Sexualstrafrecht

„Ja heißt Ja“– Sex ohne Einverständnis muss strafbar werden

12. Mai 2022
„Sex muss freiwillig sein. Und ist es nicht freiwillig, ist es illegal“, so der ehemalige schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven zum Einverständnisgesetz in Schweden. Warum Deutschland sich daran ein Beispiel nehmen sollte. Ein Kommentar.

Triggerwarnung! In diesem Beitrag geht es um sexualisierte Gewalt.

Haben Sie „Nein“ gesagt? – Meist ist das die erste Frage, mit der die Polizei Betroffene von sexualisierter Gewalt konfrontiert, wenn sie eine Anzeige erstatten. Nach aktuellem Recht unter dem Grundsatz „Nein heißt Nein“ müssen Betroffene sich nämlich aktiv gegen unerwünschte Handlungen wehren, damit es zu einer Strafverfolgung kommen kann. Ein fehlendes „Nein“ heißt aber lange nicht, dass das Gegenüber mit Handlungen einverstanden ist. Sex ohne Einverständnis ist Vergewaltigung und muss strafrechtlich verfolgt werden.

Für eine Verschiebung der Verantwortung

Der Grundsatz „Nein heißt Nein“ setzt ein fatales Zeichen an alle, die von Grenzüberschreitungen überrumpelt wurden, die in eine Schockstarre verfielen, denen die Zeit gefehlt hat, um unübersichtliches Geschehen zu reflektieren. Er suggeriert, dass Betroffene selbst verantwortlich für die Taten sind, er verursacht eine sekundäre Viktimisierung und verhindert in zahlreichen Fällen die Strafverfolgung. Noch immer halten erschreckend viele Menschen Sex ohne Einverständnis für gerechtfertigt, zum Beispiel wenn die betroffene Person freizügige Kleidung trägt. „Ein neuer Grundsatz ist super wichtig, um im gesellschaftlichen Denken eine Verschiebung der Verantwortung hin zu Täter*innen zu erreichen“, sagt auch Maria Schrammen. Sie ist eine der Initiatorinnen der Petition „Ja heißt Ja“ mit über 44.000 Unterstützer*innen.

Wie stelle ich sexuellen Konsens her?

Am besten durch Nachfragen, zum Beispiel „Darf ich dich küssen?“. Das Einverständnis dazu kann verbal oder nonverbal ausgedrückt werden. Konsens muss zwischen den Beteiligten immer wieder neu verhandelt werden, denn selbstverständlich gilt ein „Ja“ zu einer Handlung nicht für immer und kann jederzeit zurückgezogen werden.

Was versteht man unter sekundärer Viktimisierung?

Durch unangemessene Reaktionen des sozialen Umfeldes, der Polizei oder des Gerichts werden Betroffene sexualisierter Gewalt häufig ein zweites Mal Opfer. Der Umgang von anderen mit dem Erlebten kann für Betroffene zu einer zusätzlichen Belastung werden.

Für eine höhere Anzeigebereitschaft

Tatsächlich wirkt es sich stark auf die Anzeigebereitschaft von Betroffenen aus, wie die Tat vom sozialen Umfeld und den Behörden bewertet wird: Der Social-Media-Kampagne #ichhabnichtangezeigt zufolge ist die Bereitschaft geringer, wenn Betroffene das Gefühl haben, für den Übergriff mitverantwortlich zu sein. Weniger als 14 Prozent der Betroffenen von sexualisierter Gewalt leiten strafrechtliche Schritte ein. Dabei kommt es seltener zu Anzeigen, wenn eine persönliche Verbindung zu Täter*innen besteht. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung werden Menschen aus dem persönlichen Umfeld jedoch am häufigsten zu Täter*innen. So haben etwa 28 Prozent der befragten Frauen der Partner 5-Studie von 2020 bereits sexualisierte Gewalt in einer Partner*innenschaft erlebt.

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Fast jede zweite Frau hat einen Vergewaltigungsversuch erlebt, aber nur wenige erstatten eine Anzeige. | Quelle: Allegra Knobloch

Für eine eindeutige Einvernehmlichkeit

Beteiligte nehmen Situationen unterschiedlich wahr, Passivität wird fälschlicherweise oft als Zustimmung gedeutet – wenn Menschen nicht zu Täter*innen werden wollen, muss Konsens hergestellt werden. „Das Image von Konsens ist in Deutschland richtig scheiße, weil viele Leute sich das Ganze sehr kompliziert vorstellen“, so Maria Schrammen. Aber Nein, es muss kein Vertrag aufgestellt werden und Nein, es kommt nicht zu einer Beweislastumkehr, bei der Täter*innen das „Ja“ nachweisen müssen. Auch unter „Ja heißt Ja“ steht weiterhin Aussage gegen Aussage, allerdings scheitert die Strafverfolgung nicht mehr an der Eingangsfrage, ob ein „Nein“ geäußert wurde. Das zeigt sich auch beim Einverständnisgesetz in Schweden: Dort gab es bereits mehrere erfolgreiche Verurteilungen nach dem neuen Grundsatz in sogenannten Fällen „unachtsamer Vergewaltigungen“.

Für die Umsetzung der Istanbul-Konvention

Mit der Istanbul-Konvention hat sich Deutschland 2018 neben 46 weiteren Mitgliedstaaten des Europarats dazu verpflichtet, sexualisierte Gewalt zu bekämpfen. Der völkerrechtliche Vertrag verlangt, „nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen“ unter Strafe zu stellen. Es ist also schon lange überfällig, dass wir die Istanbul-Konvention konsequent umsetzen, in dem wir unser Sexualstrafrecht reformieren und den Grundsatz „Ja heißt Ja“ darin verankern!

Hilfe für Betroffene:

Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 0800 01 16 016

Hilfetelefon sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530