„Feel the rain on your skin. No one else can feel it for you.”
Optimismus auf Play
Ich ertappe mich oft dabei, meine Körpersprache und mein Auftreten an das anzupassen, was mir gerade auf das Trommelfell prallt. Manchmal fühlt es sich sogar so an, als wäre das Leben ein Musikvideo. Warum also das selbstgeschaffene Aggressionspotenzial ausleben, Ellenbogen raus und „In-die-Fresse-Rap, jetzt gibt's Heckmeck“ – Mucke hören und nicht das Gesicht der Sonne hinstrecken und mit „Live your life with arms wide open“ durch den Alltag schweben?
Die Welt in einem neuen Klang erleben
Heute entscheide ich mich aktiv dafür, meinen Tag vom all time Classic „Unwritten“ von Natasha Bedingfield leiten zu lassen. Seit der Veröffentlichung im Jahr 2004 hat dieses Lied uns immer wieder den Weg aus negativen Gedanken gezeigt. Lächelnd ertappe ich mich dabei, wie ich zum Beat der Musik durch die überfüllte Innenstadt flaniere. Bedingfields Song erinnert mich daran, dass wir nicht nur passive Zuschauer sind, sondern die Autoren unserer eigenen Geschichte: „Feel the rain on your skin. No one else can feel it for you.“ So, als ob sie uns beibringen möchte, wie man endlich die Kontrolle übernimmt. Um mich herum trotten Menschen durch ihren farblosen Alltag und dennoch nehme ich die dunklen Gemüter, die mit der goldenen Abendsonne fusionieren, positiv wahr. Krass, wie man durch eine ermutigende Titelmusik seine Wahrnehmung verändert.
„Sometimes my tries are outside the lines. We've been conditioned to not make mistakes, but I can't live that way.“ Diese Zeilen scheinen für uns alle verfasst worden zu sein, für uns, die tagtäglich unter der Last perfekter Selbstbeherrschung leiden. Alle, die den ständigen Druck spüren, jeden Schritt fehlerfrei zu setzen, als wäre das Leben ein schmaler Grat, den man nicht betreten darf, ohne die Balance zu verlieren. „Live your life with arms wide open“, – singt sie und ich stelle mir vor, wie es wohl wäre, wenn alle mit offenen Armen durchs Leben gehen.
Nummer-eins-Hit: Pessimismus
Aber mal ehrlich – könnte diese Welt nicht ein bisschen mehr Optimismus vertragen? Es scheint fast so, als hätten wir uns kollektiv auf eine Playlist von Pessimismus und Drama geeinigt. Ein ständiger Mix aus „Es gibt größere Probleme als meine“ und „Keiner versteht mich, nicht mal ich selbst“. Wo sind die Songs, die uns zurufen: „Hey, das Leben ist vielleicht gar nicht so schlecht!“? Wenn ich mich so umschaue, scheint es so, als sei die unaufhörliche Kritik der Gesellschaft die Nummer Eins der Hitparade – eine Symphonie des Pessimismus, die uns regelmäßig daran erinnert, dass wir nie genug sind. Mich packt der Drang alle Menschen zum Hören dieses Liedes zu zwingen.
Nach zehnmal Unwritten in Dauerschleife merke ich, wie die Euphorie, der Optimismus und das Selbstvertrauen meinen Körper erfüllen. Ich bin begeistert von meiner Erkenntnis, wie sehr Musik das Empfinden des Umfelds und das Selbstbild verändern kann. Da ich mich aber dem überfüllten Bahnsteig nähere, skippe ich meine Selbstliebeakkuaufladung und klicke auf einen Song von Haftbefehl. Ich will schließlich einen Sitzplatz in der einfahrenden Bahn. Also Ellenbogen raus, jetzt gibt’s Heckmeck.
Hinweis:
Dieser Beitrag ist Teil des Kolumnenformats „Der Sound unserer Zeit". Weitere Folgen der Kolumne sind: