Fleisch muss teurer werden?!
Das erste Mal habe ich mich mit der Debatte um den Fleischkonsum und dessen Auswirkungen richtig auseinandergesetzt, als eine meiner besten Freundinnen anfing, sich vegan zu ernähren. Als ich sie nach den Gründen fragte, sah ich mich mit einigen Fakten konfrontiert, über die ich bis dahin nicht nachgedacht hatte. Woher sie das alles wusste? Zum Teil von einer Dokumentation, namens „Cowspiracy“. Das Anschauen dieser Dokumentation löste in mir einen Gefühlscocktail aus Wut, Trauer, Hilflosigkeit gegenüber der Ungerechtigkeit und den starken Drang dazu aus, etwas ändern zu wollen. Es war ein Moment, der mir die Augen dafür geöffnet hat, dass ich so wie ich mich ernähre, nicht im Geringsten nach meinen persönlichen Grundwerten lebe. Dazu zählen schon lange Gerechtigkeit, Mitgefühl und Respekt im Umgang mit anderen Lebewesen und der Natur. Die Würde und das Wohlbefinden von Menschen und Tieren zu achten und dabei behutsam und wertschätzend mit meiner Umgebung umzugehen. Verspürt man einmal so einen Moment der Selbsterkenntnis, ist das ein Erlebnis, das einen nachhaltig prägt. Ich fing an nachzudenken und einiges an meiner Lebensweise zu verändern.
Auswirkungen
Gemessen in CO2- Werten erzeugt die Viehzucht mehr klimaschädliche Treibhausgase als der gesamte Transportsektor. Das wurde bereits 2006 in einem Bericht der Food and Agriculture Organisation der Vereinten Nationen veröffentlicht.
Mindestens 700 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid könnten pro Jahr eingespart werden, wenn wir weltweit unseren Fleischkonsum reduzieren würden. Das hat der Weltklimarat (IPCC) in einem Sonderbericht zum Klimawandel berechnet.
Unser hoher Fleischkonsum ist auf Dauer so nicht mehr tragbar, da die Fläche zur Haltung und dem Anbau des Futtermittels mit der wachsenden Weltbevölkerung nicht ausreicht. Und schon jetzt könnten wir alle Menschen ernähren, würden wir das Getreide nicht an Tiere verfüttern, sondern für unsere eigene Ernährung nutzen.
Es sind keine neuen Erkenntnisse und es müssen Lösungen her. Allerdings wird das Diskutieren immer da, wo Gewohnheiten und persönlicher Genuss, ja auch Erziehung an den Pranger gestellt werden ungemütlich und tut weh. Auf allen Seiten.
Die Debatte
Neben der Grünen- Partei hat die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bereits mehrfach die geringen Fleischpreise in Deutschland kritisiert. Vor allem aber der Skandal um den Tönnies-Betrieb während der Corona-Pandemie hat den Fokus erneut stark auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen bei der Fleischherstellung gelenkt. Bei einem solchen Skandal wird die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf die verheerenden Bedingungen, unter denen unsere Alltagsprodukte entstehen gerichtet und es folgt beinahe reflexhaft die Forderung, dass diese Dinge teurer werden müssen. Zum Vergleich: 2013 wurden nach dem Einsturz des Gebäude Rana Plaza in Bangladesch, bei dem mehr als tausend Näherinnen umkamen, höhere Preise für unsere Kleidung gefordert. Die Klimadebatte bestimmen Forderungen nach einer CO2- Steuer, höheren Flugpreisen und jetzt auch einer Erhöhung der Preise für Fleisch. Doch setzt diese vermeintlich „einfache“ Lösung an der richtigen Stelle an? Bekommen die Arbeiter in den Fleischfabriken deshalb mehr Geld? Das Geld, das wir potentiell mehr bezahlen, kommt selten bei denen an, die es brauchen. Es müssen mehr Dinge verändert werden, als nur der Preis!
