Als ich in einer ungarischen Gesellschaft geäußert habe, Ungarn sei Osteuropa, bin ich fast aus dem Restaurant geschmissen worden.
Übersexualisiert und unterdrückt: Osteuropäische Frauen in unserer Gesellschaft
Osteuropa ist kein Bereich in Europa, der sich wissenschaftlich genau definieren lässt, weswegen die Bedeutung des Begriffs stark von Zeit und Perspektive abhängig ist. Der Begriff wird genutzt, um häufig folgende (oft slawische) Länder vom restlichen Europa abzugrenzen: Polen, Tschechien, Slowakei, Ukraine, Weißrussland, Russland, Moldau, Litauen, Lettland, Estland, Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Kosovo, Serbien, Albanien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn. Quelle: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
Prostituierte, Putzfrau, Ehefrau
Über Frauen aus Osteuropa gibt es etliche Stereotypen, die ihre Rolle als Frau definieren. Laut der Kulturwissenschaftlerin Lisa Jarzynski sind drei dabei besonders häufig: Zum einen gibt es „die Frau aus dem Ostblock“, diese sei besonders attraktiv und als Mann vermeintlich leicht zu bekommen. Ebenfalls sei sie sehr käuflich und an einem reichen Mann interessiert, weswegen sie häufig über ihre Sexualität und Attraktivität Geld verdiene. Dieses Bild wird durch die Medien stark reproduziert, beispielsweise in der mitteleuropäischen Filmbranche, in der die Rolle der Sexarbeiterin stets als Frau mit osteuropäischer Nationalität charakterisiert wird. Aber auch in Serien wie „Traumfrau gesucht“, in welcher Walther Hoffmann 68 Episoden lang nach einer Traumfrau in ganz Osteuropa sucht, wird das Stereotyp der käuflichen Frau, die von einem mitteleuropäischen Mann wie eine Trophäe mitgenommen werden kann, reproduziert. Die zweite Vorstellung von osteuropäischen Frauen ist die Vorstellung als Pflege oder Putzkraft. Dies mag zunächst positiv klingen, weil die Grundlage dieser Vorstellung darauf basiert, dass Osteuropäerinnen viel arbeiten, jedoch werden sie in der mitteleuropäischen Gesellschaft damit nicht als fleißig gesehen, sondern für ökonomische Zwecke ausgenutzt. Als meine Mama aus Mazedonien nach Deutschland gekommen ist und auf der Suche nach einem Job war, wurde sie vom Arbeitsamt immer mit Jobs als Reinigungskraft abgefertigt, bevor man überhaupt nach ihrem Lebenslauf gefragt hat. Alle ihre Freundinnen mit osteuropäischen Wurzeln berichten mir, dass ihnen das auch passiert ist. Das dritte Stereotyp beschreibt die Vorstellung „der schönen osteuropäischen Frau“. Diese repräsentiert besonders viel Reinheit, ist sehr familienverbunden und christlich.
Die Abhängigkeit vom Mann
Auffallend ist bei allen Rollen, dass diese immer unterdrückend und untergeordnet sind. Alle Stereotypen sind stets fest an die Rolle eines Mannes gebunden und repräsentieren damit auch die vermeintliche Abhängigkeit von Osteuropäerinnen. Dies liegt zwar auch daran, dass Frauen generell in der Gesellschaft in vielen Bereichen unterdrückt werden, jedoch findet dies bei Osteuropäerinnen aufgrund ihrer Herkunft nochmals verstärkter statt. Wie internalisiert diese Stereotypen in unserer Gesellschaft sind, zeigt eine Umfrage, die ich zu dem Thema gemacht habe: Hierbei gaben nur zwölf Prozent der Teilnehmenden an, noch nie mit einem der oben genannten Stereotypen konfrontiert worden zu sein.
Verbreitung der Stereotypen
1500 Jahre altes Muster der Abwertung
Innerhalb der Geschichte Europas erkennt man eine fast 1500 Jahre lange Struktur der Abwertung von Osteuropäer*innen, dafür gibt es zwei besondere Gründe: zum einen wurden sie innerhalb der Geschichte als unzivilisiertes Volk gesehen, welches von den vermeintlich zivilisierten Mitteleuropäer*innen erzogen werden musste. Bereits 800 nach Christus bezeichnete Karl der Große die Slawen als unzivilisierte Heiden. Dieser sogenannte Antislawismus zieht sich weiter bis zum Nationalsozialismus, in welchem es die Theorie des slawischen Untermenschen gab, die besagte, dass die slawischen Völker den Deutschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit unterlegen wären. Der zweite Grund zeigt sich besonders innerhalb der Zeit des Kalten Kriegs und manifestiert sich in Deutschland besonders über die Teilung zwischen Ost und West: die Angst vor dem vermeintlich gewaltvollen und aggressiven Osten. Die politische Spaltung führte zwangsläufig auch zur sozialen Spaltung, was zur Folge hatte, dass beide Gesellschaften ein von Stereotypen und Misstrauen geprägtes Bild vom jeweils anderen entwickelten. Hier verstärkt sich auch das Klischeebild des „typischen Ossis“ so wie man ihn bis heute in unserer Gesellschaft kennt: faul, asozial, unzufrieden. Dieses negative Bild von Ostdeutschen ist heutzutage immer noch extrem integriert in unsere Gesellschaft, woran sich auch erklärt, weshalb die generelle Abneigung und Abwertung des Ostens so normalisiert ist: Alles, was mit dem Osten und damit auch unter anderem mit dem früheren Ostdeutschland zu tun hat, wird historisch und bis heute als unzivilisiert und gefährlich gesehen. Ein Beleg für die gesellschaftliche Ausgrenzung ist, dass bei einer Umfrage 50 Prozent der befragten Personen aus Ostdeutschland angaben, sich wie ein Bürger zweiter Klasse in Deutschland zu fühlen. Durch diese Normalisierung wird es in unserer Gesellschaft deutlich weniger hinterfragt, wenn man Osteuropäerinnen mit sexistischen Stereotypen bewirft.
