„Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, Kinder in sexualisierenden Posen darzustellen.“
Wenn Social Media zum Familienalbum wird
Toyah Diebel ist fassungslos. Schon wieder eine dieser Family-Influencer*innen, die ihr Kind im Netz bloßstellt. Ob aus der Waschmaschine guckend, als Geschirr in der Spülmaschine platziert oder über den Toaster gehalten. Entsetzt scrollt sie weiter durch das Profil der Bloggerin. Das Kind ist in fast jedem Instagram-Post in den skurrilsten Posen zu sehen. Toyah ist selbst Influencerin und Mutter. Die vermeintlich süßen Bilder findet sie jedoch überhaupt nicht lustig. Kurzerhand stellt sie die Bilder auf ihrem Instagram-Kanal nach und photoshopt ihren eigenen Kopf auf den des Kindes. „Ich habe das einfach verarscht“, blickt sie auf die Aktion zurück. Das kommt bei der jungen Family-Influencerin gar nicht gut an. „Sie ist dann total ausgetickt und fand das unmöglich“, erzählt Toyah.
Durch diesen Vorfall wird Toyah eines erst richtig klar: „Das ist nicht etwas, worüber man sich einfach nur lustig machen kann, sondern das ist wirklich ein Problem.“
Sharenting
Der Begriff „Sharenting” setzt sich aus „sharing” (dt.: teilen) und „parenting” (dt.: Kindererziehung) zusammen. Eltern teilen demnach Bilder ihrer Kinder auf den sozialen Medien und dokumentieren das Familienleben in einem öffentlich zugänglichen Raum.
Mehr als süße Kinderbilder
In den sozialen Medien häufen sich Accounts von sogenannten „Family-Influencer*innen”. Diese „Sharenting”-Kanäle legen den Fokus ihres Contents auf die eigene Familie und ihre Kinder. Ulla Autenrieth fand innerhalb der Studie „Kinderbilder im Social Web” aus dem Jahr 2017 heraus, dass 62 Prozent der Eltern von Kindern im Alter bis zu zwei Jahren Bilder ihres Nachwuchses auf Online-Plattformen teilen. Die Leidtragenden seien dabei die Kinder, ist sich Toyah sicher. Und die werden oft nicht nach ihrer Zustimmung gefragt. „Was ist, wenn das Kind irgendwann sieht, dass seine Mutter ab der Geburt sein ganzes Leben dokumentiert und ins Internet gestellt hat? Ich bin ein gläserner Mensch. Menschen kennen mich, bevor ich mich kenne.”
Und nicht nur das. Jugendschutz.net hat bestätigt, dass insbesondere „Instagram von Menschen mit sexuellem Interesse an Kindern zur Vernetzung missbraucht wird“. Die Institution untersuchte unter anderem 50 deutsche Familien- und Kinderprofile auf Instagram. Knapp ein Drittel der Accounts enthielten sexualisierende Darstellungen von Kindern. Influencer*innen-Kinder erfahren oft erst Jahre später die Folgen der Fotos, die von ihnen im Netz zu sehen sind. Insbesondere intime und peinliche Aufnahmen können dazu führen, dass sie ausgegrenzt, geärgert oder gemobbt werden.
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Darf man das überhaupt?
Auch Kinder haben Persönlichkeitsrechte und somit ein Recht am eigenen Bild. Daniel Hajok, Kommunikationswissenschaftler und Experte im Bereich Kinder- und Jugendmedienschutz, erklärt: „Das Kind ist in Deutschland mit der Geburt Grundrechtsträger und die Eltern nehmen diese Grundrechte, so lange es das noch nicht kann, erst einmal vertretungshalber wahr”. Somit dürfen Eltern Bilder nur mit dem Einverständnis des Kindes veröffentlichen.
