„Wenn du nur an etwas glaubst, dann bringt das überhaupt nichts. Wenn du daran glaubst, fällt es dir vielleicht leichter, aber machen musst du immer was.”
Was hältst du vom „Manifestieren”, Oma?
#manifesting: Ganz fest dran glauben und dann werden die eigenen Träume und Ziele auf magische Weise wahr – das „Manifestieren” von Erfolg trendet auf TikTok und Instagram. Einfach und allmächtig ist der Gedanke dahinter: Es geht nämlich vor allem ums Denken und die unbestreitbare Kraft, den gewünschten Erfolg heraufzubeschwören. Schön, wenn es so einfach wäre, oder nicht?
Schaue ich auf mein Leben, dann war es bisher leider noch nicht so einfach, wie der Hashtag verspricht. Aber mit meinen 20 Jahren möchte ich mir nicht anmaßen, ein Urteil über dieses Erfolgskonzept zu fällen – vielleicht bin ich in fünf Jahren ja doch dazu in der Lage, mir mein Traumleben ganz alleine zu erdenken. Deshalb habe ich meine Oma mit 80 Jahren Lebenserfahrung gefragt.
Oma, klappt das „Manifestieren”?
„Wenn du nur an etwas glaubst, dann bringt das überhaupt nichts. Wenn du daran glaubst, fällt es dir vielleicht leichter, aber machen musst du immer was. Man kann nicht nur daran glauben und erwarten, dass dann das Geld irgendwie angeflogen kommt. Es ist wichtig, dass man etwas findet, was einem Spaß macht, aber das heißt nicht automatisch, dass alles immer einfach ist. Dann musst du auch mal die Zähne zusammenbeißen. Zu meiner Zeit wurdest du nicht einmal gefragt, was du machen möchtest. Als ich früher mit meiner Mutter durch die Stadt gelaufen bin, kam immer so ein leckerer Kaffeegeruch aus den Läden. Da wusste ich: Ich will einmal Verkäuferin in einem Kaffeegeschäft werden. Mein Vater hat das nicht erlaubt. Und dann? Dann war die Sache gegessen.
Als ich dann eine Lehrstelle gebraucht habe, wurde ich Kettengoldschmiedin. Man hat das genommen, was man gekriegt hat und versucht, das Beste daraus zu machen. Also musste ich mit 14 Jahren um sieben Uhr morgens im Geschäft sein und bis mindestens 17 Uhr arbeiten, manchmal auch samstags. In der Mittagspause mussten wir als Lehrlinge für alle einkaufen.
Zähne zusammenbeißen hieß für mich damals: Nicht unterkriegen lassen. Wenn ich etwas Neues lernen musste, saß ich am Anfang immer wie ein schüchternes Mäuschen da. Später wollten mich alle nicht mehr los haben. Damals musstest du Leistung bringen. Ich denke, das ist heute noch genauso.”
Heute: Augen auf und durch
– Als Leistungsgesellschaft würde ich die Welt, in der meine Oma und ich heute leben, auch bezeichnen. Gleichzeitig ist sie nicht mehr so hart wie früher, aber vielleicht auf eine andere Art herausfordernd: eher möglichkeitsüberladen und vergleichsbesessen. In dieser Gegenwart erscheint mir das Mindset von damals hilfreicher, als #manifesting: nämlich Zähne zusammenbeißen und das Beste aus der eigenen Situation machen. Vielleicht besonders dann, wenn die eigene Vorstellung an der Realität zerschellt. Denn das Leben ist da draußen – nicht hinter dem eigenen Schädelknochen.
Oder, um es in den Worten meiner Oma zu sagen: „Es ist gut, wenn du an dich glaubst, aber mit dem bloßen Glauben schafft man's nicht. Man muss sich aufraffen und einfach mal machen."
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