Europaweite Ablehnung des Ostens
Aber nicht nur Deutschland grenzt sich vom Osten ab, auch andere mitteleuropäische Länder führen eine Politik der Abgrenzung und Ablehnung gegenüber Osteuropa. Da es keine genaue Lokalisation von Osteuropa gibt und damit der Begriff an sich schon ein von Klischees durchtränktes Konstrukt ist, ist es schwierig festzustellen, welche Länder überhaupt als dazugehörig definiert werden können.
Der Historiker und Privatdozent für Kulturwissenschaften Nils Franke erzählt zum Beispiel von einer Erfahrung als er in Ungarn war, die aufzeigt, dass einige Länder nicht zu Osteuropa zählen möchten:
Frauen aus Osteuropa sind von dieser Ausgrenzung und Abwertung aufgrund ihres Geschlechts und ihrer daraus folgenden Stellung in unserer patriarchalen Gesellschaft nochmals verstärkter betroffen. Sie werden eher abgewertet und als Objekt degradiert, weil es bezüglich ihrer Herkunft, eine tiefe Verwurzelung gebe, dass sie sowieso nicht gleich viel wert seien, erklärt Nils Franke. Der individuelle Mensch entwickelt ein solches Bild von bestimmten Personengruppen vor allem über die primäre und die sekundäre Sozialisation, also über die Familie und deren Einstellung zu Osteuropäer*innen und über das, was in den Freundeskreisen und der Gesellschaft weitergegeben wird. Wie bereits weiter oben erwähnt ist das Stereotyp der osteuropäischen Frau ein Konstrukt der Gesellschaft, welches gesamtgesellschaftlich kaum hinterfragt wird und sich aus diesem Grund immer mehr etabliert und weitergegeben wird.
Frauen mit ID-Nummern
Die Folgen der Stigmatisierung osteuropäischer Frauen sind genauso allgegenwärtig und sprechen Bände. Frauen aus Russland, Bulgarien oder der Ukraine werden mit Bildern, kurzen Beschreibungen und sogar ID-Nummern online wie in Katalogen angeboten und können auf eine persönliche „Favoritenliste“ gesetzt werden. Der Kontakt zu diesen Frauen wird nicht über eine persönliche Ebene hergestellt, sondern über Preispakete. Für 250 Euro bekommt man die Kontaktdaten von zwanzig Frauen und für 3000 Euro hat man die Möglichkeit selbst mit einer Reisegruppe, bestehend aus weiteren Interessenten in die Ukraine zu reisen und zwölf Frauen innerhalb einer Woche kennenzulernen. Bei diesen Treffen ist auch immer ein Vermittler dabei. Die Seite ist kein Einzelfall, ich musste nicht lange scrollen, bis ich zwei weitere Seiten dieser Art gefunden habe. Wie viel Freiwilligkeit oder finanzielle Not hinter einem Katalog steckt, welcher Frauen aus wirtschaftlich schwächeren Ländern die Möglichkeit gibt in eines der ökonomisch stärksten Länder zu kommen, lässt sich am Ende nicht sagen. Nils Franke äußert sich ebenfalls dazu:
Die Bedrohung durch die Diskriminierung findet nicht nur online statt, sondern nimmt unter anderem seit Beginn des Ukraine-Kriegs auch im echten Leben dieser Frauen zu. Die Berliner Polizei berichtet im Oktober 2023 von mutmaßlichen Menschenhändlern, die ukrainischen Frauen Hilfsangebote vortäuschen, um sie in die Zwangsprostitution zu treiben. Die Übersexualisierung und vermeintliche Käuflichkeit von osteuropäischen Frauen spiegeln sich auch in Umfragen unter Sexkäufern wider: Hierbei gaben mit einer Mehrheit 30 Prozent der Befragten an, Frauen aus Osteuropa zu bevorzugen.
Stereotypen müssen durchbrochen werden
Es muss auch erwähnt werden, dass osteuropäische Frauen Unterdrückung und die Reduzierung auf ihre Äußerlichkeiten keinesfalls nur in Mitteleuropa erleben, sondern auch in den osteuropäischen Ländern. Der Gender Equality Index aus 2020 belegt dies, da hierbei so ziemlich alle osteuropäischen Länder die letzten Plätze belegen und damit deutlich unter dem Durchschnittswert der EU liegen. Das ändert jedoch nichts daran, dass wir als mitteleuropäische Gesellschaft diesen Frauen hier ein vorurteilsfreies Leben ermöglichen müssen. Ich habe selber Wurzeln in Mazedonien und bin fast ausschließlich mit osteuropäischen Frauen aufgewachsen, die mir von ihrer Erfahrung und ihren Erlebnissen berichtet haben. Jede einzelne dieser Frauen hat ein individuelles Leben und eine persönliche Geschichte mit den unterschiedlichsten Schicksalen. Sie alle haben sich aus eigener Kraft ein Leben in Deutschland aufgebaut, auch wenn sie häufig mit Diskriminierung, unter anderem auch in Form von Stereotypen konfrontiert wurden und immer noch werden. Osteuropäische Frauen sind ein wichtiger und tief verankerter Bestandteil unserer Gesellschaft, dem Schutz vor Diskriminierung gebührt. Dies gilt für die, welche schon seit langer Zeit hier sind, als auch für diese, die vor nicht langer Zeit ihre Heimat verlassen mussten und hier Schutz suchen.