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Kopf an Kopf – Warum wir unterschiedliche Hochschultypen brauchen

Zwei Mädchen im Porträt, die sich anschauen und auf deren Stirn Zettel mit der Aufschrift "Universität" und "Fachhochschule" kleben
Symboldbild: Zwei Bildungswelten treffen in Deutschland aufeinander. | Quelle: Ramona Willig
12. Dez. 2024

Überfüllt, unpersönlich, realitätsfern – Universitäten gelten noch immer als das Nonplusultra der Bildung. Doch sind sie das wirklich? Nicht jede Vermittlungsart passt zu jedem Menschen. Warum die Gesellschaft einen Perspektivwechsel braucht und wir ein differenziertes Hochschulsystem – ein Essay.

Auch ein Jahr später kann ich noch keinen Hörsaal betreten, ohne an mein gescheitertes „Uni-Experiment“ zu denken. Im Oktober 2022 hatte es gestartet – voller Elan begann ich mein Jurastudium an einer deutschen Universität. Der Traum: Unser Rechtssystem verstehen und so für Gerechtigkeit kämpfen, neue Freunde finden, woanders ankommen. Die Realität: Theorie, Theorie, Theorie, riesige Hörsäle, Anonymität – neue Leute lernte ich in den Massenveranstaltungen kaum kennen. Mein Kürzel, mit dem ich mich überall anmelden musste, war eine Zahlenfolge. Studentin 452479. 

Ein Kernproblem? Ich wusste nicht, wie ich mit den Unmengen an Lernstoff umgehen sollte, wann ich genug gelernt hatte.

Drei Semester hielt ich durch, dann wechselte ich in ein anderes Studienfach an eine Fachhochschule. Wenn ich heute meine Kursräume betrete, wird über aktuelle Themen diskutiert, die Bezug zu meiner Lebensrealität haben. Wir sind 30 Studierende, die ich alle kenne, meistens arbeiten wir an Projekten.

Der Unterschied? Die Lernstruktur gibt mir Halt. Der Workload ist klar verteilt, abends habe ich frei. Mein Kürzel hier sind meine Anfangsbuchstaben.

Überfüllt, unpersönlich, realitätsfern – das trifft auf meine Hochschule nicht zu. Diesen neuen Weg gegangen zu sein, überhaupt gehen zu können, war für mich eine Erleichterung und hat mir neue Perspektiven gegeben. In einer Zeit, in der sich Universitäten und Fachhochschulen immer weiter annähern, sage ich: Wir brauchen ein differenziertes Hochschulsystem. Es geht nicht nur um Theorie oder Praxis, sondern darum, dass Bildung den Menschen gerecht werden muss – mit all ihren unterschiedlichen Talenten und Lebenswegen.

Einen Überblick bei den ganzen Definitionen braucht man, um heute noch zu verstehen, wofür man sich bewirbt. | Quelle: Agentur für Arbeit, Eigene Darstellung

Das Ding mit dem Doktor

Wenn wir über Universitäten und Fachhochschulen sprechen, dann schwingt oft ein gewisser gesellschaftlicher Status mit. Rivalitäten wie „Die halten sich für was Besseres“ oder „Eure Prüfung ist unsere Einführungsveranstaltung“ kommen mir in den Sinn.

Das kommt nicht von ungefähr: Der höchste Bildungsabschluss in Deutschland ist der Doktorgrad. Diesen zu vergeben war lange Zeit nur Universitäten vorbehalten, bis durch die Bologna-Reform gleichwertige Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt wurden und man so zwischen Universitäten und Fachhochschulen wechseln kann.

Die Bologna-Reform bezeichnet einen Prozess in Europa, ein gleiches Studiensystem aufzubauen. So wurden Bachelor- und Masterabschlüsse geschaffen, die in Form von ECTS europaweit anerkannt sind. So soll mehr Zusammenarbeit und Austausch zwischen den Hochschulen ermöglicht werden.

Seitdem werden nach und nach Möglichkeiten geschaffen, um auch an Fachhochschulen promovieren zu können – allerdings ein schleichender Prozess. Ein Beweis, dass Forschung und Lehre an Fachhochschulen nicht mit Forschung und Lehre an Universitäten gleichwertig sind?

Nein. Denn die Hochschultypen haben schlicht unterschiedliche Profile: Universitäten betreiben in der Regel Grundlagenforschung, Fachhochschulen sind anwendungsorientiert und näher an Unternehmen. Ein Doktortitel wiederum qualifiziert für eine wissenschaftlich-akademische Laufbahn – etwas, dass nur forschungsstarke Fachhochschulen ermöglichen können. Denn an Fachhochschulen findet nur etwa sieben Prozent der Forschung an Hochschulen in Deutschland statt.

Zwei Hochschultypen, zwei Missionen

Hier liegt meiner Meinung nach der entscheidende Punkt: Universitäten und Fachhochschulen verfolgen unterschiedliche Ziele – und das ist gut so.

Universitäten stehen traditionell für Forschung und Theorie. Sie sind Orte, wo neue Theorien entwickelt, kritisch hinterfragt und in einen globalen Kontext gestellt werden. Hier entscheidet man sich für eine akademische Bildung, die nicht nur Fakten vermittelt, sondern auch das Denken und Forschen in größeren Zusammenhängen lehrt.

