Lehrkräfte in die Klassenzimmer!
Im März 2023 standen sich Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie die Bundesrepublik Deutschland vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs gegenüber: Es ging um das Streikrecht für Beamt*innen, mit dem Ergebnis: Verbeamtete Lehrende dürfen auch weiterhin nicht streiken. Von den insgesamt etwa 800.000 Lehrkräften in Deutschland haben 600.000 den Beamtenstatus, und für die heißt es: Der Unterricht findet statt. Denn Beamt*innen haben in Deutschland kein Streikrecht. Und das ist auch gut so.
Kinder brauchen Bildung
Dass sie nicht auf die Straßen dürfen, ist sinnvoll. Denn Unterrichtende sind zu einem entscheidenden Teil dafür verantwortlich, die junge Generation zu erziehen und weiterzubilden. Dank ihrem Beamtenstatus sind sie verlässliche und kontinuierliche Bezugspersonen für ihre Schützlinge. Streiks würden zu massivem Unterrichtsausfall führen – zu Lasten der Kinder. Die Folgen sieht man in Schottland: Im vergangenen Jahr forderten die Lehrenden zehn Prozent mehr Gehalt und legten deshalb für einen Tag die Arbeit nieder. Die Konsequenz: Der Schulunterricht fiel im gesamten britischen Landesteil aus.
Die Kinder würden also wichtigen Unterricht verpassen, das führt zu Wissenslücken. Ein Streikrecht für verbeamtete Lehrkräfte würde somit den Bildungsstand in Deutschland gefährden. Das können wir uns aber nicht leisten, denn der IQB-Bildungstrend und die Kindergesundheitsstudie (Kiggs) des Robert Koch-Instituts haben gezeigt, dass etwa jeder fünfte Viertklässler schon jetzt Mindeststandards in Deutsch und Mathe nicht erreicht.
Extrawurst? Nein, danke
Und nicht nur das. Wenn nur verbeamtete Lehrer*innen ein Streikrecht bekämen, hätten sie eine Sonderstellung. Andere Beamtengruppen etwa bei der Polizei, in der Verwaltung oder in der Justiz haben kein Streikrecht, da auch ihre Tätigkeiten eine große Verantwortung und ständige Präsenz erfordern. Ein Streikrecht nur für Lehrkräfte wäre eine Ungleichbehandlung innerhalb des öffentlichen Dienstes und würde eine Kettenreaktion in anderen Beamtengruppen nach sich ziehen. Das könnte dann wiederum die ohnehin schon eingeschränkte Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung gefährden, man denke an Warte- und Bearbeitungszeiten oder schleppende Digitalisierung.
Das denken Lehrkräfte, die nicht auf die Straße möchten:
Verbeamtete Unterrichtende haben außerdem eine Treuepflicht gegenüber dem Staat. Das bedeutet, dass sie dem Staat verpflichtet sind. Dafür hat dieser ihnen gegenüber eine Fürsorgepflicht. Mit einigen Vorteilen: Sie haben einen Job auf Lebenszeit und müssen angemessen bezahlt werden. Im Ruhestand sind sie durch die Pension bessergestellt als Rentner*innen – sie erhalten oft mehr als 70 Prozent des Bruttogehalts, das sie in den letzten zwei Jahren vor der Pensionierung verdient haben. Beamt*innen müssen auch keine Renten- und Arbeitslosenversicherung bezahlen und dürfen sich privat krankenversichern. Außerdem haben sie Anspruch auf Beihilfe, sie werden also im Krankheitsfall finanziell unterstützt. Hört sich doch gut an – warum also streiken? Verbeamtete Lehrkräfte haben sogar die Möglichkeit, ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zu beantragen und sich anstellen zu lassen. Dann hätten sie zwar das Recht zu streiken, würden aber auch die oben genannten Vorteile verlieren. Lohnt sich das?
Dieser Kommentar ist Teil eines Themendossiers zur aktuellen Situation von Gewerkschaften in unserer Gesellschaft.