Auswandern 10 Minuten

Neustart unter Spaniens Sonne

Immer mehr junge Menschen wandern nach Spanien aus. | Quelle: Lisa Weber
12. Dez. 2024

Rund 40 Prozent der jungen Deutschen denken über Auswandern nach. Viele zieht es nach Spanien. Doch was treibt sie an, ihre Heimat zu verlassen? Hinter dieser Entscheidung stehen Motive, die von finanziellen Überlegungen bis hin zu gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland reichen.

„Ich wollte mehr Freiheit, Flexibilität und Lebensqualität“, erklärt Christina, eine junge Auswanderin. Heute lebt die 28-Jährige mit ihrem Freund auf Mallorca. Ihr Wunsch spiegelt die Sehnsucht vieler junger Menschen wider, die Deutschland verlassen. Auch Hannah, Bianca und Madeleine sind aus Deutschland ausgewandert, um ein neues Leben unter Palmen zu beginnen. Alle vereint der Mut, ihre vertraute Umgebung, Familie und Freunde hinter sich zu lassen, um in der Ferne ein besseres Leben zu suchen – ein Schritt, den sie bis heute nicht bereuen.

Seit 2005 ist eine kontinuierliche Nettoabwanderung von deutschen Staatsbürger*innen zu beobachten. Vor allem in den letzten Jahren hat die Zahl der Auswander*innen stark zugenommen. Allein im Jahr 2023 sind etwa 1,3 Millionen Menschen aus Deutschland fortgezogen, was die Zahlen der Vorjahre übertrifft (2022: rund 1,2 Millionen; 2021: rund 1,0 Millionen). 2005 waren es noch rund 0,6 Millionen.

Spanien, bekannt für sein angenehmes Klima, gehört zu den beliebtesten Zielländern für junge Deutsche, die einen Neuanfang suchen. „Man schätzt, dass um die 50.000 Deutsche jedes Jahr nach Spanien auswandern. Das ist die Zahl der spanischen Behörden“, sagt Arne Grätsch, Einwanderungscoach. 
Doch warum zieht es immer mehr Menschen in den Süden? Die Gründe dafür sind vielfältig. Es sind nicht nur das mediterrane Klima und die scheinbar entspannte Lebensart, die sie locken. 

Finanzielle Vorteile

Für viele Auswanderungswillige sind die steigenden Lebenshaltungskosten in Deutschland ein Grund, ihr Heimatland zu verlassen. Doch finden sie in Spanien finanzielle Vorteile? Das Bundesverwaltungsamt (BVA) merkt an, dass das Leben in großen, beliebten Städten wie Madrid oder Barcelona keineswegs günstiger ist als in Deutschland. Die 24-jährige Madeleine, welche zum Studieren nach Madrid gezogen ist, berichtet Ähnliches: „Besonders in Madrid sind die Mieten ziemlich hoch – fast auf Münchner Niveau.“

„Besonders in Madrid sind die Mieten ziemlich hoch – fast auf Münchner Niveau.“ 

Madeleine Wülk, Auswanderin

Wer sparen möchte, für den ist das ländlichere Spanien die richtige Wahl. „Essen gehen, Lebensmittel und viele andere Dinge sind hier günstiger, wodurch wir mehr sparen und unser Leben genießen können“, erklärt Christina. Viele Freizeitaktivitäten sind kostenlos, denn durch das gute Wetter und die Natur kann viel draußen unternommen werden. In Parkanlagen gibt es gratis Fitnessgeräte, wodurch kein Fitnessstudio nötig ist. Auch Freizeitparks und Restaurantbesuche sind günstiger. Wer abseits der großen Städte wohnt, hat auch Zugriff auf preiswerte Mietwohnungen und -häuser. Die 35-jährige Bianca ist vor zwei Jahren mit ihrem Mann (35) und ihren beiden Töchtern (5 und 8) in die Nähe von Alicante ausgewandert. Die Familie wohnt in einem 180-Quadratmeter-Neubau mit Pool und Meerblick. Miete zahlen sie dafür 1.650 Euro warm, inklusive Strom und Wasser. „Dafür würden wir in Deutschland nicht so ein wunderschönes Haus bekommen, schon gar nicht mit Meerblick und Pool“, betont sie.

Sich vor Ort eine neue Arbeit zu suchen, birgt wiederum Risiken. Das BVA warnt: „Der spanische Arbeitsmarkt kann für Auswanderer herausfordernd sein. Die Arbeitslosigkeit ist höher als in Deutschland, besonders unter jungen Menschen“. Da die spanischen Gehälter vergleichsweise niedriger sind, arbeiten viele der jungen Auswanderer*innen remote für internationale oder deutsche Unternehmen. Dadurch wird Spanien besonders attraktiv: Arbeiten mit deutschem Gehalt und niedrigeren Ausgaben ermöglicht ein komfortableres Leben. 

