„Von der Identitären Bewegung vertretenes Gedankengut findet durchaus Eingang in die parlamentarische Debatte.”
Nazis im Hipstergewand
Junge Männer, die Tag und Nacht auf einem Boot im Mittelmeer ausharren, um ihr Land zu verteidigen. Was klingt wie ein Kriegsfilm, wird bei der Aktion “Defend Europe” wieder Realität. Inmitten der Flüchtlingskrise 2017 schlossen sich 16 Mitglieder der Identitären Bewegung zu einem gemeinsamen Ziel zusammen: Flüchtlinge davon abzuhalten, nach Europa zu kommen. In ihren sorgsam erstellten Videokampagnen stellen sich die Mitglieder der neurechten Gruppierung als genau das dar: Die letzten Kämpfer für eine europäische Kultur, gegen Flüchtlinge und Islamisierung. Mit allen Mitteln wollen sie verhindern, dass weitere Flüchtlinge nach Europa kommen. Dabei erinnern die fremdenfeindlichen Aussagen der Identitären Bewegung stark an die Aussagen der Alternative für Deutschland (AfD) und anderen rechten Parteien in Europa. Auch Alexander Gauland heißt die Identitäre Bewegung 2016 willkommen: “Wer ähnliche Ziele verfolgt, kann zu uns kommen.“ Doch die Bewegung die Alexander Gauland in seine Partei einlädt, wird vom deutschen Verfassungsschutz 2019 als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Die ideologischen Grundsätze der Identitären seien mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar, erklärt der Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfV).
Und doch teilen die Identitäre Bewegung und die AfD ähnliche Ziele: Sie sehen sich als Verteidiger der deutschen und europäischen Kultur, machen Fremdenhass wieder salonfähig. Während die Zielgruppe der AfD Personen mittleren Alters sind, fokussiert sich die Identitäre Bewegung ganz auf junge Menschen unter 30: Mit professionellen Videos und einem jungen, hippen Auftreten versuchen sie, Überzeugungsarbeit zu leisten. Dabei bleibt der Inhalt der AfD und der Identitären Bewegung gleich. Doch „kommen” Identitäre wirklich zur AfD, wie sich Alexander Gauland das gewünscht hat? Und welchen Einfluss hat diese rechtsradikale Bewegung auf die rechten Parteien in ganz Europa?
Rasanter Aufstieg der Identitären
Nach Angaben der DW streckten die Identitären ihre Fühler zu Gleichgesinnten in andere europäische Länder aus - ihr Ziel sei dabei, eine gemeinsame Identität aufzubauen. Seit ihrer Gründung im Jahr 2012 verbreitet sich die Identitäre Bewegung rasant: Innerhalb von Monaten nach ihrer Gründung in Frankreich, tauchten in Deutschland die ersten Facebook-Gruppen der Identitären Bewegung Deutschland auf. Bis heute sind in der Hälfte der europäischen Länder Gruppen der Identitären Bewegung vorhanden.
Die Vernetzung zwischen der Identitären Bewegung und den jeweiligen Parteien ist schon durch die gemeinsamen Aktionen gut erkennbar. Bei Kampagnen, wie „Defend Europe“ trafen die Mitglieder der Identitären Bewegung und Politiker*innen der jeweiligen Parteien aufeinander, knüpften Kontakte und hielten ihr Netzwerk somit aufrecht. „Defend Europe“ ist eine europäische Veranstaltung, die hauptsächlich von französischen Identitären organisiert wurde. Sie diente dem Zweck, Europa vor einem propagierten „Ansturm von Migranten“ zu schützen und ihr eigenes Land gegen Flüchtlinge zu verteidigen. Bei den Aktionen von „Defend Europe“ waren unter anderem hochrangige französische und internationale Identitäre anwesend, wie der Kopf der deutschsprachigen IB Martin Sellner.
Auch die deutsche Identitäre Bewegung bemühe sich laut dem LfV um eine europäische, aber auch internationale Vernetzung. Die IB Deutschland pflege enge Verbindungen zu seinem österreichischen Pendant und wolle international zusammenarbeiten, um an Einfluss und Durchschlagskraft zu gewinnen und ihre Ideologie somit leichter verbreiten zu können. Bei der Aufrechterhaltung des europäischen Unterstützungsnetzwerkes sind vor allem die internationalen Veranstaltungen von Bedeutung - Kongresse und Infomessen waren gleichermaßen Schauplätze für Identitäre unterschiedlicher Nationalitäten. Sie dienten dem Aufbau eines gemeinsamen ideologischen Selbstverständnisses und verfestigten ihr Image als „paneuropäische Bewegung“, wie sich die Identitären selbst bezeichnen.
