Homeoffice

Wenn nicht jetzt, wann dann?

24. Febr. 2021
Plötzlich ist das Homeoffice für viele zum Normalfall geworden. Doch auch wenn wir nicht aus freien Stücken zu Hause arbeiten, sollten wir einen Blick auf das Potential dieser Idee werfen. Ein Essay.

„Wenn keine zwingenden betrieblichen Gründe dagegensprechen, müssen Arbeitgeber ihren Beschäftigten Homeoffice anbieten", verkündete der Arbeitsminister Hubertus Heil im Januar. Man sprach von strengeren Regeln und Verordnungen.

Die Zahl der Arbeitnehmer*innen, die von zu Hause aus arbeiten, ist seit November 2020 von 14 Prozent auf 27 Prozent gestiegen. Die Corona-Pandemie gab nochmal einen ordentlichen Schub. Bei der Erhebung des „Digital Nomad Index“ landet Deutschland mittlerweile auf Platz zehn. Ermittelt wurde das Ranking vom britischen Telekommunikationsunternehmen Circleloop. Dabei wurden Faktoren wie Internetgeschwindigkeit, Mietkosten und das Angebot an Remote Jobs berücksichtigt. Schweden (4), Dänemark (5), Frankreich und die Niederlande (7) sind uns zwar eine Nasenspitze voraus, insgesamt ist Europa aber ein guter Anlaufpunkt für digitale Nomaden. 

Neue Freiheiten

Nachdem ich etwa zwei Jahre im Büro im Bereich Marketing gearbeitet habe, begann ich mein Studium und habe außerhalb der Vorlesungen die meiste Zeit zu Hause gearbeitet. Das war eine entspannte Abwechslung. Ich konnte mich besser konzentrieren und war kreativer. Wie eine „Verordnung“ kam mir das nicht vor, sondern eher wie eine neu errungene Freiheit. Ich kam zu diesem Punkt aber aus freiem Willen. Jetzt arbeiten aber viele in den eigenen Wänden, weil es dem Gemeinwohl und der Gesundheit unserer Mitmenschen dient. Ich habe das Gefühl, dass sich diese Einschnitte negativ auf eine Idee auswirken, die uns freier macht und unseren Alltag verändern kann.

Das wollen Eltern, die gerade auf ihr Kind aufpassen und gleichzeitig im Homeoffice arbeiten sicher gar nicht hören. Und das ist verständlich. Aber gerade für Eltern bietet das Homeoffice mehr Flexibilität.

Zu den Anfängen

Rund um das 18. Jahrhundert hatte die Textilbranche eine dominierende Rolle im Bereich Heimarbeit. Die Arbeitsmaterialien erhielten die Arbeiter*innen von den großen Baumwohlfabriken und Spinnereien. Auch wenn die Bezahlung nur kaum zum Überleben reichte, konnte so gleichzeitig die Erziehung der Jüngeren und die Pflege der Älteren übernommen werden. Später zur Nazizeit wurde die Heimarbeit dann als gemeinschaftliche familiäre Tätigkeit verkauft. Nach 1950 waren die durch den Krieg verwitweten Frauen dann auf diese Arbeit angewiesen.

Diese Formen der „Arbeit daheim" haben wenig mit dem zu tun, was wir heute Homeoffice nennen. Eine Sache haben sie aber mit unserer gegenwärtigen Vorstellung gemeinsam. Die Vereinbarung zwischen Beruf und Familie. Ich frage mich, was die Weber*innen und Spinner*innen aus dem 18. Jahrhundert denken würden, wenn sie sehen würden, wie sich die Arbeitswelt gewandelt hat.

Unser ständiger Begleiter

Heute verstehen wir unter Homeoffice all die Tätigkeiten, die ortsunabhängig ausgeführt werden können. Der ständige Begleiter ist unser Rechner, Laptop oder das Tablet. Im Fokus stehen also Beschäftigungen, die digital möglich sind. Wenn ich im Einzelhandel oder in der Gastronomie arbeite, ist die Verlagerung des Arbeitsorts aber nicht möglich und so beschränkt sich dieses Konzept nur auf bestimmte Bereiche. Wenn Homeoffice aber möglich ist, dann ist der Ort, an dem ich arbeite, im Grunde erst einmal egal, solange die Technik und die Internetverbindung mitspielt. So einfach ist es also noch nicht, denn viele Arbeitgeber verlangen Präsenz im Büro. Zudem müssen die Datenzugänge sicher und die nötige Soft- und Hardware vorhanden sein.

Bisher ist das vorhandene Potential noch nicht ausgeschöpft. Hier variieren die Anteile je nach Berufssegment. Das Forschungszentrum der Agentur für Arbeit im Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung hat im Rahmen des Linked Personell Panel (LPP) die Anteile in den verschiedenen Sektoren abgefragt. Dabei sollte das grundsätzliche Potential und die tatsächliche Nutzung von Homeoffice erhoben werden.

