„Trotz der engen Zusammenarbeit mit dem Militär und einem gut ausgebildeten Team bleibt der Krieg unberechenbar.“
Von Hunden und Helden
Zerbombte Häuser, zerstörte Autos, leergefegte Straßen. Seine Blicke schnellen nach links, dann rechts. Überall Lichtblitze, die seinen Orientierungssinn verwirren. Das Heulen der Sirenen und das Krachen der Bomben sind für seine ausgeprägten Ohren eine Qual. Alle Menschen sind aus dieser Gegend geflüchtet. Am Horizont ist ein Zelt zu sehen. Ein militärisches Lager, in dem sich die Soldat*innen aufhalten, die in diesem Krieg kämpfen. Getrieben von Angst und Hunger sucht er nach einem Versteck. Unbemerkt tappt der kleine Hund in das Zelt. Er schleicht geduckt zwischen den Pritschen umher, auf denen Menschen liegen und sich ausruhen. Seine feine Nase erschnüffelt den Geruch von Nahrung. Bevor er einen Happen stehlen kann, wird er entdeckt. Von nun an bekommt er Streicheleinheiten, wird mit Essen versorgt und darf auf den Liegen der Soldat*innen schlafen. Als das Lager verlegt werden soll, rufen sie bei White Paw an. Die gemeinnützige Tierschutzorganisation setzt sich seit 2012 aktiv für den Tierschutz in der Ukraine ein. Der Hund wird abgeholt und nach Kiew gebracht, um dort auf den Transport nach Deutschland zu warten.
Das ist die Geschichte des Hundes Zenyk. Er ist eines von vielen Tieren, die in den Krisengebieten zurückgelassen wurden. Schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine gab es dort keine Struktur für Tierschutz, wie Dani Kreher, Leiterin des Ukraine Projekts bei White Paw, berichtet. In Europa sei es um einiges leichter, Hunde und Katzen zu transportieren und zu vermitteln. Nach dem Beginn des Krieges steigt die Anzahl an Tieren ohne ein Zuhause drastisch an.
Mit dem Wunsch, ihre vierbeinigen Freunde mitzunehmen, stehen viele Ukrainer vor einer praktisch unlösbaren Herausforderung, wie Dani erzählt. Die Autos sind vollgepackt und der Platz reicht kaum aus, um weitere Menschen aus der Region mitzunehmen. Geld abzuheben ist schwer, denn die Geldautomaten und Banken sind leer. Viele Menschen geben ihre Tiere an Nachbarn und Freunde, die selbst nicht aus dem Land fliehen können. Und wenn der Platz reicht, die Haustiere ins Auto zu quetschen, stellt sich an der Grenze ein weiteres Hindernis in Form von Einreisebestimmungen in den Weg. Da die Ukraine kein Teil der Europäischen Union ist, gelten bestimmte Richtlinien für die Einreise von Hunden und Katzen. Dazu gehört zum Beispiel eine gültige Tollwutimpfung mit entsprechendem Nachweis.
Hilfe ist unterwegs
Um den Tierheimen vor Ort zu helfen, engagieren sich Tierschutzorganisationen wie White Paw, Notpfote Animal Rescue oder PETA Deutschland aktiv in der Rettung von Tieren aus der Ukraine. Zusammen mit Partnerorganisationen vor Ort haben sie langjährige Projekte aufgebaut. Freiwillige Helfer*innen reisen mit Lieferwägen von Deutschland aus in die Ukraine, um dort Unterstützung zu leisten. Auch in Deutschland sitzen Menschen vor dem Telefon und versuchen, die Einsätze zu koordinieren. Die Autos werden mit Transportboxen, Leinen und so viel Futter wie nur möglich beladen. Um einen Hund einzusammeln, legen die Teams manchmal über acht Stunden Fahrt zurück, um das Tier dann aus den Trümmern aufzusammeln.
