Gefängnis 4 Minuten

Einmal kriminell, immer kriminell?

Mensch in Handschellen mit Schlüsseln in der Hand.
Halten ehemals Inhaftierte den Schlüssel zur eigenen Freiheit in der Hand? Symbolbild. | Quelle: Belinda Mann
12. Dez. 2024

Von einsam in der Zelle zurück in die laute Gesellschaft – vielen Straffälligen fällt es schwer, nach einem Gefängnisaufenthalt wieder straffrei ihren Alltag zu leben. Doch warum sind die Wiederkehrraten ins Gefängnis so hoch? Liegt es an den Menschen oder der Gesellschaft? 

Ein Großteil der Inhaftierten wird nach der Entlassung wieder straffällig. Beispielsweise werden 67,4 Prozent der Insassen innerhalb der ersten zwölf Jahre in Freiheit erneut strafrechtlich erfasst. Das zeigt eine Statistik des Bundesjustizministeriums. Gründe für eine gescheiterte Resozialisierung sehen Expert*innen sowohl bei den Betroffenen als auch im Justizsystem und der Gesellschaft.

Resozialisierung

Ziel der Resozialisierung ist es (ehemaligen) Straftäter*innen wieder einen Einstieg in das gesellschaftliche Leben zu ermöglichen und erneute Straftaten zu verhindern.

In Zahlen betrifft das rund 44 Tausend Strafgefangene in Deutschland, wovon 92 Prozent männlich sind. 

Quelle: Bundesministerium der Justiz / Statistisches Bundesamt

Ein Unglück kommt selten allein

Bereits in Haft begünstigen manche Strukturen einen späteren Rückfall. Allem voran steht die Negativauswahl des Justizsystems, also der Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und Straffälligkeit. Dies betont auch Wolfgang Krell, Sozialarbeiter im deutschen Caritasverband: „Es geht hauptsächlich um sozial benachteiligte Menschen, die vorher schon in Armut und schwierigen sozialen Situationen waren. Man fährt nicht schwarz, weil man mag, sondern weil man sich das Ticket nicht leisten kann.“ Man kann nämlich auch für kleine Delikte inhaftiert werden. Nur ein kleiner Teil der Verurteilungen besteht aus schweren Delikten. 

Obwohl man bei Straffälligen häufig an lange Haftstrafen für schwere Gewalttaten denkt, büßen zwei Drittel der Strafgefangenen nicht länger als zwei Jahre. | Quelle: Belinda Mann

Es sind außerdem gewisse Lebensumstände, die zur Straffälligkeit führen. Wenn man ein stabiles Umfeld habe, könne man zum Beispiel eine Geldstrafe einfach zahlen, erklärt Stefanie Braga. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin bei „PräventSozial“, einer Straffälligenhilfe in Stuttgart. Es sind also unter anderem die Umstände, die einen Menschen schon in Haft gebracht haben, die eine erfolgreiche Resozialisierung erschweren. 

Dazu zählen auch Suchterkrankungen. „Da muss man sich auch grundsätzlich fragen, ob es Sinn macht, Kranke einzusperren und zu hoffen, dass sich irgendwas verbessert“, sagt Wolfgang Krell. Diese Abhängigkeit von illegalen Drogen sei der Grund, weshalb viele Entlassene in Haft zurückkehren. 

Außerdem werden Entlassungen, laut Stefanie Braga, meist plötzlich durchgeführt. Dementsprechend werden Inhaftierte, selbst wenn sie soziale Hilfen in Anspruch nehmen, „letztendlich einfach auf die Straße entlassen“, so Wolfgang Krell. „Sie sind eigentlich obdachlos, wenn sie aus dem Knast rauskommen, weil es keine Wohnung gibt.“  

Ein Gefängnis mit Zaun und hohen Mauern.
Für Straffällige sind Gefängnisse, wie das in Memmingen, oft über mehrere Jahre hinweg ihr Zuhause, bis sie sich von jetzt auf gleich in Freiheit zurechtfinden müssen.
Quelle: Belinda Mann

Aller Anfang ist schwer

Der Wohnungsmarkt ist umkämpft, selbst wenn man nicht gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Wohnangebote der Straffälligenhilfe und Bemühungen der Sozialarbeitenden stoßen hier an ihre Grenzen. Arbeit zu finden sei hingegen einfacher, versichert Wolfgang Krell. Doch selbst wenn ein Straffälliger Einkommen hat, muss er erstmal seine Schulden abbezahlen. Sowohl aus privater Verschuldung, aber auch alte Verfahrensschulden oder Geldstrafen. „Da kommt natürlich einiges zusammen. Man hat keine Wohnung, man hat Schulden, man hat keine Existenzsicherung. Da kommt man dann schnell wieder in seine alte Szene“, führt Krell aus. 

Das Umfeld beziehungsweise das fehlende Umfeld seien, laut Stefanie Braga, bei der Resozialisierung dementsprechend ausschlaggebend. Susanne Weber hat das persönlich miterlebt. Sie ist ehrenamtlich beim „Schwarzen Kreuz“, einer christlichen Straffälligenhilfe, als Briefkontakt für Inhaftierte tätig. Seit 15 Jahren führt sie eine Brieffreundschaft mit einem Mörder, der eine lebenslängliche Haftstrafe abgesessen hat. Der Kontakt zu ihr im und nach dem Gefängnis habe ihm viel geholfen und sei ein Ventil gewesen. Sie ist der Meinung: „Die Chance es besser zu machen, sollte jeder bekommen.“ Es brauche mehr Bürger*innen, die positiven Einfluss nehmen, indem sie ein Stück Weg der Straffälligen begleiten, bestätigt Wolfgang Krell. 

„Die Chance es besser zu machen, sollte jeder bekommen.“

Susanne Weber

Diese Unterstützung hilft vor allem dabei Hilfe anzunehmen. Wolfgang Krell zufolge habe es viel mit Scham zu tun, andere um Hilfe zu bitten. Es sei ein großer Schritt, irgendwo hinzugehen und zu sagen, dass man es nicht alleine schafft.

Selbst Schuld?

Zusätzlich werden straffällig gewordene Menschen in unserer Gesellschaft stark stigmatisiert. Laut Stefanie Braga denke man automatisch an schwerwiegende Delikte, was wiederum das Handeln der Straffälligen negativ beeinflusse. „Irgendeinen Konflikt mit dem Gesetz hatten wir, glaube ich, alle“, meint auch Wolfgang Krell. 

„Irgendeinen Konflikt mit dem Gesetz hatten wir, glaube ich, alle.“

Wolfgang Krell

Für den eigenen Blick auf dieses Thema muss man über Werte und das eigene Bild von Gesellschaft diskutieren. Einerseits stehe die Entscheidungsfreiheit des Menschen an oberster Stelle, da Straffällige sich zu ihren Taten entschieden hätten und dafür nun vor der Justiz die Konsequenzen tragen, so Wolfgang Krell. Andererseits müsse man sich fragen, ob man überhaupt frei ist oder ob man doch über seine Lebensbedingungen in eine Richtung gedrängt wird.