„Vor vier Jahren haben wir einen funk-Workshop kritisiert. Heute arbeiten wir zusammen an etwas Neuem“
Selbstständigkeit – Einfach wagen?
Chris Müller ist ehemaliger CR-Student, selbstständiger Videojournalist auf YouTube und Content-Creator für funk. Mit seinem Kanal möchte er Journalismus verständlich und greifbar machen. Seit November gründet er seine eigene Produktionsfirma „Guter Content” in Zusammenarbeit mit dem ZDF.
Chris, was war deine Motivation, dich selbstständig zu machen?
Meine größte Motivation mich selbstständig zu machen war auf jeden Fall, dass ich eine eigene Idee hatte, die es vorher so noch nicht gegeben hat. Dafür müsste man sonst natürlich erstmal die richtige Redaktion finden. Mein Plan war es, von mir aus die richtigen Leute zu finden und mir etwas Eigenes aufzubauen. Also habe ich meine eigene Produktionsfirma gegründet. Dadurch kann ich das Schiff so ausrichten, wie ich will.
Ohne meine eigene Idee und meinen eigenen Traum, den ich jetzt schon die letzten 10 Jahre rumtrage, hätte ich auch keinen Grund gehabt, mich selbstständig zu machen.
Gibt es denn auch Nachteile, die sich für dich aus der Selbstständigkeit ergeben?
Der größte Nachteil ist die Finanzierung. Wie soll man sich selbst im Journalismus finanzieren, wenn es schon die große Frage ist, wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziert? Wenn da schon am Geld gerüttelt wird und anderen, kommerziellen Medien die Werbegelder oder Verkaufszahlen fehlen.
Vor deiner Arbeit mit Funk wurdest du finanziell vom YouTube Creator Programm unterstützt. Denkst du, der Sprung in die Selbstständigkeit wäre auch ohne diese Unterstützung möglich gewesen?
Auf keinen Fall. Ich komme aus einer reinen Arbeiterfamilie, meine Mama ist Putzfrau. Woher soll ich da die finanziellen Mittel nehmen, um eine GmbH zu gründen? Ich habe bei der Bank einen Kredit aufnehmen müssen, um eine GmbH gründen zu können. Normalerweise hätte ich den auch nicht bekommen, weil ich BAföG Student bin und meine Eltern auch nicht kreditwürdig sind. Durch meinen Geschäftspartner Moritz Haase, der jetzt auch schon mehrere Jahre in den Medien arbeitet, hatten wir ein bisschen Kreditwürdigkeit und konnten dadurch ein paar Sachen vorfinanzieren und somit diese Produktionsfirma gründen. Aber ohne die Unterstützung, die ich im Creator Programm bekommen habe, würde das nicht gehen.
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen dir und deinem Geschäftspartner aus?
Moritz und ich machen eigentlich alles fifty-fifty. Ich bin das Gesicht von „guter Content“ und der Redaktionsleiter. Moritz kümmert sich um das Tagesgeschäft, darum, dass alle ihr Gehalt bekommen und arbeitet auch in der Produktion. Wir sind gerade noch dabei, uns selbst zu finden. Aber wenn man seine Aufgaben aufteilen kann, dann ist das schon mal eine ganz gute Sache.
Was sind die größten Herausforderungen der Selbstständigkeit im Journalismus?
Wenn du eine Produktionsfirma hast, arbeitest du privatwirtschaftlich. Du bist nicht bei den Öffentlich-Rechtlichen und deshalb genau demselben Druck ausgesetzt, wie andere Unternehmen. Das heißt, wenn du zu den Innovativsten und den Beste gehörst, bekommst du auch die meisten Aufträge. Da musst du dann auch dementsprechend viel arbeiten. Die neuen Produktionsfirmen haben da schon einen scharfen Produktionsdruck, immer etwas Neues ausprobieren zu müssen.
Was rätst du angehenden Journalist*innen, die sich selbstständig machen wollen?
Auf jeden Fall zwei Sachen: Erstens ist es nichts für jeden. Man muss dafür brennen. Man merkt einfach, wenn jemand dafür brennt. Dann kann diese Person auch besser realisieren, was sie sich vornimmt. Auch ich bin über Hölzchen und Stöckchen gestolpert und bin am Ende dort gelandet, wo ich jetzt bin. Aber ich kann niemandem sagen, mach das so und so und dann wird das schon alles klappen. Es ist immer wichtig zu wissen, dass man auch Glück und Zufälle haben muss.
Die zweite Sache ist: Man muss immer an der Grenze zur Frechheit entlang balancieren. Egal ob man gerade Interviews führt oder wenn es darum geht, eine Person anzusprechen. Sprich sie an! Sei ein bisschen frech. Auch wenn es um Gehälter oder Honorare geht, sei ein bisschen frech. Oder wenn es um Aufgaben geht, die du dir erstmal nicht zutraust: Sei ein bisschen frech und mach es trotzdem.
Hast du ein Beispiel, bei dem du schonmal „frech“ warst?
Das war in meinem Praxissemester. Da wollte ich unbedingt auf das Z2X gehen, das ist ein Medienfestival von der ZEIT. Dort hatte ich dann ein paar Workshops und einen davon bei funk. Den fand ich aber gar nicht so geil. Das Content-Netzwerk war da noch in der Selbstfindungsphase und wir sollten Kritik äußern. Die Person, die die gleichen Kritikpunkte geäußert hat wie ich, war der Moritz, der jetzt mein Geschäftspartner ist. Also: Vor vier Jahren haben wir einen funk-Workshop kritisiert. Heute arbeiten wir zusammen an etwas Neuem.
Gerade für dich als selbstständiger Journalist ist ein großes Netzwerk sehr wichtig. Hast du Tipps, wie man am besten seine Fühler ausstreckt und viele Kontakte knüpft?
Ich sage immer, man soll sich auch mal Sachen zutrauen, die man eigentlich noch nicht so richtig draufhat. Journalismus ist auch ein Beruf, in dem man oft erst in seine Rolle hineinwachsen muss. Ich habe zum Beispiel Events moderiert, die für mich eigentlich einen Kopf zu groß waren und dadurch haben mich mehr Leute gesehen. Es ist ein „Rolling Stone“, den man ins Rollen bringen muss. Irgendwann kommen die Leute dann auf einen zu und so entstehen eben die Jobs.
„Manchmal würde ich schon gerne den Journalismus retten.“
Wie findest du die Motivation, auch Sachen zu machen, die du dir im ersten Moment nicht zutraust?
Die größte Motivation kommt von innen. Wenn ich was sehe und mir denke: Das braucht es jetzt. Auf TikTok sehe ich zum Beispiel, dass es sehr wenig Journalismus gibt und Leute einfach alles glauben. Dann möchte ich anfangen, aufzuräumen und einzuordnen. Und warum ich das alles überhaupt mache, ist, weil ich den Journalismus so liebe. Mir tut's immer weh, wie in Deutschland darauf rumgetrampelt wird. Manchmal würde ich den Journalismus schon gerne retten. Vielleicht schaffe ich das ja irgendwann. Gerade will ich einfach nur mein Format gut machen und eine der vielversprechendsten Journalismus-Produktionen im Bereich Videojournalismus aufbauen.
Dieses Interview haben wir am 18.01.2023 im Rahmen der Gesprächsreihe „Der Wandel im Journalismus“ geführt. Studierende des Studienganges Crossmedia-Redaktion/Public Relations hatten die Gelegenheit, Fragen an den Gast zu stellen.