Prävention, Aktion, Feiersituation
Triggerwarnung: In diesem Bericht wird sexualisierte Gewalt thematisiert.
Jedes Wochenende füllen sich die Straßen Stuttgarts mit jungen Erwachsenen. Die Menschen sind in guter Laune, euphorisch und möchten in schöner Atmosphäre feiern. Doch wenn es zu sexueller Belästigung kommt, kann der Partyabend schnell zum Albtraum werden. Die Täter*innen zwingen ihrem Gegenüber den eigenen Willen auf und nutzen dessen Wehrlosigkeit aus. „Es geht nicht mehr um Erotik oder Lust, sondern um Machtverhalten“, heißt es in der Definition. Diese Macht reißen sich Täter*innen auf vielen Wegen an sich: Sei es, wenn sie Betroffenen etwas Anzügliches zurufen oder sie anfassen – egal, an welcher Körperstelle. Auch aufdringliches Verhalten und laszive Blicke gehören dazu, erklärt das Familienministerium. Es wird durch Handlung und Sprache gezielt erniedrigt. Laut dem Familienministerium (BMFSFJ) ist jede Handlung, die Betroffenen die sexuelle Selbstbestimmung nimmt, ein Akt der sexualisierten Gewalt.
Sexuelle Selbstbestimmung bedeutet, dass jeder Mensch das Recht hat, selbst zu entscheiden, an welchen sexuellen Handlungen er oder sie teilnehmen möchte. Der entscheidende Unterschied zwischen einer Annäherung und einem Übergriff ist das beiderseitige Einverständnis. Wenn eine*r von beiden unsicher ist oder etwas nicht will, hat er oder sie das Recht, das Geschehen ohne Erklärung oder Konsequenzen zu beenden.
Die Dunkelziffer weitaus höher
Die aktuellsten Zahlen des Bundeskriminalamtes zu sexuellen Übergriffen in Stuttgart stammen aus dem Jahr 2020. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Stuttgart rund 635 Tausend Menschen, Männer und Frauen zu etwa gleichen Teilen. Die 98 begangenen und angezeigten Straftaten wurden ausschließlich von Männern begangen. Das Phänomen ist nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf ganz Europa übertragbar: In der überwiegenden Zahl der Fälle gehen sexuelle Übergriffe von Männern aus (Quelle: Statista). Es wird bewusst von angezeigten Fällen gesprochen. Das Bundeskriminalamt (BKA) geht davon aus, dass nur etwa ein Prozent aller Fälle sexualisierter Gewalt in Deutschland angezeigt werden. Somit kann die Dunkelziffer nur geschätzt werden. Die Erklärung des BKA: Viele Opfer fürchten, keine ausreichenden Beweise vorlegen zu können. Außerdem, wollen viele Betroffene den Vorfall wegen der hohen psychischen Belastung so schnell wie möglich vergessen.
Hinweise können Notrufzentralen und Frauenhäuser geben. Betroffene und Angehörige können sich an diese Einrichtungen wenden. Und zwar zu jedem Zeitpunkt: Ob der Angriff in der Vergangenheit liegt oder zeitnah stattfand. Mit den Informationen der Einrichtungen kann sich jedoch nur an die Dunkelziffer angenähert werden. Aus einer Statistik des Bundesministeriums für Soziales und Integration aus dem Jahr 2018 geht hervor: „5 Tausend und mehr“ Frauen wurden Opfer von sexuellen Übergriffen oder häuslicher Gewalt.
Mit Kampagne Aufmerksamkeit schaffen
Die Länder wissen von dem Problem rund um sexualisierte Gewalt und wollen aktiv etwas dagegen unternehmen. Ein Ansatz bietet die Kampagne „nachtsam“. Unter „nachtsam. Mit Sicherheit besser feiern“ werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Clubs, Bars und Cafés geschult, wie sie das Nachtleben in Baden-Württemberg sicherer gestalten können. Verantwortlich dafür ist das Sozialministerium, welches die Kampagne im September 2021 ins Leben rief. Während die Kampagne zur Prävention beitragen soll, ist die Stuttgarter Frauenberatungsstelle „Fetz" Kooperationspartner. Fetz ist eine direkte Anlaufstelle für Betroffene. Wie die Zusammenarbeit läuft, erzählen Lena, Teil des nachtsam-Teams, und Monica, Mitarbeiterin der Frauenberatungsstelle, in unserem Podcast.
Das machen Stuttgarter Bars
Um das Thema Awareness und Sicherheit zu gewährleisten, ist es wichtig, dass das Personal in Bars und Clubs für jegliche Probleme sensibilisiert werden. Dafür gibt es bei größeren Veranstaltungen die sogenannten „Awareness-Teams“. Die Teams konzentrieren sich ausschließlich auf die Sicherheit. Doch neben solchen proaktiven Maßnahmen ist es ebenso wichtig, dass sich die Gäste trauen vor Ort nach Hilfe zu fragen. Da greift das Projekt „Nachtboje“ ein: In teilnehmenden und gekennzeichneten Bars kann jede*r nach Hilfe fragen. Sei es mit einem Glas Wasser, einem Ladekabel oder einem ruhigen Raum - die Mitarbeitenden garantieren einen Rückzugsort und die benötigte Unterstützung. Wie das genau aussehen kann, haben uns Mitarbeiter*innen aus dem Café „Galao“ und der Bar „Kap-Tormentoso“ erzählt. Mehr zum Thema und ihren Gedanken erfahrt ihr im folgenden Video:
Du fühlst dich unwohl oder dir ist etwas zugestoßen? Hier findet du Hilfe:
EVA Telefonbotschaft: 0711 29 23 33
Heimwegtelefon: 030 12074182 (deutschlandweit)
„Fetz" Frauenberatungs- und Therapiezentrum Stuttgart: 0711 2859001 / 0711 2859002
EVA Krisen- und Notfalldienst: 0180 511 0 444
„Weisser Ring": Gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern: 116006
Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen": 116016
Hilfetelefon „Gewalt gegen Männer": 0800 1239900
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