Einsamkeit 6 Minuten

Einsamkeit bei jungen Menschen – allein unter vielen?

Ein in schwarz-weiß dargestelltes Mädchen sitzt mit angewinkelten Beinen auf dem Boden, die Arme um die Beine gelegt. Der Rest des Bildes ist farbig. Im Hintergrund sitzen drei Mädchen, lachen und unterhalten sich miteinander. Das Mädchen auf dem Boden wirkt trotz ihrer Nähe zur Gruppe isoliert und distanziert.
Oft werden Alleinsein und Einsamkeit gleichgestellt. Dabei entsteht Einsamkeit häufig auch in Gesellschaft. Symbolbild | Quelle: Lilly Hütter
03. Febr. 2025

Einsamkeit ist ein komplexes Gefühl, das oft durch Veränderungen, Diskriminierung oder psychische Erkrankungen verstärkt wird. Trotz einer vernetzten Welt erleben viele Isolation und das Fehlen echter emotionaler Bindungen. Wie entsteht dieses Gefühl und was beeinflusst es?

Dieser Beitrag ist Teil des Gruppendossiers zum Thema „Einsamkeit bei jungen Menschen“. Im Feature von unserer Redakteurin Lilly Hütter erfahrt ihr vom Women Walk and Talk, einer Strategie gegen Einsamkeit.

Die Feiertage sind vorbei. Weihnachten, das Fest der Familie und der Liebe, sowie die rauschenden Silvesterpartys, die das neue Jahr einläuten sollten, liegen hinter uns. „Zum Glück“, mögen sich einige denken – denn während viele die Festtage nutzen, um die Nähe zu ihren Liebsten zu genießen und mit Freunden zu feiern, erleben manche Menschen gerade während dieser Zeit das Gefühl der Einsamkeit besonders stark. Und das nicht zwingend deshalb, weil sie niemanden haben, sondern weil sie sich trotz Gesellschaft isoliert oder verloren fühlen. 

Einsamkeit = Alleinsein?

Die Begriffe Einsamkeit und Alleinsein werden häufig synonym verwendet, beschreiben jedoch zwei unterschiedliche Zustände. Das Alleinsein ist ein selbstgewählter Zustand, den Betroffene meist als positiv empfinden und bewusst zur Selbstreflexion, Selbstverwirklichung und dergleichen nutzen. „Beispielsweise kann alleine auf eine Reise zu gehen zwar mit vermehrtem sozialem Rückzug verbunden sein, jedoch ebenso mit vermehrter Freude, Selbstwirksamkeitserfahrung und Entspannung“, sagt Psychotherapeutin Isabell Wolf aus Stuttgart. Diese Form des selbstgewählten Alleinseins zeigt, dass es nicht zwingend negativ ist, Zeit allein zu verbringen.

Einsamkeit hingegen ist ein unfreiwilliger Zustand, den Betroffene als äußerst belastend empfinden. Sie kann zwar durch das physische Alleinsein entstehen, vor allem, wenn dieser Zustand nicht freiwillig gewählt wurde. Gleichzeitig ist Einsamkeit nicht zwangsläufig an das Alleinsein gebunden – sie kann genauso im Beisein von Freunden oder Familie auftreten, wenn das Gefühl fehlt, wirklich verstanden zu werden oder emotional verbunden zu sein. In beiden Situationen bleibt das grundlegende Bedürfnis nach emotionaler Nähe und Gemeinschaft unerfüllt. Besonders die junge Bevölkerung ist davon betroffen.

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Vor allem junge Menschen sind von Einsamkeit betroffen. | Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ)

Walk of Loneliness

Unsere Redakteurinnen Yasemin Karakan und Saskia Moritz haben das Sozialexperiment „Walk of Loneliness“ ins Leben gerufen. Hierbei trafen sie auf sieben Jugendliche, denen sie verschiedene Fragen zu ihren Erfahrungen mit Einsamkeit gestellt haben. So wurde sichtbar, wie viele von ihnen ähnliche Gefühle und Erlebnisse teilen.

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Im Sozialexperiment „Walk of Loneliness“ haben unsere Redakteurinnen sieben Jugendliche interviewt, die unter Einsamkeit leiden, und dabei bewegende Einblicke in ihre persönlichen Geschichten und Herausforderungen erhalten.

Wieso fühlen sich junge Menschen einsam?

Einsamkeit ist ein vielschichtiges Phänomen, das durch diverse persönliche und gesellschaftliche Faktoren ausgelöst werden kann. Häufig entsteht sie aus einer Kombination äußerer und innerer Zustände. Besonders junge Menschen stehen oft an Wendepunkten ihres Lebens, die sie vor Herausforderungen stellen. 

