Ich wusste sofort, dass Deutschland die richtige Entscheidung war.
Ein neues Leben in Deutschland
07. Oktober 2018, am Flughafen in Sofia. Ich stehe vor der Rolltreppe, die zur Sicherheitskontrolle führt. Heute ist der Tag gekommen, an dem ich nach Deutschland ziehe, um dort zu studieren. Ich drehe mich ein letztes Mal zu meinen Eltern, die mir zuwinken. Meine Mutter lächelt mit Tränen in den Augen und ruft hinter mir her: „Hast du Sucuk eingepackt?“ Das waren also die letzten Worte meiner Mutter, bevor ich mein Land zum ersten Mal verlassen sollte. Ob ich an „Sucuk“ gedacht habe. An die türkische Knoblauchwurst, die auch in Bulgarien sehr beliebt ist. Man bleibt niemals hungrig, wenn man ein Stück Sucuk in der Tasche hat, heißt es. Deshalb kann ich euch versichern, dass es an den Flughäfen keinen einzigen bulgarischen Studenten gibt, der nicht mindestens ein Stück in seinem Rucksack hat. Das war also mein emotionaler Abschied von meinen Eltern und meinem Land.
Wie alles begann
Schon seit der 8. Klasse habe ich mir gewünscht, im Ausland zu studieren. Ich wusste aber nicht, wo genau. Das Einzige, was ich wusste: Ich wollte ein Gymnasium besuchen, das verschiedene Fremdsprachen im Angebot hat. Denn ich wollte eine komplett neue Sprache lernen. Doch in meinem Wunsch, im Ausland zu studieren, habe ich mich wahrscheinlich auch von meiner kompletten Familie beeinflussen lassen. Sie wollten, dass ich woanders studiere, weil sie die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Bulgarien schon seit Jahren schlecht finden. Ich habe Deutsch als meine erste Fremdsprache gewählt und für eine 10-tägige Klassenfahrt gingen wir mit der Klasse nach München. Da wurde mir klar, dass ich hier genau richtig bin.
Erster Eindruck
Fünf Jahre später wurde ich endlich an der Universität Stuttgart angenommen – im Studiengang technisch orientierte Betriebswirtschaftslehre. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich zum ersten Mal am Bahnhof stand und mich umsah. Stuttgart erschien mir damals wie eine riesige Stadt, größer sogar als München. Später habe ich festgestellt, dass das gar nicht der Fall ist. Aber dafür ist Stuttgart eine sehr gute Mischung aus Urbanität und ursprünglicher Natur.
Noch in der ersten Woche habe ich die schönsten Orte in Stuttgart erkundigt, wie der Höhenpark Killesberg, den Max-Eyth See und die Grabkapelle auf dem Württemberg. Ich habe mir vorgenommen, möglichst viel zu sehen, bevor das Semester beginnen sollte. Parallel zu meiner Motivation, Stuttgart zu erkunden, hatte ich aber auch Angst vor den Herausforderungen, die auf mich warteten.
Erste Herausforderungen in Deutschland
Die ersten zwei bis drei Monaten waren sehr schwierig. In Bulgarien lernte ich zuvor fünf Jahre lang Deutsch. Plötzlich fühlte es sich so an, als ob das ganze Sprachwissen verschwunden wäre. Außerdem konnte ich gar nicht nachvollziehen, warum ich jeden Monat für das Fernsehen zahlen muss, obwohl ich gar keinen Fernseher hatte. Für mich war die größte Herausforderung allerdings, dass sonntags kein einziges Geschäft offen hat. Trotz der Unterstützung von meiner Familie und Freunden habe ich mich oft einsam gefühlt. Aber gleichzeitig war ich aufgeregt. Ich wusste nicht, was alles noch auf mich zukommen sollte.
Kurz über „meinen Freund“ – Ivaylo
Meine Familie habe ich zwar in Bulgarien hinter mir gelassen, aber ganz so allein bin ich nicht nach Deutschland gereist. Ivaylo, mein bester Freund aus der Schule, wurde auch in der gleichen Universität angenommen, doch als Architekturstudent. Am Anfang habe ich zu jedem gesagt: „Das ist mein Freund Ivaylo“. Alle haben sich gedacht, dass wir zusammen sind. Bis ich erfuhr, dass man seinen besten Freund in Deutschland anders vorstellt.
Seine ersten Erfahrungen in Deutschland unterscheiden sich von meinen. „Ich wusste sofort, dass Deutschland die richtige Entscheidung war“, sagt er. „Ich war mit der Universität und dem Studiengang sehr zufrieden. Ich finde auch die deutsche Kultur sehr beeindruckend“, so Ivo.
