Chronisch Krank 7 Minuten

Ein Leben im Kampf gegen die Müdigkeit

Mann schlafend vor dem Computer
Christos schlafend am Arbeitsplatz (Symbolbild). | Quelle: Lorena Sanz
17. Mai 2024

Faul, desinteressiert, Simulant – nur einige der Beschuldigungen, die hinter dem Rücken von Christos Xanthis kursieren. Doch hinter den Gerüchten verbirgt sich eine unsichtbare Herausforderung: Narkolepsie. Ein Einblick in das Leben mit einer unsichtbaren und unheilbaren Krankheit.

Christos Xanthis ist 29 Jahre alt und kommt aus Stuttgart. Für Außenstehende wirkt er wie ein gesunder junger Mann. Doch seit mehr als zehn Jahren kämpft er gegen eine unsichtbare Krankheit, von der in Deutschland rund 40.000 Menschen betroffen sind: Narkolepsie.

Was ist Narkolepsie?

Narkolepsie ist eine seltene neurologische Erkrankung, bei der die Schlaf-Wach-Regulation im Gehirn gestört ist. Die Folge ist eine übermäßige, anhaltende Schläfrigkeit, gegen welche man nicht ankommt. Auch mit ausreichend Schlaf lässt sich die Müdigkeit nicht beseitigen. 

Quelle: usz.ch/krankheit/narkolepsie

Das Gefühl der Müdigkeit überkommt Christos oft unerwartet und er kann sich kaum dagegen wehren. Die unkontrollierbaren Schlafschübe sind ein zentrales Symptom seiner Narkolepsie und eine Herausforderung, die er seit über einem Jahrzehnt täglich bewältigen muss. 

„Es fühlt sich an, als wäre ein Ziegelstein an meinen Augenliedern und ich kann mich ums Verrecken nicht wachhalten.“

Christos Xanthis

Christos war gerade einmal 12 Jahre alt, als sich die ersten Anzeichen der seltenen Schlafkrankheit zeigten. Seine Mutter machte sich damals keine Sorgen. Sie dachte, dass sein ständiges Schlafbedürfnis auf die Pubertät und ihre Trennung von seinem Vater zurückzuführen sei. Die offizielle Diagnose erhielt er erst viele Jahre später, im Alter von 22 Jahren. „Es war eine Erleichterung. Endlich hatte ich eine Antwort für mein exzessives Schlafverhalten und verstand, dass es medizinische Gründe hat.“ Mit der Diagnose begann für Christos ein neuer Lebensabschnitt. Fortan musste er seinen Alltag noch sorgfältiger planen, insbesondere das Autofahren. Kurze Strecken sind normalerweise kein Problem, an guten Tagen kann er auch längere Fahrten meistern. Er musste eine Fahrtauglichkeitsuntersuchung absolvieren, die es ihm erlaubt, trotz seiner Erkrankung am Steuer zu sitzen. Allerdings ist es essenziell, dass er seine Medikamente nimmt und sofort reagiert, wenn er sich müde fühlt. Denn während sich die meisten Menschen mit lauter Musik oder starkem Kaffee wachhalten können, sind solche Methoden für einen Narkoleptiker wie Christos nicht ausreichend.

Medikament gegen Narkolepsie
Medikament Modafinil für Narkoleptiker.
Quelle: Lorena Sanz

Berufliche Herausforderungen

Auch seine berufliche Laufbahn wurde durch die Krankheit beeinflusst und war auch der Grund für seine Diagnose im Jahr 2017. Christos fing 2015 eine Ausbildung als Steuersekretär beim Finanzamt in Stuttgart an. Die trockenen und monotonen Unterrichtsstunden waren eine große Herausforderung, oft ist er einfach eingeschlafen. Schnell wurde ihm deswegen nachgesagt, unkonzentriert, faul oder desinteressiert zu sein, was ihn sehr belastete. Damals habe er sich sogar in der Toilette oder im Pausenraum eingeschlossen, um kurz zu schlafen. Anders hätte er den Tag nicht überstanden. Nachdem ihm eine Arbeitskollegin vom Finanzamt von einem ähnlichen Fall in ihrer Familie erzählt hatte, entschied sich Christos dazu, sich untersuchen zu lassen. Die Diagnose war eindeutig: Narkolepsie. Als er mit dieser Erkenntnis zur Arbeit zurückkehrte, waren alle bereits informiert und behandelten ihn anders. Besonders seine Ausbildungsleiterin, die ihn schon seit drei Jahren kannte, behandelte ihn plötzlich wie einen Pflegefall. „Sie hat mit mir gesprochen, als wäre ich schwer von Begriff. Plötzlich redete sie sehr langsam und mit Handzeichen. In dem Moment habe ich mich richtig veräppelt gefühlt.“ Solche Reaktionen erlebt er häufiger und belasten ihn jedes Mal aufs Neue.

