Wie früher und doch anders
Wenn ich nach Hause komme, fällt mein Blick zuerst auf die Fotoecke neben meiner Wohnungstür. Auf dem kleinen Regal kuscheln meine Pflanzen mit sechs Bilderrahmen. Ich mag es, von meinen Freund*innen begrüßt zu werden – sei es nur mit einem Fotopapier-Lächeln.
Die Uni-Clique sehe ich jeden Tag, die Herzensmenschen, mit denen ich aufgewachsen bin, nur alle paar Wochen. Eigentlich eher alle paar Monate. In den Semesterferien, wenn nicht gerade jemand von uns arbeiten muss, mit der Familie im Urlaub ist oder genau dann knietief in der Prüfungsphase steckt, wenn der Rest sie längst hinter sich hat.
Meine engsten Freundinnen kenne ich schon 14 Jahre. Wir überbieten sogar unsere Altersklasse: Im Durchschnitt sind 18- bis 29-Jährige seit elf Jahren BFFs.
Trotzdem fällt es auch uns schwer, Zeit füreinander zu finden.
Von offenen Chats und Sprachnachrichten-Podcasts
Irgendwie sind Freundschaften wie Zimmerpflanzen. Sie wollen gepflegt werden, brauchen Liebe und Zuwendung und gehen ein, wenn man sie vernachlässigt. Ich habe keinen grünen Daumen. Mir ist sogar mal ein Kaktus vertrocknet. Die Pflanzen in meiner Wohnung leben auch nur noch, weil sie aus Plastik sind (ich weiß, ich weiß…).
Die Beziehung zu meinen Freund*innen aufrechtzuerhalten, fällt mir leichter. Die Menschen, die mir wichtig sind, sehe ich nicht mehr so oft wie früher in der Schule, aber wir telefonieren und chatten, wann immer möglich.
Einige meiner Freund*innen brauchen zwei oder drei Wochen, bis sie antworten. Dafür kommt dann eine Sprachnachricht in Podcast-Länge zurück. Aber seien wir mal ehrlich, ich bin da nicht besser. Gerade, wenn in der Uni Projekte anstehen, wachsen die offenen Chats exponentiell zu meiner To-Do-Liste. Irgendwann werde ich also selbst zur Sprachnachrichten-Podcasterin.
Freundschaft auf Distanz
Zwei meiner besten Freundinnen studieren nicht weit weg von mir, nur eine halbe Stunde mit dem Auto trennt uns voneinander. Immerhin sehen wir uns live und in Farbe, wenn unsere Fahrgemeinschaft mal wieder für ein Wochenende in die Heimat aufbricht. Bei dem Stau auf der A8 erreichen die vom Navi errechneten eineinhalb Stunden oft Mini-Roadtrip-Längen. Immerhin verbringt man so mehr Zeit miteinander.
Ganze sieben Stunden mit dem Auto oder sechseinhalb mit dem Zug liegen zwischen Stuttgart und Haarlem, und somit zwischen einer meiner engsten Freundinnen aus der Grundschule und mir. Kein Wunder, dass wir uns nur alle drei Monate persönlich sehen. (Warum muss sie auch in einem anderen Land studieren?)
Wenn es wieder soweit ist, genießen wir neben dem Kuchen im Lieblingscafé vor allem die stundenlangen Life-Updates. Dann ist alles so wie früher – auch wenn alles anders ist.
Ich gebe mein Bestes
Ich bin noch auf der Suche nach dem richtigen Weg, meinen Freund*innen aus der Kindheit zeitlich gerecht zu werden. Das schaffe ich nicht immer und das macht mir ein schlechtes Gewissen. Aber ich arbeite daran, das wissen sie.
Hier wird keine Freundschaft so eingehen wie mein armer Kaktus. Ich glaube, wir müssen uns einfach damit abfinden, dass Veränderungen auch Freundschaften nicht verschonen. Dafür fiebere ich umso mehr auf den Moment hin, wenn aus dem Fotopapier-Lächeln wieder ein gemeinsames Lachen wird.
Und Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude, richtig?
Eine weitere Folge meiner Kolumne „Die einzige Konstante” findet ihr hier.