Ein Preisvergleich zwischen der deutschen Großstadt München, der spanischen Hauptstadt Madrid und der ländlicheren Stadt Jaén, welche in Andalusien liegt.
Quelle: Lisa Weber

Erschwingliches Gesundheitssystem

Wer in Spanien arbeitet oder sich selbst versichert, kann auf eine umfassende Gesundheitsversorgung zu vergleichsweise niedrigeren Kosten zugreifen. Für genau dieselben Medikamente, die Biancas Mann bereits in Deutschland benötigte, zahlt er in Spanien nur ein Drittel des Preises. Das ist keine Seltenheit. In Spanien fällt seit den vergangenen zwanzig Jahren lediglich eine Gebühr für Medikamente an, während in Deutschland weitere Zuzahlungen existieren. Außerdem hält das spanische System zur Preiskontrolle die Kosten für Medikamente effektiv niedrig. Spanien zählt zu den Ländern mit den geringsten Ausgaben für die öffentliche ambulante ärztliche Versorgung. Trotzdem erzielt Spanien oft vergleichbare oder sogar bessere Gesundheitsergebnisse als Deutschland. Das spanische Gesundheitssystem zeichnet sich durch eine starke Primärversorgung aus, was als Merkmal effizienter Gesundheitssysteme gilt. Mit 75,4 Allgemeinärzt*innen pro 100.000 Einwohner*innen liegt Spanien deutlich über dem deutschen Wert von 65,8. Davon schwärmt auch Bianca: „Die Ärzte und medizinischen Angestellten nehmen sich sehr viel Zeit, man hat nicht so das Gefühl von Massenabfertigung.“ Auch moderne Ansätze wie die Telemedizin werden verfolgt. Trotz geringerer Ausgaben hat Spanien die dritthöchste Lebenserwartung weltweit (83,9 Jahre) und liegt damit über dem Durchschnitt (81,0). In einer Umfrage gaben 75,2 Prozent der Spanier*innen an, dass es ihnen gesundheitlich gut gehe. Dieser Wert ist ebenfalls überdurchschnittlich (durchschnittlich 68,4 Prozent). Durch die günstige, aber sehr gute Gesundheitsversorgung wird Spanien für Auswanderungswillige besonders interessant. 

Das spanische Gesundheitssystem, Sistema Nacional de Salud (SNS), basiert auf dem Beveridge-System und wird durch Steuern finanziert. Die Gesundheitsausgaben betragen 9,7 Prozent des BIP, deutlich weniger als in Deutschland (12,6 Prozent). Trotz der Stärken des spanischen Gesundheitssystems bestehen auch bedeutende Herausforderungen. Seit der Wirtschaftskrise 2008 haben sich die Wartezeiten spürbar verlängert. Die Vergütung der Hausärzt*innen liegt im Vergleich zu Deutschland deutlich niedriger. Zudem ist die freie Facharzt- und Fachärztinwahl im staatlichen System eingeschränkt. 

Ängste als Auswanderungsgrund

Ein weiterer zentraler Punkt ist die politische Lage in Deutschland, die als belastend empfunden wird. Der Rechtsruck macht vielen jungen Menschen Sorgen. Auch was den Alltag angeht, wird Spanien als sicherer empfunden. Bianca erzählt, dass das Sicherheitsgefühl ein großer Faktor für die Auswanderung war: „In Deutschland würde ich meine Kinder nicht mehr alleine rausschicken, ich würde sie auch nicht mehr alleine zur Schule laufen lassen.“ Die 24-jährige Madeleine empfindet ähnlich. „Hier in Madrid fühle ich mich total sicher, und das macht wirklich einen Unterschied im Alltag“, berichtet sie. Laut einer Umfrage der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fühlen sich 80,4 Prozent der Menschen in Spanien sicher, was über dem OECD-Durchschnitt von 73,9 Prozent liegt. In Deutschland berichten nur 76,15 Prozent über ein positives Sicherheitsgefühl. Im Sicherheitsranking (gemessen an tagtäglichen Angriffen) schneidet Spanien mit einem Wert von 8,7 besser ab als Deutschland (8,3). 

Anderer Lebensstil

Besonders auffällig ist der Wunsch nach einem anderen Lebensstil. Viele junge Menschen fühlen sich von der Lebensfreude und der entspannten Mentalität der Spanier angezogen. „Hier ist alles einfach viel entspannter, und die Lebensfreude der Menschen ist deutlich spürbarer. Das bringt eine ganz andere Energie in den Alltag“, berichtet Madeleine. Neben diesen gesellschaftlichen Faktoren sind auch das bessere Klima oder die Nähe zu Deutschland häufig ausschlaggebend. So sind Familie und Freunde aus Deutschland nicht allzu weit entfernt. „Durch die gute Erreichbarkeit von Mallorca können sie uns regelmäßig besuchen, was den Abschied einfacher macht“, sagt Christina. Spanien bietet eine ausgewogene Mischung aus Vertrautem und Neuem. 

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Junge Menschen verlassen Deutschland aus vielfältigen Gründen

Viele junge Menschen träumen von einem Neuanfang in Spanien – motiviert durch finanzielle Vorteile, eine entspannte Lebensweise und ein Gefühl von mehr Sicherheit. Doch jeder Neustart erfordert die Bereitschaft, Vertrautes hinter sich zu lassen. Sprachkenntnisse sind essenziell, da viele Spanier*innen weder Englisch noch Deutsch sprechen, was im Alltag zu Hürden führen kann. Auch Offenheit gegenüber der spanischen Kultur und Lebensweise ist notwendig, um sich schnell einzuleben. „Seid offen für die Kultur und die Mentalität hier. Die Spanier sind sehr herzlich und entspannt. Das Leben hier läuft manchmal einfach anders, aber genau das macht es auch so spannend!“, rät Madeleine. Am Ende bleibt einem selbst die Frage: Ist der Schritt in die Ferne ein Risiko, das sich lohnt?