LGBTQIA+-Rechte

Tabuthema Sexualität: Floridas „Don’t say gay“-Gesetz

Schüler*innen organisierten im US-Bundesstaat Florida Protestmärsche gegen das umstrittene „Don’t say gay“-Gesetz
12. Mai 2022
Kritiker*innen nennen es hasserfüllt, Befürworter*innen halten es für notwendig: Floridas „Don’t say gay“-Gesetz soll den frühen Unterricht über sexuelle Orientierung verbieten. Schüler*innen gehen daraufhin auf die Straße. Was macht dieses Gesetz mit jungen Menschen?

Ende März halten Schüler*innen in einer High School im US-Bundestaat Florida stolz Schilder in die Kamera. Protect children, support parents steht dort in großen Buchstaben. An einem Tisch im Vordergrund sitzend: Floridas republikanischer Gouverneur Ron DeSantis, der das umstrittene „Don’t say gay“-Gesetz in dem Moment mit mehreren Stiften unterschreibt. Als er fertig ist, hält er den Gesetzesentwurf hoch, lächelt für die Fotos. Seine politischen Anhänger applaudieren. 

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„Wir werden sicherstellen, dass Eltern ihre Kinder zur Schule schicken können, um Bildung zu erhalten, keine Indoktrination“, erklärt DeSantis seinem Publikum in einer Pressekonferenz vor der Unterzeichnung. Mit diesem Beschluss wollen Republikaner*innen Kinder vor Themen schützen, die sie nicht verarbeiten können. Diskussionen rund um Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung sollen verboten werden. In Zukunft können die Schulen von besorgten Eltern verklagt werden, falls sie sich nicht an die neuen Richtlinien des „Parental Rights of Education“ halten.

„Wir werden sicherstellen, dass Eltern ihre Kinder zur Schule schicken können, um Bildung zu erhalten, keine Indoktrination“

Ron DeSantis

Von der US-Geschichte bis zur Selbstbestimmung

Seit dem Wahlerfolg Donald Trumps in Florida bei der Präsidentschaftswahl 2020, hat der Sunshine-State mehr aktiv registrierte republikanische Wähler*innen als demokratische. Das bestätigt das Florida Department of State’s Division of Elections. Somit sind Verabschiedungen, wie das „Don’t say gay“-Gesetz unter der Führung von DeSantis längst keine Neuheit: Schon im Februar verabschiedet das Unterhaus des Parlaments von Florida den „Stop Woke Act“. Das Gesetz verbietet den Unterricht über Rassismus als Teil der offiziellen Lehrpläne. 

In der Vergangenheit hatten andere US-Bundesstaaten, wie Arkansas oder West Virginia, ähnliche Gesetze durchgebracht. In Texas sollte zum Beispiel eine Regulierung der Diskussion über Sklaverei die „patriotische Bildung“ fördern.

Ein politischer Triumph für die einen, ein schwerer Rückschlag für die anderen

Schon seit Monaten kämfpen die Republikaner*innen in Florida dafür, größeres Mitspracherecht darüber zu haben, was ihre Kinder in der Schule lernen. LGBTQIA+-Themen sollten in den Familien diskutiert werden, nicht in der Schule, betonen sie. 

DeSantis‘ Pressesprecherin Christina Pushaw bezeichnet Gegner*innen des Gesetzes als „Groomer“ – „Wenn ihr gegen das Anti-Grooming-Gesetz seid, seid ihr wahrscheinlich selbst Groomer oder zumindest nicht dagegen. Schweigen ist Mittäterschaft“, schreibt sie auf Twitter.

Grooming bedeutet auf Deutsch „vorbereiten“ oder „zurechtmachen“ und zählt zur Pädokriminalität. Darunter wird die gezielte Kontaktaufnahme Erwachsener mit Minderjährigen verstanden, indem durch Schmeicheleien oder Geschenke stufenweise ihr Vertrauen erschlichen wird. Die Intention des Groomings hat immer einen missbräuchlichen Zweck. 

Nach der Unterzeichnung und Pushaws Tweet schwappt eine Welle der Empörung und des Protestes über den US-Bundesstaat. Mitte März verlassen 500 Schüler*innen der Winter Park High School in Orange County die Klassenräume nach neun Uhr. Während sie auf dem Schulhof immer wieder den Satz „We say gay!“ rufen, halten sie selbstgebastelte Schilder hoch. Darauf stehen in Großbuchstaben Statements, wie „Love is Love“ und „We are the people“.

Der Streik wurde von den Schüler*innen Will Larkins und Maddi Zornek organisiert. „Wir wollten unserer Regierung zeigen, dass das nicht aufhören wird. Die ganze Woche schon gab es Proteste“, sagt Larkins gegenüber dem US-amerikanischen Fernsehsender CNN. „Wir wollten die Aufmerksamkeit unserer Vertreter, unserer Senatoren, auf uns ziehen, weil es darum geht, ihnen zu zeigen, dass wir die Macht haben“, erklärt Larkins weiter. Die Schüler*innen der Winter Park High School waren mit ihren Protesten nicht allein, auch die Tage darauf versammelten sich landesweit junge Menschen, um gegen das Gesetz zu protestieren.

LGBTQIA+-Organisationen wie Equality Florida reichen Klage ein. „Der Versuch, junge Menschen über eine staatliche Zensur zu kontrollieren ist ein schwerer Machtmissbrauch“, schreibt Equality Florida in der Beschwerde. 

„Wir sind informiert“ – Schüler*innen in Florida senden eine klare Botschaft an Gouverneur DeSantis.
Landesweit protestierten Schüler*innen mit selbstgebastelten Schildern und Regenbogenflaggen.
Moricz sprach Ende Februar schon vor dem Senat Floridas. Auch beim Nachrichtensender CNN war er schon zu Gast.

