Schifffahrt 4 Minuten

East India Company - Das Amazon von früher

Segelschiff "Eye of the Wind"
Die Weltmeere besegeln: Was heute für uns völlig normal ist, haben früher nur die Wagemutigsten unternommen | Quelle: Lukas Kling
21. Jan. 2025

Seit den Anfängen der Seefahrt haben sich Schiffsrouten über die Ozeane erstreckt – von den ersten Segelschiffen bis hin zu den modernen Containerriesen. Die Unternehmen, die diese Handelsrouten kontrollieren, Schiffe besitzen und beladen, verfolgen dabei stets ein klares Ziel: mehr Umsatz und wachsenden Einfluss.

Wir befinden uns in Mumbai im Jahr 2044. Durch die Fensterscheiben des Prime-Towers betrachtet der General Governor der Stadt, ernannt von Geschäftsführer Jeff Bezos höchstpersönlich, rund ein dutzend Containerschiffe im Hafen. Das ikonische Prime-Lächeln auf den Schiffen glänzt in der heißen Abendsonne, während die Besatzung Kisten mit Smartphones, Kleidung, Knabbereien und sonstigen Waren an Land bringt. Seitdem die Region vor einem Jahrzehnt nach einer heftigen Schlacht zwischen der indischen Armee und den Truppen Amazons vom Konzern übernommen wurde, hat der General Governor mehr Macht als die meisten Staatsoberhäupter im Land. Er schaut zufrieden auf seine Schiffe: Durch den „Prime Protection Act“, erlassen durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten, erhält der Konzern militärischen Schutz und Hilfe, wodurch die Waren schneller und sicherer durch die Ozeane der Erde gelangen. So in etwa könnte eine Welt aussehen, in der einem Unternehmen von der Regierung seines Landes militärische Unterstützung, politische Entscheidungskraft und Handelsmonopole gesichert werden. Was wie ein dystopischer Roman klingt, war noch vor 150 Jahren Realität. 

Die Britische East India Company existierte von 1600 bis 1874 und ist bis heute eines der einflussreichsten und größten Unternehmen, die es je gegeben hat. In ihrer Hochphase befehligte das Handelsimperium seine eigene Armee, krönte Könige und kontrollierte einen bedeutenden Teil des Handels mit Waren wie Tee, Textilien oder Gewürzen. Angefangen in Ostindien expandierte die Kompanie über die Jahre gewaltig, bis sie fast die Hälfte des weltweiten Handels betrieb. Über den Globus verteilt übernahm sie außerdem administrative und militärische Aufgaben. Die Kompanie spielte eine zentrale Rolle bei der Kolonialisierung Indiens durch das British Empire. So sicherte sie der Krone etwa in Kriegen wichtige Territorien und regierte Teile des Landes selbst.

Im Auftrag der Kompanie

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Drehe die Weltkugel und folge den roten Bögen von Hafen zu Hafen, um Sir Robert Wigrams Route nachzuvollziehen. | Quelle: Datensatz des edit-Teams

Diese Route von Sir Robert Wigrams Schiff „Tottenham“ ist ein typisches Beispiel für eine Reise unter der East India Company. Sie begann im Heimathafen des Schiffs, Portsmouth, und führte über Madeira, Diamond Harbour, Benkulen und St. Helena bis zurück nach England. Auf Madeira nahmen die Schiffe zum Beispiel Wein und andere Vorräte auf, um mit ihnen zu handeln. In Indien, insbesondere in Diamond Harbour bei Kalkutta, wurden wertvolle Güter wie Tee und Baumwolle geladen. Weiter ging es für das Schiff nach Benkulen auf Sumatra, wo die Crew exotische Gewürze für den Transport nach London erwarb. Ein besonders wichtiger Halt für die Schiffe der Kompanie war St. Helena, eine abgelegene Insel im Südatlantik. Hier konnten die Schiffe repariert und ihre Vorräte aufgefüllt werden, bevor sie die letzte Etappe zurück nach England antraten.

Damals wie heute?