Außerdem hat er an der Universität recht schnell Freunde gefunden, was für mich sehr überraschend war, da ich immer noch ein Einzelgänger war. „Ich kann nicht sagen, dass ich mich schnell integriert habe, aber es ging definitiv schneller, als ich erwartet habe“, sagt er. Im ersten Semester gab es viele Gruppenarbeiten bei ihm. Die Studierenden wurden in kleinere Gruppen aufgeteilt und jede Gruppe hatte einen Arbeitsraum. Meines Erachtens ist das eine gute Voraussetzung, Kontakte und Freundschaften zu knüpfen.
Eine unüberlegte Entscheidung
Im Vergleich zu Ivo, habe ich mich komplett unterschiedlich gefühlt. Der Studiengang war nicht der richtige für mich. Die Erschöpfung und die Unzufriedenheit mit meinem Leben haben dazu geführt, alles wegzuwerfen und mich exmatrikulieren lassen.
Das war auf jeden Fall nicht die durchdachteste Entscheidung meines Lebens. Kurz darauf musste ich aus meinem Wohnheim ausziehen, weil ich meine Studentenrechte verloren hatte. Im Grunde genommen, hatte ich eine Zeit lang kein Dach über dem Kopf, aber dann habe ich einen Job gefunden und bin dann umgezogen.
Ich habe als Eventservicekraft gearbeitet. Plötzlich habe ich mich in einer Situation befunden, in der ich eine höhere Miete, eine Monatskarte für den Nahverkehr und eine Krankenversicherung zahlen musste. Als Student zahlt man die Hälfte. Ich wusste aber schon, dass ich weiterstudieren möchte. Die einzige Frage war, was und wo genau?
Ein neuer Versuch an der Hochschue der Medien
Meine Arbeitskollegin hatte mich damals von der Hochschule der Medien überzeugt. Noch heute sind wir befreundet. Mein Interesse war also geweckt und ich fing an, zu recherchieren. Durch die Social-Media-Kanäle erfuhr ich mehr über die vielen Initiativen, die es an der HdM gibt, wie z.B Media Night. Die verschiedenen Möglichkeiten für ein kreatives Denken fand ich auch sehr beeindruckend. Die Hochschule hatte tatsächlich einen sehr guten Ruf und vielfältige Studiengänge. Es hatte nicht lange gedauert, bis ich all meine Unterlagen vorbereitete und mich bewarb.
Universität vs. Hochschule
Seitdem ich an der Hochschule der Medien studiere, habe ich angefangen mich selbstbewusster zu fühlen und konnte mein neues Leben hier immer mehr genießen. Dort habe ich viele Freunde gefunden und musste nicht mehr allein in die Mensa gehen. Die Studierenden an der HdM sind ganz anders als die an der Universität Stuttgart. Vielleicht liegt das daran, dass an der Universität Stuttgart mehr Personen studieren und die Kommunikation unter den Studierenden dadurch erschwerter ist. Wir waren 150 Leute nur in unserem Studiengang. Die Räume waren dort riesig und völlig überfüllt.
Bei der HdM ist es das komplette Gegenteil. Man kommt seinen Kommiliton*innen näher und bekommt die Möglichkeit, sie besser kennenzulernen.
Es muss auch nicht unerwähnt bleiben, dass an der HdM ganz viele Bulgaren*innen studieren. Wir haben uns alle kennengelernt, sind uns nähergekommen und sind schon jahrelang befreundet. Wir helfen uns gegenseitig, egal ob es sich um einen Umzug oder um Liebeskummer handelt. Da jeder von uns entfernt von der Familie lebt und da wir uns auf niemanden sonst verlassen können, sind wir wie eine große Familie geworden.
Ich finde sehr interessant, dass die Studierenden in Deutschland aus vielen verschiedenen Herkunftsländern kommen. Und die Bulgaren*innen sind nur ein kleiner Teil davon. Laut einer Statistik waren China, die Türkei und Indien die größten Herkunftsländer von ausländischen Student*innen im Wintersemester 2021/2022. Danach folgen auch Syrien, Österreich, Italien, Russland und Iran. Darüber hinaus bekommen alle Ausländer die Möglichkeit nicht nur die deutsche, sondern auch andere Kulturen aus der ganzen Welt zu erleben.
Wieso hat sich der ganze Stress gelohnt?
Auf keinen Fall ist das Leben als ausländische Studierende in Deutschland so anstrengend, wie ich es beschrieben habe. Das war nur der Anfang und jeder Anfang ist schwierig. Trotz allem, was ich erlebt habe, bereue ich die Exmatrikulation von der Uni Stuttgart nicht. Doch, genau das Richtige habe ich getan. Ich fühle mich zwar nicht vollständig integriert, aber bisher genug. Mir ist bewusst, dass die Integration viel Zeit braucht. Ich pflege den Kontakt zu meinen deutschen Freund*innen und Kommiliton*innen. Sie sind alle nett und immer bereit zu helfen. Das Leben in Deutschland hat mich gelehrt, selbstständiger zu sein, Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen und mit den Konsequenzen zu leben. Ich habe bisher viel gelernt und habe noch einiges zu lernen. Ich bin gespannt, was die Zukunft für mich bereithält.