Letzte Worte 3 Minuten

"Sagen Sie, dass ich was gesagt hätte"

Leere und heruntergekommene Telefonzelle und der Hörer ist nicht aufgelegt.
Vielleicht sollte man etwas sagen, bevor die Verbindung weg ist. | Quelle: Lara Reichel
02. Jan. 2025

Menschen gehen, Worte bleiben. In dieser Kolumne geht es um die letzten Sätze berühmter Persönlichkeiten und was sie uns damit über ihre Geschichte und das Leben zu sagen haben. Nicht jede Legende braucht perfekte Worte zum Abschied – manchmal sprechen die Taten für sich.

Dafür, dass er nichts gesagt hat, hat er ganz schön viel gesagt. Die angeblich letzten Worte des mexikanischen Freiheitskämpfers Pancho Villa, der 1923 einem Attentat zum Opfer fiel und in seinem Wagen erschossen wurde, waren „Sagen Sie, dass ich was gesagt hätte“. Villa war der Robin Hood Mexikos, der für die arme Landbevölkerung kämpfte und die gerechte Umverteilung von Flächen für Landbesitzer forderte. Er führte Krieg gegen die Regierungstruppen und Gegner der Bewegung. Villa war für viele Menschen ein Held. Zumindest für diejenigen, die auf seiner Seite waren. Gegen seine Gegner ging Villa mit Gewalt und kompromissloser Härte vor. Held und Schurke in einem sein, weil man sich nicht für eine Seite entscheiden kann? 

Held sein oder nicht sein, dass ist hier die Frage

Das ist wie das Spiel, was man früher an Kindergeburtstagen im Garten gespielt hat: Ein Team sind die Räuber, die anderen die Polizisten. Ich konnte mich nie für ein Team entscheiden. Die Polizisten hatten weniger Stress, weil sie nicht weglaufen mussten. Die Räuber hatten mehr Spaß. Villa konnte sich anscheinend auch nicht entscheiden, ob er Räuber oder Polizist sein wollte. Egal ob Held oder Bösewicht, beide hinterlassen ein Bild in unserem Kopf. Sowohl in Geschichten als auch im echten Leben. Wir erinnern uns an sie.

Aber für welche Seite er sich auch entschieden hätte, seine maßgeblich letzten Worte sind sowohl helden– als auch bösewichtuntypisch, wenn man ehrlich ist. Villa stand unter Zeitdruck, auf die Schnelle etwas sagen zu müssen, damit sich auch jeder daran erinnert. Dem Mann, der in Mexiko eine Symbolfigur von Widerstand und Revolution darstellt, ist nichts eingefallen, was er der Welt zum Abschied zurufen will. Der Mann, der sich nicht um Blutvergießen und den Tod geschert hat, hat sich nichts überlegt. Und der Mann, der die gesamte Geschichte des Landes beeinflusst hat und in Geschichtsbüchern steht, ist mit den Worten gegangen, dass jemand anderes doch bitte die leichte Aufgabe der letzten Worte übernehmen soll. Einfach mal nen Zweizeiler aus dem Poncho zu schütteln. Stattdessen ließ er die Welt mit sprachloser Verwirrung zurück.

Worte sind Silber, Taten schreiben Geschichte

Aber manchmal gibt sich die Welt auch mit unseren Entscheidungen zufrieden und nicht mit den Worten, die wir dazu zu sagen haben. Auf dem Kindergeburtstag meiner Freundin Carolin war ich im Team der Polizisten und war mit dieser Entscheidung sehr unzufrieden. Wie man als Kind mit so lebensentscheidenden Fragen unzufrieden sein kann. Also habe ich Seiten gewechselt und war im Team der Räuber. Und die haben mich in ihre Räubergemeinschaft aufgenommen und waren für den Tag meine Helden. Was nicht heißt, dass die ganze Welt zu Räubern mutieren soll. 

Aber unsere Taten sind vielleicht doch mehr wert als die Worte, die darauffolgen. Villa hat sowohl Gutes als auch Schlechtes getan, aber man erinnert sich trotzdem an ihn. So wie ich mich an die Räuberbande erinnere. Die Angst Villas, ohne Worte zu gehen, war völlig unberechtigt, weil er so viel getan hatte, dass es schwierig ist, ihn zu vergessen. Ab und an ist es also besser, Taten sprechen zu lassen, als Wörtern zu viel Bedeutung zuzumessen. Wenn wir nämlich mit diesen um uns schmeißen, wie mit Konfetti an Karneval, dann können unsere Taten in einem Meer an Wortschrott untergehen. Ob jetzt durch meine Taten und die Gutmütigkeit der Räuberbande eine Revolution in Gang gesetzt wird, wage ich zu bezweifeln, aber wenn Pancho Villa das gedacht hätte, würde Mexikos Geschichte ganz anders aussehen. Und wenn er wüsste, dass wir wissen, dass er nichts gesagt hat, wäre er mächtig stolz auf sich und seine nicht gesagten Worte.

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"Verzeihen Sie, Monsieur" 

"Letzte Worte sind für Narren"

"Fuck you"

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