Den Angaben der Beschäftigten im Dienstleistungsbereich zufolge lag das Potenzial bei 74 Prozent. Davon haben 44 Prozent die Möglichkeit wahrgenommen. Bei der Befragung gaben 9 Prozent an, dass sie aus technischen Gründen nicht im Homeoffice gearbeitet haben. 22 Prozent gaben sonstige Gründe an. 

Auch in Arbeitsbereichen, in denen die Möglichkeit zur Heimarbeit wesentlich geringer ist, kann eine ähnliche Entwicklung festgestellt werden. Im Baugewerbe liegt das Potential bei 35 Prozent. Hier ergab die Befragung, dass davon lediglich 16 Prozent das Homeoffice genutzt haben. Auch wenn in machen Arbeitsbereichen mehr Homeoffice möglich ist, und in anderen weniger, zwischen dem Potential und der tatsächlichen Umsetzung gibt es noch Spielraum. Da muss man doch was machen, könnte man sagen.

Aber vielleicht wollen die Leute auch kein Homeoffice? Die Angaben zu sonstigen Gründen lassen hier Interpretationsspielraum offen. An sich muss nicht jeder die Idee gut finden. Sollte es aber an technischen oder innerbetrieblichen Hürden liegen, die überwindbar sind, verdeutlichen die Ergebnisse des LLP, dass sich das Konzept noch in der Entwicklungsphase befindet. 

Bei der Umsetzung gibt es viele Faktoren

Nun hat sich der Kontext geändert. Durch die aktuelle Infektionslage steigen die Zahlen der Arbeitnehmer, die von zu Hause aus arbeiten. Um Menschen zu schützen, bleiben viele lieber zu Hause. Gleichzeitig müssen Arbeitgeber*innen laut der Verordnung des Arbeitsministeriums Homeoffice überall da ermöglichen, wo die betrieblichen Belange nicht dagegensprechen. Da könnte man sagen: „Ja gut, das ist jetzt temporär, wegen der Pandemie.“

Da viele Unternehmen dann gezwungen waren, Homeoffice anzubieten, hat sich aber das Bewusstsein vieler Erwerbstätigen auch über die Pandemie hinaus geändert. Laut der Umfrage des bayrischen Forschungsinstituts für Transformation (BITD) wollen Arbeitnehmer*innen auch nach Corona öfters von zu Hause aus arbeiten. Durch die aktuelle Situation haben sie zum ersten Mal im Homeoffice gearbeitet und konnten sich dafür begeistern. Insgesamt sind nun mehr als zwei Drittel der Befragten von der Idee überzeugt.

Der Wille scheint da zu sein. Gleichzeitig kann ich die Sorge der Unternehmen verstehen, dass die betrieblichen Abläufe darunter leiden könnten. „Und machen die auch wirklich was?“ Eine Umfrage des Ifo-Institut, bei der im Herbst letzten Jahres Unternehmen befragt wurden, fiel eher mau aus. Hier stellten sechs Prozent der Arbeitgeber*innen eine Steigerung der Produktivität fest. Gleichzeitig sahen 27% der Befragten Unternehmen eine gesunkene Produktivität. In einer Studie der DAK gaben aber 56% der Arbeitnehmer*innen an, dass sie zu Hause produktiver sind als im Büro. Hier stehen sich verschiedene Positionen gegenüber. Zukünftige Studien könnten mehr Klarheit bieten.

Auch hier spielt der Kontext wieder eine wichtige Rolle. Einerseits arbeiten viele Erwerbstätige durch die Pandemie zum ersten Mal im Homeoffice. Andererseits müssen sie sich an die veränderte Situation gewöhnen. Denn unter normalen Umständen zu Hause zu arbeiten, ist nicht das Gleiche wie unter Corona-Bedingungen. Denn viele Eltern müssen aufgrund der Schließungen der Kitas und Schulen zusätzlich noch auf ihre Kinder aufpassen.

An der Idee festhalten

Die Arbeitswelt befindet sich also in einem Prozess. Das Potential für langfristige und flächendeckende Angebote im Bereich Homeoffice ist aber da. Und auch wenn sich das nicht ganz so neue Konzept noch in der Entwicklungsphase befindet, sollten wir die Aspekte im Blick behalten, die unser Arbeitsleben einfacher machen könnte. Ob wir mehr Zeit sparen, produktiver sind oder die Zufriedenheit steigt, bleibt abzuwarten. Wir können aber die aktuelle Situation nutzen, um Antworten auf viele Fragen zu finden, die unsere Arbeitswelt in der Zukunft bestimmen werden.