Gleichberechtigung

Papierkrieg um die Identität

Das Transsexuellengesetz regelt die Anpassung des Vornamens und die Änderung des Geschlechtseintrags im Geburtenregister. (Symbolbild)
20. Dez. 2020
Brust-OPs, Hormone, neue Klamotten und fertig ist die Geschlechtsanpassung? Ganz so einfach ist das nicht. Hinter der sogenannten Transition stecken auch eine Menge Bürokratie und 40 Jahre alte Paragraphen.

„Du wirst gefragt, mit wem du schon Sex hattest, wie du dich dabei gefühlt hast und wo du es dabei magst, angefasst zu werden“, erzählt Kevin Weiß, ein 22-jähriger Transmann. Trans*personen, die ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern wollen, müssen sich dafür solchen und weiteren persönlichen und mitunter intimen Fragen stellen. Zwei psychologische Gutachten sind nötig, um zu beweisen, dass der*die Antragstellende transsexuell ist. Danach darf er*sie die eigene Geschlechtsidentität auch auf dem Papier ausdrücken. 

Der Prozess, in dem eine Trans*person diverse Änderungen vornimmt, um die eigene Geschlechtsidentität auszudrücken, nennt sich Transition. Hinter der juristischen Transition steckt das Transsexuellengesetz (TSG), das 1980 verabschiedet wurde. Im TSG werden die Anpassung des Vornamens und die Änderung des Geschlechtseintrags im Geburtenregister für Transsexuelle geregelt.

Die Antragsdauer für die Änderung des Geschlechtseintrags beträgt laut Statistischem Bundesamt 834 Minuten. Das sind 13,9 Stunden, also fast zwei Arbeitstage. Damit ist dieser der zeitaufwändigste Antrag Deutschlands. Zum Vergleich: In etwas mehr als dreieinhalb Stunden kann ein Mensch eingebürgert werden. 

Doktor Juliane Hehl, die mit 77 Jahren ihre juristische Transition begonnen hat, hatte auf ihrem Weg zu einem angepassten Personalausweis einen Vorteil: „Wegen meines Alters habe ich eine Verkürzung der Wartezeit beim Amtsgericht bekommen.“ Trotzdem findet Juliane die Anforderungen des TSG zu hoch.

Die Gutachter müssen, um drei einfache Fragen zu beantworten, über zehn Seiten schreiben.

Juliane Hehl

Die drei Fragen

Über eine Stunde lang sei er „ausgefragt“ worden, erzählt Kevin, um zu beurteilen, ob er sich seit mindestens drei Jahren dem männlichen Geschlecht zugehörig fühle, seit mindestens dieser Zeit auch als Mann gelebt habe und dass sich das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht ändern werde. Denn das sind die Voraussetzungen, um vom TSG Gebrauch machen zu dürfen. Finanzielle Voraussetzungen müssten auch gegeben sein, so Juliane, denn die Kosten für die Gutachter und das Amtsgericht hätten etwa 1.750 Euro betragen.

In den 80er-Jahren hätte das TSG als zweites seiner Art laut der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) als weltweit fortschrittlich gegolten, heute seien jedoch einige Anpassungen nötig. Das Bundesverfassungsgericht hat das TSG bereits in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt. Vor allem die psychologischen Gutachten und das gerichtliche Verfahren stehen unter der Kritik verschiedenster Interessensgruppen wie der dgti. Berufen wird sich auf das Recht der Selbstbestimmtheit und der Menschenwürde.

Ein Selbstbestimmungsgesetz für alle

Bereits im Mai 2017 wollten die Grünen das TSG durch ein Selbstbestimmungsgesetz für Trans- und intergeschlechtliche* Personen ersetzen, was im Sande verlief. Nun wagten die Grünen, die Linken und die FDP einen neuen Vorstoß gegen das TSG und legten weitere Gesetzesentwürfe vor. Alle Menschen sollen demnach ihren Vornamen und ihr Geschlecht durch eine Erklärung beim Standesamt korrigieren dürfen. Nicht notwendige genitalverändernde Operationen an intergeschlechtlichen Kindern sollen außerdem verboten werden. Der Bundestag debattierte am 19. Juni 2020 über den Gesetzesentwurf der Grünen.

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Das sagen die Abgeordneten zum Gesetzesentwurf der Grünen. | Quelle: Lola Schiel

Kritik an Selbstdefinition

Professor Florian Becker von der Universität Kiel zweifelt daran, dass das Selbstverständnis einer Person für einen stabilen, verlässlichen Eintrag im Personenstandsregister ausreiche. Um zu überprüfen, ob der Antrag ernst zu nehmen sei, schlägt er zum Beispiel ein medizinisch-psychiatrisches Gutachten vor.

Auch Doktor Alexander Korte vom Klinikum der Universität München betrachtet den Gesetzesentwurf kritisch. Aus biologisch-anatomischer Sicht müsse man zwischen Trans- und Intergeschlechtlichen differenzieren. Transsexuelle würden nur unter einer als unpassend empfundenen „Geschlechterrolle“ leiden. Außerdem vermutet er, dass die ausschließliche Selbstdefinition zu einer „problematischen Beliebigkeit“ und damit zu „verwirrenden gesellschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen“ führen könnte. 

Wie geht es weiter?

„Das TSG ist antiquiert und reformbedürftig, darüber sind sich alle einig“, meint Annette Güldenring vom Vorstand der Bundesvereinigung Trans* (BVT*). Trotzdem wird voraussichtlich noch einige Zeit vergehen, bis das TSG tatsächlich ersetzt wird. Der Gesetzesentwurf ist erst der Anfang eines langen Weges.

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Diesen Weg müssen alle Gesetze in Deutschland beschreiten. | Quelle: Lola Schiel

Sowohl Kevin als auch Juliane unterstützen den Gesetzesentwurf der Grünen weitestgehend. „Es sollte auch nicht zu einfach sein, seinen Namen und seinen Geschlechtseintrag anzupassen, sonst könnte das Gesetz missbraucht werden“, meint Kevin. Deshalb schlägt er eine Art Beratungsgespräch statt psychologischen Gutachten vor. Der entscheidende Unterschied: „Auch wenn die Berater*innen dagegen wären, sollte man es, wie bei einer Abtreibung, trotzdem machen dürfen.“

Disclaimer: Transsexualität wird in Recht und Medizin als synonymer Begriff für Transgeschlechtlichkeit verwendet. Deshalb wurde auch in diesem Zusammenhang dieser Begriff gewählt.