Wenn die Stille bedrohlich wird
„Früher haben wir die Insekten auf den Wiesen den ganzen Sommer lang gehört, heute ist es viel ruhiger geworden“, erzählt die alteingesessene Bäuerin Lieselotte Gerninger aus Bernau im Schwarzwald. „Die Kinder kennen diese schrillen Geräusche gar nicht mehr.“ Der Schwarzwald ist als Gebirge mit dichten Wäldern, klaren Flüssen und umwerfender Natur bekannt. Doch auch vor diesem Ort macht die bedrohliche Stille des Insektensterbens keinen Halt.
Wie stark genau die Region vom Insektensterben bedroht ist, ist derzeit noch nicht eindeutig geklärt. „Das lässt sich leider weder für den Südschwarzwald noch für andere Regionen in Deutschland genau beziffern“, erklärt Martin Rudolph, Projektleiter beim „World Wide Fund For Nature" (WWF) für den Insektenschutz im Schwarzwald. Deshalb wird derzeit intensiv geforscht. Der dramatische Rückgang der Krabbeltiere lässt sich anhand der Krefeldstudie aus dem Jahr 2017 belegen: Demnach sind mehr als 75 Prozent der Fluginsekten aus Teilen Deutschlands verschwunden.
Das Projekt „BROMMI“
Um der negativen Entwicklung im Schwarzwald entgegenzuwirken, wurde 2020 das Projekt „Biosphärenreservate als Modelllandschaften für den Insektenschutz" (BROMMI) ins Leben gerufen. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt des WWF Deutschland, fünf Biosphärenreservaten wie dem Schwarzwald und zwei weiteren Akteuren. Bis Ende 2025 werden gemeinsam mit Menschen aus der Landwirtschaft und den Kommunen in den Biosphärenreservaten Maßnahmen zur Förderung von Insektenlebensräumen erprobt. Ziel ist es, die erprobten Maßnahmen auch in anderen Regionen Deutschlands umzusetzen. So sollen flächendeckend Lebensräume für Insekten geschaffen werden.
Mit rund 33.000 Arten sind Insekten die größte Tiergruppe und in fast allen Lebensräumen zu finden. So auch im Schwarzwald: Auf sogenannten Allmendweiden gibt es neben friedlich grasenden Nutztieren eine einzigartige Pflanzenwelt mit seltenen Arten. Hier leben unter anderem 49 von insgesamt 189 Tagfalterarten, 21 davon seien bundesweit gefährdet, informiert Rudolph. Generell gibt es im Schwarzwald viele offene Wiesen und Weiden sowie artenreiche Wälder, die vielen Insekten ein Zuhause bieten.
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Lebensräume schaffen
Doch trotz der idyllischen Landschaft besteht auch hier dringender Handlungsbedarf, denn der Lebensraum schrumpft. Um das zu ändern und Schmetterlingen, Heuschrecken sowie anderen Insekten ein Zuhause zu geben, würden Schonstreifen auf Mähwiesen angelegt werden, erklärt der Experte. Beim Mähen werden bestimmte Bereiche ausgespart, die dann als Rückzugsgebiet für die Tiere dienen, die auf der Wiese leben. Sobald das Gras auf dem Rest der Wiese nachwächst, können die Tiere aus dem Schonstreifen in die große Wiese zurückkehren. Durch die achtsame Bewirtschaftung der Grünflächen können landwirtschaftliche Betriebe mit wenig Aufwand zum Insektenschutz beitragen.
"Die Tiere sind unentbehrlich“, sagt der Experte. Sie sammeln Nektar und Pollen, um Pflanzen zu bestäuben und sichern dadurch den Fortbestand von rund 90 Prozent aller Pflanzenarten. Sie spielen so definitiv eine wichtige Rolle für die Ernährung von Mensch und Tier.
Was genau mit dem Schwarzwald passieren würde, wenn die Insekten von der Bildfläche verschwunden seien, lasse sich laut Rudolph wegen fehlender Forschung noch nicht sinnvoll beantworten. Auch die Ursachen müssen weiter erforscht werden – vermutlich gibt es eine ganze Reihe. Ein Grund ist die intensivere Bewirtschaftung der Flächen im Schwarzwald, denn durch die angelegten Felder wird den Insekten ihr Lebensraum genommen. Obwohl die Bewirtschaftung hier wegen der steilen und nährstoffarmen Landschaft schwierig ist, wird sie intensiver betrieben als früher – zum Nachteil der Insekten.
Licht im Dunkeln
„BROMMI“ ist ein kleiner Lichtblick in der angespannten Lage. Obwohl das Projekt erst seit 2020 läuft, gibt es schon einige Erfolge: In Kooperation mit verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben wurden die bereits erwähnten Schonstreifen belassen. Manche Höfe ergreifen sogar noch mehr Maßnahmen, so hat ein landwirtschaftlicher Betrieb bei Schopfheim eine 140 Meter lange Feldhecke aus heimischen Gehölzen angelegt. Ein Gewinn für die Insekten: Hecken und Feldgehölze waren früher ein fester Bestandteil der Kulturlandschaft, verschwinden heute aber immer mehr von der Bildfläche.
„Ich wünsche mir, dass es wieder so bunt wird wie früher“, sagt die Bäuerin aus der idyllischen Gemeinde. Dass sie selbst zum Schutz der Krabbeltiere beitragen kann, hätte sie noch nicht gewusst. „Ab jetzt werde ich schauen, wie ich helfen kann und regionale Projekte unterstützen."