Das System
Die mir persönlich sehr wichtigen Werte der Gerechtigkeit und der Wertschätzung im gemeinsamen Zusammenleben mit der Natur, sind im aktuell vorherrschenden System der Landwirtschaft und der Tierhaltung nicht mehr vorzufinden. Besonders die großen Betriebe werden von der EU höher subventioniert. Dies stellt eine unterschwellige Aufforderung an Landwirte dar, immer mehr Tiere auf immer kleineren Flächen zu halten. Ebenso zwingt es die Metzger dazu, unter niedrigsten Preisen Fleisch in riesigen Fabriken in höchster Stückzahl zu produzieren. Das alles führt zu einem Billig-System, um mit den Preisen auf dem freien Markt überhaupt konkurrieren zu können.
In einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks wird beschreiben, dass derzeit die gezahlten Subventionen im Durchschnitt zu rund 40 Prozent das Einkommen eines Landwirts ausmachen.
Kann bei einer solch hohen Abhängigkeit des Einkommens der Landwirte noch von staatlichen Zuzahlungen gesprochen werden? Ist es nicht so, dass Landwirte schlichtweg unter den niedrigen Erzeugerpreisen nicht überleben können und deshalb auf diese Ausgleichszahlungen angewiesen sind?! Fest steht allerdings, dass der Staat und die Politik seit Jahren durch die höheren Subventionen für Großbetriebe und die Liberalisierung von Leiharbeit und Werkverträgen das System des „Geiz ist geil“ erst möglich gemacht haben. Und so die Senkung der Lebensmittelpreise noch vorangetrieben haben.
Das System, das hinter der industrialisierten Massentierhaltung steht, ist wie auch in anderen Zweigen unserer Wirtschaft unsere Gesellschaftsform, der Kapitalismus. Dieser basiert stark darauf, Reichtum auf der Benachteiligung anderer aufzubauen. Das ist ein Fakt. Dass bestimmte gesellschaftliche Schichten benachteiligt werden, ist sozusagen ein Symptom des Kapitalismus, leider. Die Billigpreis-Politik ist zu großen Teilen sowohl von Wirtschaft als auch der Politik erwünscht! Durch die niedrigen Preise müssen weder Löhne, Renten, noch Hartz IV erhöht werden. Dies sichert Deutschland weiterhin einen Exportvorteil, da in anderen Ländern beispielsweise Werkverträge in Metzgereien verboten sind und die Produkte dadurch erheblich teurer als die aus Deutschland sind.
Mehr bezahlen?
Neulich im Bus bekam ich ein Gespräch zweier älterer Damen mit: „Du glaubst es nicht, im Radio haben sie heute darüber berichtet, dass Fleisch teurer werden soll! Warum das denn?“ Ja warum denn eigentlich? Neben dem gewohnten Einkauf des billigen Fleisches im Discounter, gibt es „in Deutschland eine breite Zustimmung zu mehr Tierwohl, das wissen wir aus zahlreichen Studien", stellt Achim Spiller von der Universität Göttingen in einem Interview mit der Tagesschau fest. Es liegt bereits ein Gutachten vor, wieviel ein mehr an Tierwohl kosten dürfte: geschätzte drei bis fünf Milliarden Euro. Um dies zu erreichen, müssten sowohl die Produktionskosten als auch die Preise der Produkte um etwa 20 Prozent steigen. Eine Möglichkeit der Umsetzung besteht darin, die Mehrwertsteuer für tierische Produkte von den ermäßigten 7 Prozent auf 19 Prozent anzuheben.
Diskutiert wird neben der Erhöhung der Mehrwertsteuer auch die Einführung eines Tierwohllabels, das von uns Verbrauchern mitfinanziert werden soll. Ein Vorschlag zu einer Gesundheitssteuer soll ein Signal der Politik an die Verbraucher darstellen, dass ein hoher Fleischkonsum Gesundheit und Klima belastet! Denkbar wäre auch eine Steuer auf Fleisch- und Milchprodukte, die sich am CO2- Ausstoß der Produktions- und Folgekosten dieser orientieren soll.
Meiner Meinung nach wird mit der Debatte um höhere Fleischpreise die Verantwortung in erster Linie auf alle Verbraucher abgewälzt, anstatt etwas am ganzen System der Fleischindustrie und der Verteilung von Subventionen zu verändern. Wir sollen mehr zahlen, doch an wen eigentlich?