Die Fachhochschulen in Deutschland haben ihren Ursprung in den 1970er-Jahren. Sie wurden als eigenständiger Hochschultyp geschaffen, um praxisorientierte Studiengänge anzubieten und den Bedürfnissen der wachsenden Wirtschaft nach spezialisierten, aber praxisnah ausgebildeten Fachkräften zu entsprechen.

Man könnte jetzt fragen: Warum halten wir überhaupt an diesem dualen System fest? Wenn Universitäten inzwischen ebenfalls Praktika fordern und Fachhochschulen eine breite theoretische Basis vermitteln – wäre da ein einheitlicher Hochschultyp nicht effizienter? Nein, das wäre er nicht. In einer Welt, die immer dynamischer und interdisziplinärer wird, brauchen wir Vielfalt – auch in der Bildung.

Unterschiedliche Bildungswege für unterschiedliche Bedürfnisse

Ein Vorlesungssaal mit 400 Menschen. Professor*innen, die man kaum kennt. Prüfungen, die nur Bulimie-Lernen fördern. Ist das Bildung?

Menschen sind verschieden. Sie haben unterschiedliche Begabungen, Interessen, Berufswünsche und Lebensziele. Erst die Tatsache, dass es Unis und Fachhochschulen gibt, schafft eine Auswahl an verschiedenen Lernkonzepten und eröffnet die Chance, genau auf die Unterschiede einzugehen. Das ist nicht Schwäche, sondern Stärke.

Denn wenn ich eine Sache auf meinem Weg gelernt habe: Jeder Mensch lernt unterschiedlich. Viele Schulabgänger*innen interessieren sich vor allem für das Fach, das sie studieren wollen, weniger aber für die Art, wie das Wissen vermittelt wird. Dabei kann der Lerntyp entscheidend dafür sein, wie erfolgreich man die Berufsausbildung meistert – so habe ich es persönlich erfahren.

Oft sind uns die persönlichen Präferenzen, was den Theorie- und Praxisgehalt angeht, vorher nicht bewusst. Manchmal gilt es auszuprobieren. Hier erzählen zwei Studentinnen, wie sie ihren Wechsel empfunden haben. 

„Für mich war die Uni die bessere Wahl, weil ich hier einen breit gefächerten Blick bekomme und Kurse nach meinen individuellen Interessen wählen kann. In den Vorlesungen findet viel Durchmischung statt, immer wieder lerne ich andere Leute und auch Lebensentwürfe kennen. Ich würde aber definitiv sagen, dass die Hochschulwahl eine Typfrage ist – ich bin froh, beides ausprobiert zu haben.“

Rebekka studiert Sozialwissenschaften und ist von einer Fachhochschule an eine Uni gewechselt.

„Ich habe das Gefühl, ich nehme fachlich mehr mit, weil ich regelmäßiger Leistung zeigen muss, beispielsweise bei wöchentlichen Abgaben. Die Betreuung ist so viel besser und man merkt, dass die Profs auch lehren und nicht nur forschen wollen. Manchmal nervt mich die stärkere Kontrolle, aber an der Uni wiederum habe ich mich gerade am Anfang allein gelassen gefühlt.“ 

Amelie studiert Journalismus und ist von einer Uni an eine Fachhochschule gewechselt.

Universitäten fordern von ihren Studierenden mehr Eigenverantwortung. Ob Vorlesungen besucht werden oder nicht, am Ende des Semesters muss der Stoff sitzen. Kurse können aufgrund des großen Fächerangebots oft freier gewählt werden. Die Lehre findet nicht nur durch Professor*innen, sondern auch durch Lehrbeauftragte statt, denn die Anzahl der Unterrichtsstunden von Professor*innen, auch Deputat genannt, sind sehr gering. Viele forschen mehr, als sie lehren und lehren wollen.

An Fachhochschulen sind die Kurse in der Regel kleiner. Das ergibt einen besseren Betreuungsschlüssel, setzt jedoch auch die Anwesenheit voraus. Die Deputate der Professor*innen sind hier deutlich höher. Die Arbeit ist oft praxis- und projektorientierter, Lernfortschritte werden im Laufe des Semesters gefordert. Sichtbarkeit und Anleitung sind das Lernkonzept der Hochschule. Einengend für die einen, Freiheit für diejenigen, die klare Struktur bevorzugen und gerne angewandt arbeiten. 

Eine Gesellschaft im Wandel

Während es Studierende früher überwiegend zu Universitäten gezogen hat, steigen inzwischen auch die Studierendenzahlen an Fachhochschulen stark an. Der Trend entwickelt sich dahin, dass Praxisbezug immer wichtiger wird und ein differenziertes Hochschulsystem im internationalen Vergleich gefragt ist. 215 Fachhochschulen existieren inzwischen neben 109 Universitäten. Ein „besser“ oder „schlechter“ gibt es nicht mehr, dafür aber ein „passend“ und „unpassend“. 

Die Unterschiede zwischen beiden Hochschultypen sind wichtig. Sie sind richtig. Und sie ermöglichen Studierenden die Freiheit, die Art der Bildung zu wählen, die zu ihnen passt.

Also: Du willst studieren. Du bist motiviert, bereit für Neues. Aber denk daran – die Wahl der Bildungsinstitution ist ebenso wichtig wie die Wahl des Fachs. Bildung ist mehr als Wissen. Bildung ist ein Weg. Und der Weg muss zu dir passen. 

Denn das richtige Studium passt nicht nur fachlich, sondern auch in der Art, wie Wissen vermittelt wird.