Kinderpsycholog*innen zeigen sich besorgt

Beschließungen wie das „Don’t say gay“-Gesetz könnten sich negativ auf die Entwicklung und mentale Gesundheit von LGBTQIA+-Kindern auswirken und Schulen zu unsicheren Orten machen. Eva Goldfarb, Professorin für öffentliche Gesundheit an der Montclair State University in New Jersey, äußert sich in einem Statement gegenüber der Deutschen Welle beunruhigt: „In alters- und entwicklungsgerechter Form sollten Sexualerziehung und auch die Diskussion über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sehr früh beginnen, auch schon im Kindergarten", sagt die Expertin. Als Beispiel für eine Erziehung in alters- und entwicklunsgerechter Form nennen Pädagog*innen vor allem inklusive Kinderbücher. Aus ihnen entwickeln sie ihr Bild von sich selbst und anderen – auch im Hinblick auf Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung. Durch Bücher, die Unterschiede benennen, in denen Kinder sich wiederfinden und Neues entdecken können, wird ihnen gespiegelt: Die Welt ist bunt und vielfältig. Dadurch wird Kindern die Freiheit gegeben, sich so zu entwickeln, wie es für sie richtig und passend ist.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bestätigt: Sexualität ist ein existenzielles Grundbedürfnis des Menschen und zentraler Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung. Bei der Sexualerziehung geht es also nicht nur um Sexualität, sondern sie beschäftigt sich auch mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Liebe, Freundschaft und ein Gefühl der Zugehörigkeit gehören zur Aufklärungsarbeit dazu. Dies fängt Expert*innen zufolge schon im Kindergarten an: Eine Lernumgebung, die es Kindern erlaubt, ein Gefühl der Zugehörigkeit über Beziehungen zu anderen aufzubauen, ist für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig. Das kann zum Beispiel über Spielmaterialien, Bücher oder CDs erreicht werden, indem Menschen unterschiedlichen Geschlechts, Hautfarbe und sexueller Ausrichtung repräsentiert sind.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont, dass jungen Menschen unvoreingenommen Aspekte der Sexualität vermittelt werden müssen, sodass sie die Fähigkeit erlangen, ihre Partnerschaften erfüllt auszuleben.

Die wichtige Rolle der Schule

Schon jetzt zeigen Umfragen, dass LGBTQIA+-Kinder Orte und Ressourcen brauchen, die sie tolerieren und in ihrer Identität bestärken. Eine Umfrage der amerikanischen Bildungsorganisation GLSEN von 2019 weist nach, dass sich ein inklusiver Lehrplan positiv auf LGBTQIA+-Schüler auswirkt. Die Befragten gaben ein Gefühl der Zugehörigkeit an, sie hatten mehr Selbstbewusstsein und waren weniger anfällig für Depressionen.  

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Eine Umfrage der Bildungsorganisation GLSEN zeigt: Ein inklusives Schulcurriculum kann einiges bewirken. | Quelle: Celina Gundel

Die Behandlung von LGBTQIA+-Themen im Unterricht hat nicht nur einen positiven Effekt auf die betroffenen Schüler*innen, sondern sie sensibilisiert auch ihre Mitschüler*innen in ihrem Verständnis für Diskriminierung gegenüber queeren Menschen. Durch dieses erweiterte Verständnis ist es bei Jugendlichen mit einem inklusiven Curriculum zweimal so wahrscheinlich, dass sie eingreifen, wenn sie homophobe Bemerkungen hören. In der Umfrage wurde außerdem untersucht, inwiefern LGBTQIA+-Schüler*innen das Schulpersonal über diskriminierende Vorfälle innerhalb der Schule informiert hatten und welche Maßnahmen das Personal gegen Diskriminierung ergriffen hatte. 60 Prozent der Befragten gaben dabei an, dass die Lehrkräfte nichts gemacht hätten – nur rund 20 Prozent leisteten emotionalen Beistand. Unterstützende Lehrer*innen können sich positiv auf die Schulerfahrungen der Schüler*innen auswirken und nachweislich die Lernmotivation steigern.

Ein Bericht der Non-Profit-Organsiation „The Trevor Project“ aus dem Jahr 2021 zeigt, dass 42 Prozent der LGBTQIA+-Jugendlichen über Selbstmord nachgedacht haben. Hatten sie in der Schule eine sichere Umgebung, war die Wahrscheinlichkeit eines Suizidversuchs um sechs Prozent niedriger.

Je früher, desto besser?

Es kann also festgehalten werden: Sexualerziehung kann nach den Meinungen von Expert*innen nicht früh genug beginnen. Durch inklusive Bücher, Filme und weniger Hemmungen lernen Kinder einiges über die Vielfalt von Beziehungen. Das schließt nicht nur Sexualität, sondern auch Emotionen wie Freude, und ein Gefühl der Zugehörigkeit ein. Auch die Umfragen zeigen deutlich: Die Rolle der Schule ist für die mentale Gesundheit von LGBTQIA+-Jugendlichen wichtig und zum Teil sogar entscheidend. Die Schüler*innen schreiben in einem positiven und inklusiven Lernumfeld nicht nur bessere Noten, sondern sie fühlen sich sicherer und verbundener zu ihren Mitschüler*innen.

Während Organisationen wie Equality Florida weiterhin zum Protest aufrufen, zeigt sich DeSantis von der Kritik und geäußerten Sorgen bezüglich des Gesetzes unbeeindruckt. „Mir ist egal, was die großen Unternehmen sagen. Hier stehe ich. Ich mache keinen Rückzieher“. Am 1.Juli soll das Gesetz in Kraft treten.