Die globale Handelslogistik basiert nach wie vor stark auf der Seeschifffahrt. Mehr als 80% des weltweiten Handels werden über Containerschiffe abgewickelt - eine Methode, die sich seit 150 Jahren kaum verändert hat. Riesige Containerschiffe transportieren Waren zwischen verschiedenen Kontinenten und spielen eine zentrale Rolle in der internationalen Wirtschaft. Ein interessantes modernes Beispiel für ein ähnliches Geschäftsmodell wie die historische Britische Ostindien-Kompanie (EIC) ist Amazon. Zwar handelte es sich bei der EIC um eine halb staatliche Institution, die ebenso der britischen Krone wie ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse diente, während Amazon ein klassisches modernes Unternehmen ist. Doch gibt es zahlreiche Parallelen zwischen den beiden Konzernen. Amazon fungiert als Plattform für zahlreiche Händler, sammelt deren Produkte und vertreibt sie über seine eigene Website. Anders als traditionelle Hersteller produziert Amazon nicht selbst, sondern agiert als Vermittler zwischen Verkäufern und Kunden. Auch die East India Company stellte kaum eigene Produkte her, sondern sammelte Güter aus aller Welt, um mit ihnen zu handeln.

Der am häufigsten angefahrene Hafen auf den Seefahrten der EIC war um 1800 St. Helena. In der modernen Handelslandschaft nimmt Shanghai eine Schlüsselposition ein. Der dortige Hafen ist der weltweit größte und bearbeitet täglich über 120.000 Container. Historisch bedeutsame Handelsrouten wie das Kap der Guten Hoffnung, das bereits von der Britischen Ostindien-Kompanie frequentiert wurde, bleiben auch heute für den internationalen Seehandel von Bedeutung.

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Finde per Klick heraus, wie häufig ein Land durch die EIC besegelt wurde, oder benutze die Suchfunktion oben links! Weißt du, wo Saint Helena liegt? Tipp: Schau zwischen Afrika und Südamerika. | Quelle: Datensatz des edit-Teams

Die East India Company war also der Vorläufer vieler heutiger multinationaler Unternehmen. Sie legte den Grundstein für die Globalisierung und den modernen Kapitalismus, in dem durch Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitskräften profit geschlagen wird. Aus ihrer dreihundertjährigen Geschichte lässt sich herauslesen, dass wirtschaftliche Macht und politische Einflussnahme eng verflochten sind: Sir Robert Wigram, dem das Schiff unserer Beispielsroute gehörte, war neben seiner Tätigkeit für die Kompanie als Politiker aktiv: So saß er fünf Jahre im britischen House of Commons. Genau wie er waren viele andere Direktoren und Aktionäre der East India Company gleichzeitig Politiker. Auch heute betreiben multinationale Konzerne Lobbyarbeit und sichern sich so politischen Einfluss. Konzerne wie Amazon geben jährliche allein in Deutschland Millionensummen für Lobbyarbeit aus und setzen sich beispielsweise für weniger Steuern oder vorteilhafte Arbeitsrechtregelungen ein. Wie auch die East India Company von einem Handelsmonopol profitierte, beherrscht Amazon große Teile des Marktes, diktiert Preise und verdrängt kleinere Händler. Während im Jahr 2018 noch 54 % des Onlinehandels von anderen Anbietern abgedeckt wurden, ist dieser Anteil innerhalb von fünf Jahren auf nur noch 40 % gesunken – parallel dazu ist Amazons Marktanteil erheblich gestiegen. Mehr als die Hälfte des gesamten Onlinehandels in Deutschland wird über Amazon abgewickelt. Damit ist der Handelsgigant zwar noch weit von der Dominanz der East India Company entfernt, jedoch auf einem guten Weg dahin. Statt mit einem vergessenen Kapitel aus dem Geschichtsunterricht haben wir es bei der East India Company also mit einem Thema zu tun, aus dessen Historie wir heute noch lernen können.

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Alle erfassten Schiffe (1795 - 1805) und die durch diese bereisten Häfen sind in einem Netzwerk dargestellt. Klicke einen Knoten an, um diesen zu isolieren. | Quelle: Datensatz des edit-Teams

Diese Erkenntnisse wurden im Rahmen eines studentischen Netzwerkforschungsprojektes gewonnen. An das Wissen über Schiffe, Besitzer und Häfen gelangten die Redakteure über Threedecks, einer auf Seefahrt spezialisierten Online-Datenbank. Genauere Informationen, die im Archiv oft fehlten, recherchierte das Team in den zahlreichen Wikipedia Beiträgen zu einzelnen Schiffen der Kompanie. Die für den Bezugszeitraum 1795 bis 1805 erhobenen Informationen sind in einem Netzwerk zusammengefasst. Der zugrunde liegende Datensatz ist auf GitHub einsehbar.