Lebensveränderungen und Verlust

So können plötzliche Veränderungen und Krisen im Leben ein starker Auslöser für Einsamkeit sein. Junge Menschen durchlaufen häufig Übergangsphasen wie einen Schulwechsel, Umzug in eine fremde Stadt zum Studium oder die erste eigene Wohnung. Das sind Erfahrungen, die spannend sein können. Gleichzeitig lösen sie oft Gefühle von Isolation und Einsamkeit aus. Gerade in einem neuen Umfeld fehlen oft zunächst soziale Kontakte und die Vertrautheit mit der Umgebung. Auch einschneidende Ereignisse wie der Verlust eines geliebten Menschen – sei es durch Tod, Trennung oder den Wegfall enger Freundschaften – können tiefe emotionale Narben hinterlassen. Oft werden derartige Erfahrungen mit dem Gefühl begleitet, dass niemand die eigene Trauer oder den Schmerz nachempfinden kann, was das Gefühl der Einsamkeit verstärkt.

Diskriminierung und ihre Folgen: Einsamkeit durch Ausgrenzung

Des Weiteren kann Diskriminierung erheblich zur Entstehung von Einsamkeit beitragen. Obwohl Diskriminierung Menschen jeden Alters betrifft, zeigen sich gerade bei jungen Leuten in Schule, Ausbildung oder in sozialen Kontexten besonders starke Auswirkungen.

Mikroaggressionen, also „kleine“, oft unbewusste Bemerkungen oder Verhaltensweisen – wie das ständige Fragen nach der „eigentlichen“ Herkunft – wirken harmlos, hinterlassen aber bei den Betroffenen das Gefühl, „anders“ oder fremd zu sein. Ebenso greift Diskriminierung auf struktureller Ebene: In Schulen oder Universitäten fehlen oft Vorbilder mit diverser Herkunft, und bestimmte Gruppen haben aufgrund von Benachteiligungen im Bildungssystem erschwerten Zugang zu höherer Bildung oder beruflichen Möglichkeiten. Dies verstärkt das Gefühl, weniger wertgeschätzt zu werden und fördert die soziale Isolation.

Auch Ableismus, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, greift auf verschiedenen Ebenen: Physische Barrieren, wie beispielsweise das Fehlen von Rollstuhlrampen, schränkt die Bewegungsfreiheit und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein. Dies führt dazu, dass sie an vielen sozialen Aktivitäten gar nicht teilnehmen können und isoliert bleiben. Auch soziale Barrieren erschweren es den Betroffenen, neue Kontakte zu knüpfen. Dazu gehört die häufige Annahme, dass Menschen mit Beeinträchtigungen weniger leistungsfähig oder weniger an sozialen Interaktionen interessiert seien. Laut der Studie „Inklusionsbarometer Jugend“ von Aktion Mensch fühlen sich Jugendliche mit Beeinträchtigungen doppelt so häufig einsam wie ihre Altersgenossen ohne Beeinträchtigungen. 

Ein Teufelskreis des sozialen Rückzugs?

Depressionen gelten als eine der häufigsten psychischen Erkrankungen bei jungen Menschen und können Einsamkeit erheblich begünstigen. „Ein Diagnosekriterium der Depression ist das verminderte Interesse an Aktivitäten und vermindertes Freudeerleben, was meist zu sozialem Rückzug führt. Durch diesen kann Einsamkeit entstehen“, sagt Psychotherapeutin Isabell Wolf. Forschungsergebnisse der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention zeigen, dass sich Menschen mit Depressionen doppelt so häufig einsam fühlen wie der Rest der Bevölkerung. Sie empfinden sich häufig als Belastung für andere und vernachlässigen daher bestehende Beziehungen oder meiden sie gar aktiv. Jener Rückzug wird von außen oft missverstanden: Freunde ordnen das Verhalten fälschlicherweise als Desinteresse oder Ablehnung ein, was wiederum die Isolation der Betroffenen verstärkt. „Hat man einmal eine Depression, fällt es einem meist schwer, Energie für positive Aktivitäten aufzubringen oder negativen Gedanken zu begegnen, die einen abhalten, aktiv zu werden. Dies verringert die Chance auf soziale Interaktion und damit auch auf Freude und emotionale Nähe. Hier kann ein Teufelskreis entstehen“, so Wolf. Im Deutschland-Barometer 2018 gaben 23 Prozent aller Befragten mit Depression an, dass im Zuge der Erkrankung die Beziehung in die Brüche gegangen sei.

„Hat man einmal eine Depression, fällt es einem meist schwer, Energie für positive Aktivitäten aufzubringen oder negativen Gedanken zu begegnen, die einen abhalten, aktiv zu werden. Dies verringert die Chance auf soziale Interaktion und damit auch auf Freude und emotionale Nähe. Hier kann ein Teufelskreis entstehen.“

Isabell Wolf, Psychotherapeutin

Ist Social Media daran schuld?

Welche Rolle Social Media im Zusammenhang mit Einsamkeit spielt, erfahrt ihr in dem Podcast von unseren Redakteurinnen Belinda und Lu. Hier sprechen sie mit Expertinnen über den Risikofaktor Soziale Medien und geben Tipps an die Hand, wie man bewusst und gesund mit digitalen Netzwerken umgehen kann.