Problematisch wird es vor allem, wenn die gesetzlichen Vertreter intime oder gar sexualisierende Aufnahmen von Kindern teilen. „Ich habe schon alles gesehen”, meint Toyah. „Kinder in Feinstrumpfhosen, mit Stöckelschuhen, geschminkt und nur leicht bekleidet.” Eigentlich ist das aber verboten. Laut Sexualstrafrecht ist die Posendarstellung von Kindern in unnatürlichen sexuellen Körperhaltungen absolut unzulässig (§ 184b StGB). Demzufolge ist es nicht nur strafbar, solche Bilder von Kindern zu teilen, sondern auch, sie zu besitzen. Dennoch gibt es Kriterien, die den Besitz zulassen. Darunter fallen zum Beispiel Fotos, die in einer Alltagssituation aufgenommen wurden und keine absichtlich gestellten sexuellen Posen von Kindern zeigen. Teilen dürfe man sie trotzdem nicht, betont Hajok. „Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund, Kinder in sexualisierenden Posen darzustellen.”
Trotz dieser rechtlichen Bestimmungen scheint es auf Social-Media-Plattformen nur wenige Einschränkungen zu geben. Toyah berichtet über viele erfolglose Versuche, Kinderbilder bei Instagram zu melden. Daniel Hajok begründet: „Die Anbieter greifen nur insoweit streng ein, wie es gar nicht anders geht”. Dies ist dann zum Beispiel der Fall, wenn Kinder komplett nackt für die Kamera posieren. Viele Bilder befinden sich jedoch in einer rechtlichen Grauzone und werden deshalb geduldet.
„Aus Sicht des Kinder- und Jugendmedienschutzes ist es Anbieterverantwortung, bestimmte Dinge entlang unserer gesetzlichen Bestimmungen nicht zuzulassen”, so Hajok. Social-Media-Plattformen wie Instagram verschärften die Richtlinien bereits in den letzten Jahren. Trotzdem sei in diesem Bereich noch Luft nach oben, bedauert er.
Was kann man tun?
Es ist wichtig, vorbeugend zu arbeiten. Daniel Hajok stellt klar: „Wir bewegen uns hier in einem Bereich, in dem Verbote überhaupt nichts bringen”. Aufgabe des Kinder- und Jugendmedienschutzes ist es, sowohl Eltern als auch die Kinder im Umgang mit sozialen Medien zu sensibilisieren. Bei Kindern soll das bereits in der Grundschule passieren. „Ich bin stark dafür, dass Medienkompetenz ein Schulfach wird”, meint auch Toyah.
Ergotherapeutin Kathrin Habermann empfiehlt Eltern in ihrem Social-Media-Guide, Kinderbilder für Social Media gemeinsam mit den Kindern auszuwählen und zu besprechen. Zusätzlich müssen Erziehungsberechtigte immer darauf achten, Kinder möglichst anonym darzustellen und vorsichtig mit persönlichen Daten umzugehen. Für Toyah ist klar: „Mein Kind ist das Wertvollste und Schützenswerteste, das ich habe.”
Bewusstsein schaffen
Toyah hat sich dafür entschlossen, ihr Kind nicht auf Social Media zu zeigen. Sie möchte stattdessen darauf aufmerksam machen, dass man Kinder nicht im Internet bloßstellen darf – und gründet deshalb ihre eigene Kampagne #DeinKindAuchNicht. Gemeinsam mit ihrem guten Freund Wilson Ochsenknecht bildet sie sich selbst in typischen Kinder-Posen ab. Ihre Fotos sind provokant und peinlich – so wie man als Mensch üblicherweise nicht im Internet zu sehen sein möchte. Weinend, nackt auf dem Töpfchen sitzend oder an der Brust trinkend. „Dadurch, dass wir Erwachsene sind, die die Posen nachgestellt haben, ist das Ganze noch viel absurder geworden”, erklärt sie. Was sie damit erreichen will? Sie möchte mehr Bewusstsein schaffen, was mit Kinderbildern im Internet passieren kann.
„Mein Kind ist das Wertvollste und Schützenswerteste, das ich habe.“
Denkt Toyah an den Vorfall mit der Family-Influencerin zurück, versteht sie ihre Reaktion. Es sei das Allerschlimmste, als Eltern für den Umgang mit den eigenen Kindern kritisiert zu werden. Sie glaubt auch nicht, dass die Eltern ihren Kindern mutwillig schaden wollen. „Doch nur, weil sie es nicht besser wissen, ist das trotzdem nicht zu entschuldigen.”