Ukrainische Geflüchtete: Die Suche nach Arbeit
Seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs im Februar 2022 haben 4,2 Millionen Geflüchtete temporären Schutz in Europa gefunden, davon über eine Million in Deutschland. Die meisten von ihnen sind hoch qualifiziert, teilte das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mit. 68 Prozent der erwerbsfähigen Erwachsenen haben einen Hochschulabschluss, weitere 16 Prozent eine Berufsausbildung. Weiter geben 93 Prozent der Geflüchteten an, arbeiten zu wollen. Trotzdem sind nur 19 Prozent in Arbeit. „Die niedrige Erwerbstätigkeit ist besorgniserregend“, sagt Migrationsforscher Dietrich Thränhardt dem MDR. Und zwar nicht nur, weil Arbeitskraft trotz des Fachkräftemangels ungenutzt bleibt. Er ist überzeugt: „Arbeit ist ein Schlüssel zur Integration. Wenn man eigenes Geld verdient, erwirbt man Selbstvertrauen und Respekt, hat Kontakte auf gleicher Ebene und lernt damit auch die Sprache schneller.“
Das Porträt einer ukrainischen Geflüchteten
Eine der vielen Geflüchteten auf der Suche nach Arbeit ist Diana Radochyna. Sie floh zwei Monate nach Kriegsbeginn über Tschechien nach Deutschland. Trotz Studium und Informatik-Ausbildung in der Ukraine hat sie bislang keine Arbeit gefunden. Wir haben die 22-Jährige in ihrem Wohnort Ammerbuch getroffen und mit ihr über ihre Herausforderungen mit Sprache und Bürokratie sowie ihre Ziele in Deutschland gesprochen.
Besonderer Aufenthaltsstatus für ukrainische Geflüchtete
Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflüchtet sind, verfügen in Deutschland derzeit über einen besonderen Aufenthaltsstatus. Anders als Geflüchtete aus anderen Ländern unterliegen Ukrainer*innen keinem Arbeitsverbot und müssen kein Asylverfahren durchlaufen. Seit Juni letzten Jahres wird arbeitslosen Geflüchteten aus der Ukraine unbefristet Bürgergeld ausgezahlt. So erhalten alleinstehende Erwachsene 502 Euro und pro Kind weitere 420 Euro. Zudem können Wohn- und Nebenkosten bei Bedarf übernommen werden. Für Asylsuchende liegt der Satz hingegen bei nur 410 Euro. Insgesamt zahlt der Staat jeden Monat 480 Millionen Euro Bürgergeld an 700.000 Ukrainer*innen. 220.000 von ihnen sind zu alt, zu jung oder können aufgrund einer Erkrankung nicht arbeiten. Die übrigen 480.000 sind erwerbsfähig, gehen aber aus verschiedenen Gründen keiner Arbeit nach.
Migrationsexperten kritisieren politische Debatte
Der Landratkreis Baden-Württemberg um Joachim Walter (CDU) aus dem Kreis Tübingen macht die „hohen Zahlungen“ für die geringe Erwerbsquote ukrainischer Geflüchteter verantwortlich. Zustimmung kommt aus Thüringen. Matthias Jendricke (SPD) sagte gegenüber dem Spiegel: „Mit dem Bürgergeld hat man es ihnen zu nett gemacht. Dann ist einfach das Sofa gemütlicher als der Deutschkurs.“ Widerspruch kommt aus der eigenen Partei. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh betonte: „Was uns nicht helfen wird, sind Leistungskürzungen und Stimmungsmache gegen Geflüchtete.“ Immerhin habe sich Deutschland bewusst dazu entschieden, den Ukrainer*innen beizustehen. „Das sollte man in so einer Debatte nicht leichtfertig revidieren“, sagte Lindh dem Spiegel.
Arbeitsmarktexperte Herbert Brücker sieht keinen Zusammenhang zwischen Bürgergeld und Arbeitsquote. Im Spiegel führt er die niedrige Beschäftigungsrate stattdessen auf den hohen Anteil an Frauen unter den Geflüchteten zurück, die Kinder betreuen oder ältere Angehörige pflegen. Laut einer Erhebung des Bundesinnenministeriums sind über 80 Prozent der erwachsenen Geflüchteten Frauen. Von ihnen ist die Mehrheit ohne Partner, aber knapp die Hälfte mit minderjährigen Kindern, meist im Vorschul- oder Grundschulalter, nach Deutschland gekommen.
Auch Migrationsforscher Thränhardt kritisiert die deutsche Debatte. Es herrsche der Eindruck vor, dass Geflüchtete immer eine finanzielle Belastung sein müssen, so der Migrationsforscher im MDR. Dabei ist es in Polen aber sogar so, dass das staatliche Wirtschaftsinstitut für dieses Jahr mit mehr Steuereinnahmen als Ausgaben für ukrainische Geflüchtete rechnet.
Internationaler Vergleich
Auf europäischer Ebene leisten die Niederlande und Dänemark ähnlich hohe finanzielle Unterstützung wie Deutschland. Dafür ist dort ein deutlich größerer Teil der ukrainischen Geflüchteten erwerbstätig, das zeigt eine Analyse Thränhardts für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Noch niedriger als in Deutschland ist der Anteil arbeitender Ukrainer*innen in Österreich und der Schweiz mit 14 und 10 Prozent und das bei deutlich geringeren Sozialleistungen. Um zu Arbeiten müssen Geflüchtete in beiden Ländern eine Bewilligung beantragen. Polen, Tschechien, Dänemark, die Niederlande und Irland nutzen hingegen einfache und digitale One-Stop-Verfahren. Das heißt, der gesamte Aufnahmeprozess – vom Rechtsstatus bis zur Arbeitserlaubnis – kann in einem Schritt, teilweise sogar noch am Flughafen, abgewickelt werden. Tschechien ist das beliebteste Zielland unter den Geflüchteten, jede*r 30. Einwohner*in des Landes kommt inzwischen aus der Ukraine. Die Arbeitsquote liegt bei 50 Prozent. Ukrainische Geflüchtete erhalten nach der Einreise eine „außerordentliche Soforthilfe“ von umgerechnet 200 Euro für sechs Monate. Danach sinken die Leistungen.
Trotz der teilweise sehr hohen Beschäftigungsquote ist es bisher keinem europäischen Land gelungen, die guten Qualifikationen der Ukrainer*innen auch zu nutzen. Zu diesem Ergebnis kommt Thränhardts Analyse. Die meisten arbeiten im Niedriglohnsektor.
Deutsche Bürokratie stellt Hindernisse
Im Vergleich zu Geflüchteten aus anderen Ländern, verläuft die Integration der Ukrainer*innen in den deutschen Arbeitsmarkt schneller. Das geht aus einem Kurzbericht der IAB hervor. Zwar sind derzeit nur 19 Prozent erwerbstätig, aber unter den Geflüchteten, die bereits ein Jahr oder länger in Deutschland leben, liegt die Quote bei 28 Prozent. Von den Asylbewerber*innen und Kriegsgeflüchteten aus anderen Ländern arbeiten nach einem Jahr nur acht bis zehn Prozent.