Letztendlich verhinderte seine Narkolepsie sogar, dass er verbeamtet wurde, was auch eine feste Übernahme ausschloss. Die strengen Vorschriften des Staates für die Verbeamtung konnte er aufgrund seiner Erkrankung nicht erfüllen. Das führte zu vorübergehender Arbeitslosigkeit und zahlreichen erfolglosen Bewerbungen. Obwohl er regelmäßig zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurde, folgten darauf immer Absagen. In der Berufswelt wird oft von Inklusionsrecht gesprochen, jedoch ist ihm nur das Gegenteil widerfahren. Eine Situation ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben: Bei einem Vorstellungsgespräch bei der Polizei wurde ihm gleich zu Beginn gesagt, dass er nicht eingestellt werden würde. Auf seine Nachfrage, warum er dann überhaupt eingeladen wurde, erklärten ihm die Beamten, dass es nur um die Erfüllung der Quote für Schwerbehinderte ging.

„Überall heißt es Inklusionsrecht und dass man bevorzugt wird mit einer Behinderung, aber ich habe nur genau das Gegenteil erfahren.“

Christos Xanthis
Schlafend in der Bahn vor dem Urlaub
Ein Zug und ein Koffer können zu seinem Schlafplatz werden. | Quelle: Lorena Sanz
Christos schlafend im Auto
Christos schlafend auf der Rückbank seines Autos. | Quelle: Lorena Sanz
Schlafend in der Bar
In einer Bar wurde auch schon ein „Powernap“ gemacht (Symbolbild). | Quelle: Lorena Sanz
Christos schläft auf einem ausklappbaren Sofa
Er kann überall schlafen, auch in lauter und heller Umgebung.

Die Mischung aus beruflicher Unsicherheit, konstanter Müdigkeit und einem chaotischen Alltag führte zu reaktiven Depressionen, die seine Lebensqualität massiv beeinträchtigten. In dieser Phase gab es Tage, an denen Christos nur vier Stunden wach war. Er ist nachts eingeschlafen und auch nachts wieder aufgewacht. Dadurch hat er manchmal nur alle zwei Tage etwas gegessen. In dieser Zeit verlor er 14 Kilo, sein Gewicht fiel von 83 auf 69 Kilogramm. Die längste Schlafperiode, die er je erlebt hat, dauerte fast zwei Tage. Es ist schwer, einen Narkoleptiker zu wecken, wenn er einmal eingeschlafen ist. Selbst intensives Rütteln bringt ihn nur langsam zurück ins Bewusstsein. Wenn er dann aufwacht, befindet er sich oft in einem Zustand der Desorientierung und muss sich erst einmal zurechtfinden, um zu verstehen, wo er sich befindet. Das viele Schlafen führte dazu, dass er sich zunehmend von der Außenwelt abgeschottet hat. Weder seine Freunde noch seine Familie konnten wirklich verstehen, wie es ihm innerlich ging. Bis heute gibt es keine Heilung für Narkolepsie. Christos hält sich mit Modafinil, einem speziell für Narkoleptiker entwickelten Medikament, wach. Die Behandlungsmöglichkeiten sind jedoch begrenzt und beschränken sich neben Medikamenten auf Reha und Therapien gegen die oft begleitend auftretenden Depressionen.

„Es ist ein Teufelskreis – je schlechter meine Narkolepsie wurde, desto schlimmer wurden meine Depressionen und wenn die Depression schlimmer war, ist wiederum meine Schlafkrankheit schlimmer geworden.“

Christos Xanthis

Trotz dieser Herausforderungen bleibt er optimistisch und betont: „Man muss lernen, um die Krankheit herum zu navigieren.“ Heute hat er wieder einen Job, obwohl er dort – entgegen seiner sonst offenen Art, mit der Krankheit umzugehen – seine Narkolepsie nicht angegeben hat. Er ist überzeugt, dass er die Stelle sonst nicht bekommen hätte. Für die Zukunft hofft er daher, dass Arbeitgeber ein besseres Verständnis für Menschen mit Einschränkungen entwickeln und sie nicht als Belastung ansehen, sondern ihre Fähigkeiten neutral bewerten. Christos ist sich bewusst, dass Narkolepsie vielen unbekannt ist und wünscht sich mehr Verständnis, sobald Menschen davon erfahren. Er betont, dass jeder Narkoleptiker seine Krankheit individuell erlebt. Es sei entscheidend, sich zu informieren, bevor voreilige Schlüsse gezogen werden. Christos zeigt, wie man trotz gesundheitlicher Herausforderungen zuversichtlich und lebensfroh bleiben kann.

*Als Autorin dieses Artikels kenne ich Christos persönlich und habe durch unsere Gespräche tiefgehende Einblicke in die Herausforderungen und Erfahrungen eines Narkoleptikers erfahren.