Die Schlüsselfiguren der Identitären
Die Galionsfigur der deutschsprachigen Identitären Bewegung, Martin Sellner, pflegt gleichermaßen gute Kontakte zu Politiker*innen der FPÖ und der AfD. In Österreich posierte er zusammen mit dem FPÖ-Gemeinderatsabgeordneten Heinrich Sickl auf einem Seminar in Steiermark für ein Foto, während er in Deutschland regelmäßig mit Björn Höcke bei Events auftritt. Zusätzlich schloss er sich dem „Institut für Staatspolitik“ (IfS) an, dem auch Höcke zugetan ist. Als Gründer des IfS und durch seine maßgebliche Mitarbeit bei der Identitären Bewegung gilt Götz Kubitschek in Deutschland als Leitfigur der neuen Rechten. Auch Kubitschek steht mit Sellner und Höcke gleichermaßen in engem Austausch.
Anfang 2023 kündigte Sellner schließlich in einem Telegram-Video an, dass seine „Phase des Aktivismus“ nun zu Ende ginge. Er wolle sich auf den „Infokrieg“ im Internet konzentrieren und ist jetzt auf TikTok und Instagram aktiv. Nach Angaben des Verfassungsschutzes sei es nach dem Rückzug Sellners stiller um die IB geworden. Sellner hat als Kopf der deutschsprachigen Identitären eine Lücke offengelassen, die bislang nicht wieder gefüllt werden konnte.
Marine Le Pen, Präsidentschaftskandidatin des Rassemblement National (RN) im Jahr 2017 und 2022, stellt eine Schlüsselfigur in der Verbindung zwischen Politik und Identitärer Bewegung dar. Zwar versuchte die Politikerin sich vor ihrem ersten Wahlkampf 2017 von der Identitären Bewegung zu distanzieren, doch halten viele andere Mitglieder ihrer Partei, aber auch enge Vertraute und Verwandte, weiteren Kontakt zur Identitären Bewegung. Unter anderem der ehemalige Parteisekretär des RN, Nicolas Bay. Dieser besuchte mehrmals eine Bar, die von Identitären geführt wird, und äußerte sich fremdenfeinlich gegenüber Muslim*innen. Ebenfalls anwesend war die ehemalige Europaabgeordnete und RN-Politikerin Christelle Lechevalier. Sie sagte gegenüber einem getarnten Journalisten des Magazins Al Jazeera über Marine Le Pen: “She doesn’t want us to show ourselves. She doesn’t want people to see us … She doesn’t want the media to take control of our image. That’s the only reason Marine isn’t personally against this. But in public, we need to be careful.”
IB und AfD - nicht nur ideologisch nah
In Deutschland reichen die Verbindungen der Identitären bis in die Tiefen der AfD-Parteistrukturen. Und das obwohl die AfD 2016 einen Unvereinbarkeitsbeschluss verabschiedet hat, der eine Zusammenarbeit zwischen Identitärer Bewegung und AfD unterbinden soll. Und doch reicht die Vernetzung der Bewegung bis in die Landesvorstände und Bundestagsbüros der Abgeordneten. Immer wieder schaffen AfD-Politiker für Mitglieder der Identitären Bewegung Arbeitsplätze. Zum Beispiel der IB-Chef Daniel Fiß: Dieser machte bereits mit zwei Verbindungen zu AfD-Mitgliedern auf sich aufmerksam. Seit 2015 pflegte er enge Kontakte mit dem ehemaligen AfD-Landesvorsitzenden Mecklenburg-Vorpommerns, Holger Arppe. Später arbeitete er sogar in seinem Landtagsbüro. Sie tauschten Strategiepapiere aus und besuchten gemeinsam politische Stammtische. Fiß organisierte IB-Leute als Ordner für AfD-Termine, im Gegenzug durfte er Lesezirkel in Arppes Rostocker Galerie veranstalten.
Fiß arbeitete 2019 auch schon für die AfD im Bundestag: Der Bundestagsabgeordnete Siegbert Dröse hatte ihn in seinem Büro als Grafikdesigner angestellt. Seine herausgehobene Rolle bei den Identitären spielte für den Politiker dabei keine Rolle. Auch öffentliche Aussagen wie die des ehemaligen AfD-Bayern-Chefs Peter Bystron machen deutlich, dass die versprochene Abgrenzung nur auf dem Papier existiert. Bystron bezeichnete die IB als eine „tolle Organisation” und „Vorfeldorganisation der AfD”, die man unterstützen müsse.
