vor allem online, verdeckt bleiben. Stattdessen haben zahlreiche Hashtags zu den Beschuldigten eine regelrechte Hexenjagd ausgelöst. Hass und Hetze? Das Synonym für Social Media. Die Formel lautet: Anonymisierung und Verrohung.
Auf allen Ebenen schädlich
48 Prozent der Kinder und Jugendlichen geben an, bereits mit verstörenden Inhalten in Berührung gewesen zu sein. Das sind völlig neue Dimensionen, mit denen nicht nur die Eltern überfordert sind. Wie zur Hölle sollen die Kinder selbst solche Inhalte verarbeiten? Mit dem Smartphone geben Eltern ihrem Kind ein scharfes Messer in die Hand. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich irgendwann selbst damit verletzt, ist groß. Vor allem zwischen neun und 14 Jahren ist das Gehirn in einer sensiblen Umbauphase und in einigen Teilen noch unterentwickelt. Dementsprechend ist es Kindern quasi unmöglich, solche Extremszenen richtig einzuordnen. Als wäre das nicht schlimm genug, fluten die Apps das Kindergehirn so mit Dopamin, sodass sie auch noch süchtig werden – und das ist leider heutzutage Realität. Oft geht die Nutzung sogar so weit, dass mehr Zeit an elektronischen Geräten als mit analogen Spielen und Freizeitaktivitäten verbracht wird. Trotz diesem Wissen sind die Plattform-Betreiber auch noch so dreist und richten sich mit ihren Inhalten hauptsächlich an Kinder und Jugendliche. Oder wie oft sieht man etwa einen Boomer stundenlang auf der „For-You-Page“ scrollen? Gleichzeitig schreiben sich die Sozialen Netzwerke dann aber ein Mindestalter auf die Fahne – welch Doppelmoral.
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Seit der 2018 eingetretenen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), müssen alle Nutzer*innen ausdrücklich zustimmen, dass ihre personenbezogenen Daten, also Name, Geburtsdatum und Wohnort, an Soziale Netzwerke übermittelt und von diesen verarbeitet werden dürfen. Einige Netzwerke gaben daraufhin an, die Konten deren Nutzer*innen zu deaktivieren, die dem erforderlichen Mindestalter nicht entsprechen. Alles schön und gut, aber sind wir einmal ehrlich: Die Überprüfung der Altersangaben ist den Betreibern doch nicht einmal möglich, wenn ohne jeglichen Identitätsnachweis beliebig Häkchen zur Altersbestätigung gesetzt werden können. Welche Elfjährigen sind dann noch so dumm und verweigern sich selbst den Zugang zur gewünschten App, wenn doch so einfach gemogelt werden kann? Die Hürde bei der Anmeldung wäre viel größer, wenn als Identitätsbestätigung der Personalausweis hinterlegt werden müsste. Solange dies jedoch nicht Pflicht ist, werden den Betreibern die Kontrollen sowie der Schutz der Kinder weiterhin massiv misslingen.
Handyverbot und Problem gelöst?
Klar, kein Kind hat Lust sein Smartphone abzugeben, wenn jede*r in der Schulklasse auch eines hat. Dann schießt man sich ja selbst ins Aus. Die Digitalisierung zu bremsen und die Kinder von der Online-Welt abzuschotten, wäre also ein utopischer Ansatz. Aber den Kindern heimlich im Zimmer hinter verschlossenen Türen medienkompetentes Handeln zuzutrauen? Niemals. Da braucht es Eltern, Erziehende oder Lehrende, die gemeinsam mit dem Kind im Netz unterwegs sind und mit ihm darüber reden, was dort eigentlich gerade abgeht. Denn die Inhalte und Bilder werden in Zukunft nicht weniger verstörend werden.
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