"Verzeihen Sie, Monsieur”
Auf dem Weg zur Guillotine soll Marie Antoinette ihrem Henker auf den Fuß getreten und gesagt haben: „Verzeihen Sie, Monsieur, ich habe es nicht absichtlich getan.” Sie wurde im Zuge der Französischen Revolution hingerichtet. Und doch schaffte es die verhasste Königin, sich mit ihren letzten Worten höflich für den Fußtritt zu entschuldigen.
Doch wie ist dieser Satz zu deuten? War es eine echte Entschuldigung, geprägt von den Erwartungen des Hofes, oder war es doch ein Akt der Rebellion?
Ironie in Höchstform
Marie Antoinette wird oft assoziiert mit dem Satz “Wenn sie kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen”. Eine Metapher für ihren Protz und dem fehlenden Verständnis für das hungernde Volk. Tatsächlich aber hat Marie Antoinette diese Worte nie gesagt. Als Hassfigur ihrer Zeit wurden ihr solche ignoranten Äußerungen vorgeworfen. Dabei waren Prunk und Partys nicht nur Ausdruck ihrer Persönlichkeit, sondern auch ein gesellschaftliches Muss. Eine Statussymbolik wurde von ihr verlangt und es war fast unmöglich, sich aus dieser Rolle zu befreien.
Der Moment vor der Guillotine wäre eine Gelegenheit gewesen, sich bei ihrem Volk zu entschuldigen. Die leidenden Menschen, das Bedürfnis nach Brot und Gerechtigkeit, und das Letzte, was sie sagt: eine Entschuldigung für einen Fußtritt. Damit unterscheidet sich die geborene Österreicherin von einem Phänomen unserer Zeit: Menschen, die sich ständig für alles entschuldigen – die sogenannten People Pleaser.
Diagnose: People Pleaser
Es ist schon fast wie eine Krankheit, die Sorrytis. Betroffene versuchen anderen zu gefallen und stellen oft fremde Bedürfnisse über die eigenen. Dabei fallen sie oft reflexartig in einen Entschuldigungsmodus. Man trifft sie überall.
Da ist zum Beispiel die Person im Supermarkt, die im Gang steht und ein leises „Oh, Entschuldigung” murmelt, sobald sich ihr jemand nähert – auch wenn genug Platz zum Vorbeigehen ist. Oder der Gast im Restaurant, der sich mehrmals beim Kellner für die Unannehmlichkeit entschuldigt, dass ihm die falsche Bestellung serviert wurde und er doch bitte seine eigene haben möchte.
Das sind das keine Situationen, in denen eine Entschuldigung nötig wäre. Spricht man die People Pleaser jedoch direkt darauf an, so entschuldigen sie sich dafür, dass sie sich entschuldigt haben. Es ist ein Teufelskreis.
Die Fußtritt–Revolution
Marie Antoinette würde den heutigen People Pleasern wahrscheinlich einen spöttischen Seitenblick zuwerfen. Bei genauerem Hinsehen verbirgt sich hinter den ständigen Entschuldigungen eine mangelndes Selbstwertgefühl und Selbstzweifel. Die Königin hatte das nicht. Sie wusste welche Ungerechtigkeit ihr angetan wurde. Sie war ein einzelnes Gesicht, das für ein ganzes System brennen sollte.
Deshalb glaube ich, dass ihr Tritt kein Versehen war. Im Gegensatz zu modernen People Pleasern, die ständig versuchen, es allen recht zu machen, war sich Antoinette ihrer unpopulären Position bewusst und wählte einen Weg, um mit Stolz und Würde ein wenig Widerstand zu leisten. Ein kräftiger Fußtritt, gefolgt von einem höflichen „Pardon” mit ironischem Unterton, war ihr stilvolles Zeichen der Rebellion. Sie wusste: Man muss nicht von jedem gemocht werden. Wahre Größe liegt darin, sich selbst treu zu bleiben – bis zum letzten Moment.
Das bedeutet nicht, dass Entschuldigungen unwichtig sind. Allerdings sollten die People Pleaser sich ein bisschen von Marie Antoinettes Selbstbewusstsein abschauen und für sich selbst einstehen.
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