Probleme, die sich auftun
Die Rettung der Vierbeiner wird durch mehrere Faktoren zur Herausforderung. Die schlechten Straßenverhältnisse erschweren es den Helfer*innen, zu den Tieren zu gelangen. Auch die Zufuhr von notwendigen Ressourcen, wie Futter oder Medikamenten, wird beschränkt. Die Verfügbarkeit von Wasser und Strom ist zudem unzuverlässig. Nach erfolgreicher Evakuierung von Hunden und Katzen aus den betroffenen Gebieten benötigen die Tiere medizinische Versorgung. Allerdings steht oft nicht ausreichend medizinisches Equipment und zu wenig Personal zur Verfügung. Das resultiert daraus, dass die Projekte der Organisationen hauptsächlich durch Spenden finanziert werden.
Um allein überleben zu können, ernähren sich die Hunde und Katzen häufig von verschimmelten Kühlschrankresten. Die meisten Lebensmittel werden mitgenommen oder sind bereits gefressen worden. Einige der Tiere verhungern, bevor die Volontär*innen sie aufsammeln können.
Quelle: Notpfote Animal Rescue
Zwischen Mut und Verzweiflung
Die größte Schwierigkeit bleibt jedoch die politische Lage. „Trotz der engen Zusammenarbeit mit dem Militär und einem gut ausgebildeten Team bleibt der Krieg unberechenbar“, erklärt Sylvie Bunz, Fachleiterin für Special Projects bei der Tierschutzorganisation PETA Deutschland. Die Tiere erleiden Angststörungen durch den Krach und die Lichtblitze und versuchen sich deshalb, durch den Beton zu kratzen oder ihre Zwinger zu zerstören. Die Rettung der Vierbeiner sei für beide Parteien eine psychische Dauerbelastung, wie Dani Kreher beschreibt.
Tierschützer*innen riskieren ihr Leben, um das der Tiere zu retten. Dani Kreher erzählt von einer Volontärin, die sich in einem militärisch besetzten Gebiet befand. Sie saß in ihrem Haus fest und hatte weder Strom noch Telefon. Bis zur letzten Minute suchte sie nach einem Plan, um ihre Hunde zu retten. Trotz ihrer aussichtslosen Lage haben sie das Glück, dass sich die politische Situation in diesem Gebiet entspannt. Die Hunde können nach Deutschland transportiert werden.
Nach der Evakuierung müssen die Fellnasen zunächst in den Tierheimen in den sicheren Gebieten der Ukraine oder in Polen untergebracht werden. Dort bekommen sie alle wichtigen Impfungen, wie zum Beispiel die Tollwutimpfung. Danach müssen sie in eine 21-Tage lange Quarantäne, erst dann können sie an Partnertierheime in der EU vermittelt werden. Die EU-Kommission und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft haben erleichterte Bedingungen festgelegt, damit die Tiere so schnell wie möglich weitertransportiert werden können. Trotzdem vergehen von der Rettung bis zum Transport nach Deutschland mindestens vier Monate. Vor der Grenze warten die Volontär*innen bis zu zwanzig Stunden, bis sie in die EU einreisen können, wie Dani erklärt.
Obwohl die Tierschützer*innen mit all diesen Herausforderungen zu kämpfen haben, setzen sie sich jeden Tag dafür ein, dass so viele Vierbeiner wie möglich gerettet werden. „Wenn man das einmal gesehen hat, dann hilft es eigentlich nur, etwas dagegen zu unternehmen“, sagt Dani nachdenklich. Sie hat zurzeit selbst drei Hunde aus der Ukraine bei sich aufgenommen, einer davon ist bereits fest adoptiert. Geduld und Arbeit seien notwendig, damit die Tiere über ihre Traumata hinwegkommen.
„Wenn man das einmal gesehen hat, dann hilft es eigentlich nur, etwas dagegen zu unternehmen.“
Auch Zenyk ist auf dem Weg, statt auf den Pritschen der Soldat*innen, in einem Hundekörbchen von saftigen Knochen zu träumen. Zusammengerollt wird er auf der Couch dösen und dreimal am Tag Gassi gehen können, ohne dass im Hintergrund die Sirenen anfangen zu heulen.