Wo kommt das Mehr an Geld an? Bei der Einführung der besagten Steuern beim Staat und dieser muss dann wieder umverteilen und bestimmen, wer wie viel bekommt. Und wer überprüft, ob es den Tieren wirklich besser geht? Das Wichtigste: Wer kann bestimmen, welches Leid Tieren zugefügt werden darf? Höhere Preise könnten den Konsum verringern, das ist klar. Dies ist ein wichtiger Anhaltspunkt, doch würde der Teufelskreis nicht von neuem, nur mit angehobenen Preisen beginnen?
Es steckt also mehr, ein ganzes komplexes System hinter der Debatte um die Erhöhung der Fleischpreise. Landwirte, Metzgereien, Politik und Konsumenten sind eng miteinander verwoben und beeinflussen und bedingen das System. Einfach nur die Preise für Fleischprodukte zu erhöhen ist heikel, da es zwar einen Eingriff und somit eine Veränderung des Systems bewirken würde, aber nicht das System an sich verändert. Gibt es zusätzliche Alternativen, die mehr an der Wurzel, dem Ursprung ansetzen?
Kombinierte Ideen
Die Umweltorganisation Greenpeace beispielsweise schlägt vor, eine Tierwohlabgabe mit den vollen 19 Prozent Mehrwertsteuer auf alle Fleischprodukte zu kombinieren. Der Konsument solle mehr bezahlen, der Staat aber das entsprechende System dafür schaffen und das Geld auch dort hinleiten, wo es gebraucht wird, so der Landwirtschaftsexperte der Organisation Martin Hofstetter. Ich persönlich, würde noch einen Schritt weitergehen und auch das Konzept der Ernährungssouveränität staatlich fördern. Die Idee der solidarischen Landwirtschaft setzt auf lokalen Anbau und Handel, das zu Preisen bemessen danach, wie viel jedes Mitglied zahlen will und kann. Alternativen müssen noch stärker gefördert und so neue Konzepte von Landwirtschaft etabliert werden.
Denn eine nachhaltige Fleischproduktion kann es nur geben, wenn sich unser Konsum verringert, hierbei sind sich verschiedene Experten einig! Es wird weder im aktuellen System noch in den Alternativen gelingen, bei so vielen Menschen die Mengen an Fleisch weiter zu produzieren. Es braucht einen Kanon aller, von Produzenten bis Konsumenten. Sicher, die Erhöhung der Preise und die Einführung einer Gesundheits- oder CO2- Steuer sind Wegweiser in die richtige Richtung, aber noch nicht der Weg selbst. Könnte ich entscheiden: Ich wäre dafür, die Tradition des Sonntagsbratens wiedereinzuführen, das würde keinen vollständigen Verzicht bedeuten und gleichzeitig Wertschätzung und Genuss erhöhen. Dies stellt eine Möglichkeit zur Veränderung auf der Ebene der Verbraucher dar. Außerdem sollten durch die Politik, Werkverträge verboten und der Mindestlohn angehoben werden, so würden sich Preise automatisch mit anpassen.
Am Ende bleibt für mich die Gerechtigkeitsfrage stehen: Kann ein ungerechtes System überhaupt gerechter gemacht werden? Tiere glücklicher für uns geschlachtet werden? Egal, welchen Preis wir im Supermarkt oder an der Theke der Metzgereien zahlen, ob bio oder konventionell, wir bezahlen immer mit einem Leben! Wie viel also kann ein Leben wert sein? Das muss jeder für sich selbst beantworten. Entscheidend für mich ist es, mit meinen besagten Werten im Einklang zu leben, denn nur so fühle ich mich richtig gut. Das Wichtigste für mich ist es, sich darüber auszutauschen, zu diskutieren, vielleicht auch Bewusstsein zu schaffen. Ein Weg hin zu Veränderung führt für mich, statt mit erhobenem Zeigefinger zu predigen, über das aktive, offene und positive Vorleben.