Gewalt an Frauen 4 Minuten

Frauen, traut euch laut zu sein

Einer Frau wird gewaltsam der Mund zugehalten. (Symbolbild)
Selbst im Jahr 2024 trauen sich Frauen nicht, offen über sexualisierte Gewalt zu reden. (Symbolbild) | Quelle: Lili Lubkowitz

Dieser Artikel kann Themen enthalten, die als diskriminierend und verletzend empfunden werden könnten. Der Text beschäftigt sich mit folgenden sensiblen Inhalten: sexualisierter Gewalt gegen Frauen.


Bitte sei dir dessen bewusst und lies den Artikel entsprechend deiner persönlichen Sensibilität. Unsere Absicht ist es, respektvoll und einfühlsam zu berichten, um die Würde der betroffenen Personen zu wahren.

08. Juli 2024

Unsere Gesellschaft neigt dazu, Gewalt gegen Frauen als Tabuthema zu behandeln, obwohl fast jede Frau im Laufe ihres Lebens körperliche und verbale Grenzüberschreitungen erfährt. Frauen, traut euch laut zu sein. Männer, schaut nicht weg. Ein Kommentar.

 

 

Gewalt gegen Frauen ist ein allgegenwärtiges Problem in Deutschland. Es ist schockierend, dass fast jede Frau hierzulande bereits Opfer von Belästigung geworden ist. Jede siebte Frau erfährt im Laufe ihres Lebens einen strafbaren sexuellen Übergriff. Jeder Mensch hat das Recht auf ein gewaltfreies Leben, für Frauen und Mädchen ist dies in der Realität jedoch nicht oft gewährleistet.

Laut einer Untersuchung der europäischen Grundrechteagentur von 2014 erlebt jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexuelle Gewalt. Trotz der Schwere der Situation suchen nur etwa 20 Prozent der betroffenen Frauen Hilfe bei Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Scham, das Gefühl, der Vorfall sei nicht schlimm genug, und der Glaube, keine Hilfe zu benötigen. Diese Hindernisse zeigen, wie notwendig es ist, über Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren und die Stigmatisierung von Gewalt zu beenden. 

Leid auf allen Ebenen

Belästigung, körperliche, psychische und sexualisierte Gewalt sind alles Erscheinungsformen, mit denen Frauen im Laufe ihres Lebens konfrontiert werden. Sie schränken nicht nur die Freiheiten der Betroffenen ein, sondern auch ihre Lebenschancen. Im Alltag beginnt dies mit Catcalling und frauenfeindlicher Sprache und reicht bis zum Meiden bestimmter Orte aus Angst vor Übergriffen. Die Folgen sind weitreichend, besonders die psychischen Folgen können das Leben der betroffenen Frauen nachhaltig beeinflussen. 

Mann hält gewaltsam Frau fest
Gefährliche Nähe: Gewalt an Frauen wird oft von Menschen aus ihrem sozialen Umfeld verübt. (Symbolbild)
Quelle: Annika Pernes

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet Gewalt gegen Frauen als eines der größten Gesundheitsrisiken weltweit. Die Folgen reichen von körperlichen Verletzungen über psychische Probleme wie Depressionen und Suizidgedanken, bis hin zu Komplikationen bei Schwangerschaft oder Geburt. Als Bewältigungsstrategie greifen Frauen oft zu Drogen. Doch nicht nur sie, auch ihre familiären und sozialen Beziehungen leiden oftmals darunter. Einsamkeit, Konflikte mit dem sozialen Umfeld und Angst vor intimen Beziehungen gehen auch oft mit einher. 

Eine Vergewaltigung kann eine Frau ihr Leben lang verfolgen. Die 28-jährige Mara* wurde mit 16 Jahren nach einer Party von einem Bekannten vergewaltigt und kämpft bis heute mit diesem traumatischen Ereignis. In unserer Reportage „Ich dachte, ich könnte ihm vertrauen“ erzählt sie von ihrer Geschichte. 

Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt

Eine Studie zeigt, dass viele Männer ihr Verhalten nicht als Belästigung anerkennen, sondern es oft als harmlos oder sogar positiv empfinden. Manche Frauen besuchen Selbstverteidigungskurse, besitzen Pfefferspray oder entwickeln Strategien mit ihren Freundinnen, um Belästigungen beim Ausgehen zu vermeiden. Und Männer? Sie haben selten Berührungspunkte mit dieser Angst. Frauen meiden bestimmte Orte, wenn sie nachts alleine unterwegs sind. Und Männer? Sie machen sich darüber meist keine Gedanken. Welches Verhalten wir uns von Männern wünschen, steht in unserem Brief. 

Die Angst vor der Anzeige

„Pass auf dich auf, zieh dich nicht so knapp an und geh nicht mit einem Mann mit.“ Diese Aussagen prägen nicht nur die Kindheit vieler Frauen, sondern offenbaren auch eine tief verwurzelte, sexistische gesellschaftliche Realität. Trotz einer Verschärfung des deutschen Sexualstrafrechts im Jahr 2016 bleibt die Dunkelziffer der Opfer erschreckend hoch. Viele Frauen haben Angst vor den zermürbenden Gerichtsverfahren und der sozialen Ausgrenzung, die oft mit einer Anzeige einhergehen. Zudem kommt es nur in etwa 5 bis 15 Prozent der angezeigten Fälle tatsächlich zu einer Verurteilung.  

Die Podcastfolge „Sexuelle Gewalt: Was sind Herausforderungen in der Justiz“ thematisiert sexuelle Gewalt und die oftmals mangelnde Sensibilisierung der deutschen Justiz. Eine Betroffene teilt ihre Geschichte und berichtet von den Herausforderungen, denen sie sich stellen musste. Gemeinsam mit der Psychologin Tabea Konrad werden verbreitete Mythen über dieses Thema aufgedeckt. 

Selbst im Jahr 2024 wird Gewalt gegen Frauen nach wie vor verharmlost. Es ist notwendig, das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen und die Unterstützung für betroffene Frauen massiv zu verstärken. Nur so kann es gelingen, das Stigma zu durchbrechen und Frauen ein Leben frei von Gewalt zu ermöglichen. Es darf keine Ausreden mehr geben. Es ist höchste Zeit, entschieden zu handeln.

*Die Namen der Protagonistinnen wurden geändert, die echten Identitäten sind der Redaktion jedoch bekannt.