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Aber auch zwischen der Jugendorganisation der AfD, der Jungen Alternativen und der Identitären Bewegung herrscht eine ideologische, aber auch tatsächliche Nähe. Da beide eine junge Zielgruppe haben, liegt diese Zusammenarbeit nahe. Wie es für Partei-Jugendorganisationen nicht unüblich ist, vertritt die Junge Alternative eine offen radikalere Linie als die AfD. Diese grenzen sich weniger deutlich von anderen rechtsextremen Gruppen ab, wie die AfD: Die Junge Alternative weist viele Mitglieder auf, die während ihrer Mitgliedschaft bei der JA, auch aktiv in anderen rechten Gruppierungen und Burschenschaften sind. Darunter auch die Identitäre Bewegung. So spricht es für sich, wenn Mitglieder der Jungen Alternative wie Philippe Navarre oder sogar Schatzmeister der JA Sachsen-Anhalt, Felix Koschkar, auf Demonstrationen der IB marschieren.
Diese personellen Überschneidungen waren unter anderem ein Grund für den Verfassungsschutz (Baden-Württemberg), die Junge Alternative zu beobachten. Auch in anderen Ländern ist die Identitäre Bewegung in den letzten Jahren in Bedrängnis geraten: In Österreich wurde 2021 das Zeigen der Lambda, des Symbols der Identitären Bewegung, strafbar. Im selben Jahr wurde die französische Generation Identitaire 2021 verboten. Beide Entwicklungen führten zu einem Rückzug der Identitären Bewegung aus der Öffentlichkeit: Der Name der Identitären Bewegung wird seltener benutzt, die Lambda wird immer weniger verwendet und Strukturen und Mitglieder werden geheim gehalten. Auch die Aktionen erhalten immer weniger mediale Aufmerksamkeit als in den letzten Jahren. Als Folge schwinden auch die Mitgliederzahlen. Dadurch rechnet der Verfassungsschutz in Zukunft mit einem gleichbleibenden oder sogar abnehmenden Aktivitätsniveau der Identitären Bewegung. Dabei bleibt offen, ob die Identitäre Bewegung ihren Einfluss auf die Politik in den europäischen Ländern weiter ausbreiten wird. Zumindest ist die Grundlage durch freundschaftliche und fördernde Beziehungen, als auch durch die ideelle Nähe gelegt.
Extrem rechte Ideologie, hübsch verpackt, um sie salonfähig zu machen - das ist es, was die Identitäre Bewegung so gefährlich für die Gesellschaft macht. Dabei schaffen sie es durch Aktionen, wie „Defend Europe” Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit wieder in die Mitte unserer Gesellschaft zu bringen. Auch wenn die Mitgliederzahlen der Identitären Bewegung gerade stagnieren, bleiben die persönlichen Kontakte zwischen Politik und Identitärer Bewegung bestehen. Dabei verbreiten Politiker*innen der AfD, der FPÖ und des RN immer wieder fremdenfeindliche Narrative, die genauso bei der Identitären Bewegung zu finden sind. Dieser ideologische Austausch und die persönliche Nähe demokratisch-gewählter Abgeordneter zu erwiesen Rechtsextremen ist äußerst bedenklich. Der Verfassungsschutz Baden-Württemberg schreibt der Identitären Bewegung ebenfalls eine ideologischen Einfluss auf die europäischen Abgeordnetenhäuser zu: „Von der Identitären Bewegung Deutschland vertretenes Gedankengut findet also, zumindest mittelbar, durchaus Eingang in die parlamentarische Debatte.”
Dieser Artikel bezieht sich auf eine im Rahmen des Moduls „226305 Netzwerk- und Beziehungsmanagement“ erhobene Netzwerkanalyse. Dabei wurden Mitglieder der Identitären Bewegung und ihre Verbindungen zu den parlamentarischen Parteien in den Ländern Frankreich, Österreich und Deutschland erhoben. Wir haben uns vor allem auf persönliche Kontakte und Unterstützungsbeziehungen beschränkt. Diese Beziehungen wurden anhand seriöser Medienberichterstattung in den jeweiligen Ländern, als auch durch internationale Berichtersterstattung erhoben. Alle Quellen können auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.