„Vermeiden, vermindern und dann erst kompensieren. Diese drei Schritte sollte jeder bewusste Konsument sich immer vor Augen führen.“
Klimaschutz per Mausklick
Im Jahr 2023 verzeichnete Deutschland rund 4,18 Milliarden Paketsendungen. Diese Zahl steigt stetig, sodass sie im Jahr 2028 laut der KEP-Studie 2024 bei 4,7 Milliarden Sendungen liegen wird. Ein Mausklick, dann bezahlen und ein paar Tage später ist das Paket schon zuhause. Im Onlinehandel erzeugt dieser Prozess jedoch deutlich mehr Aufwand: die Lagerung, Lieferung, Verpackung und der ganze Müll. Sehr oft ist der Aufwand für umsonst und das Paket wird wieder zurückgeschickt. In Deutschland passiert gerade das bei jedem vierten Paket. Wenn man die durch Retouren entstandenen Emissionen nun umrechnet, entspricht das ca. 5,3 Milliarden Pkw-Kilometer, zeigte die EUROM Studie. Dafür könnte man über 132.000 mal um die Welt fahren. Diese Emissionen versuchen nun einige Onlinehändler zu kompensieren, indem sie einen freiwilligen Klimabeitrag beim Online Check-out anbieten. Den Konsumierenden wird ermöglicht, die bei der Produktion oder Anlieferung entstandenen Emissionen ihres Produktes durch einen Geldbetrag auszugleichen.
Nicht nur Konsumierende haben die Möglichkeit, an ihrer bisherigen Struktur etwas zu verändern, sondern auch Unternehmen. Laut des Fraunhofer-Instituts ist die Reduzierung von CO₂-Emissionen aus ökologischer Sicht eine Notwendigkeit. Bis 2050 habe sich die EU entschlossen, eine Klimaneutralität zu erreichen. Dadurch muss der komplette Lebenszyklus von Produkten überdacht werden, so das Europäische Parlament. Wenn sich Unternehmen dafür entscheiden, klimaneutraler zu werden, haben sie mehrere Möglichkeiten. Entweder sie sorgen dafür, dass bei ihren Prozessen weniger Emissionen entstehen und investieren selbst in nachhaltigere Produktionsweisen und Lieferwege, oder sie kaufen sogenannte Emissionsminderungsgutschriften und bieten ihrer Kundschaft den freiwilligen Klimabeitrag beim Online Check-out an, so eine Unternehmensbefragung des Fraunhofer-Instituts. Emissionsminderungsgutschriften werden auch als Zertifikate bezeichnet und fördern Klimaschutzprojekte. Diese sollen nachweisen, dass Emissionen durch den Ausbau erneuerbarer Energien oder Aufforstungsprojekte gesenkt werden. Ohne den Kauf der Zertifikate würden diese Klimaschutzprojekte nicht existieren. Um sicher zu gehen, dass die Projekte strengen Kriterien folgen, wurden einige Prüfsiegel von international anerkannten Institutionen entwickelt. Darunter auch der Gold-Standard, welcher vom WWF und anderen NGOs ins Leben gerufen wurde.
Volker Angres, Journalist und 32 Jahre lang Leiter der ZDF-Umweltredaktion, erklärt es so: „Online-Händler sind, wie der Name schon sagt, Händler und keine Klimaschützer“. Sie bedienen nicht nur den deutschen, sondern meist auch den internationalen Markt und müssten schauen, wie sie ihre Produkte am besten anbieten, sodass die Kundschaft diese auch kaufe. Laut der Unternehmensbefragung des Fraunhofer-Instituts haben Unternehmen durch die getätigten Maßnahmen nicht nur den Vorteil, ihre eigene Unternehmensphilosophie umzusetzen, sondern auch das strategische Ziel der Imageverbesserung.
Wohin fließt mein Geld?
Der Markt für Klimaschutzprojekte ist im Laufe der Jahre immer größer geworden. Im Ratgeber des Umweltbundesamtes werden Klimaschutzprojekte aus den Bereichen erneuerbare Energien, Abfall und Deponiegas und Mooren empfohlen. Darunter finden sich Projekte, wie z.B. sauberes Biogas in nepalesischen Haushalten oder die Vermeidung von Methanausstoß durch Mülltrennung und Kompostierung in Indonesien.
In Deutschland sind vor allem Moor-Projekte ansässig. Sie speichern Kohlenstoff in organischen Sedimenten wie Torf. Unter sehr guten Bedingungen binden Moore doppelt so viel Kohlenstoff wie in Wäldern weltweit enthalten ist. Wenn sie trockengelegt werden oder natürlich austrocknen, werde aus diesem Kohlenstoffspeicher eine Treibhausgasquelle, erklärt der Ratgeber des Umweltbundesamtes. Klimaschutzprojekte, wie z.B. „toMOORow“, vernässen trockengelegte Moore wieder und fördern somit zugleich den Arten- und Naturschutz.
Die Realität sieht anders aus
Eine im November 2024 veröffentlichte Metastudie in der Fachzeitschrift Nature Communications belegt, dass nur etwa 16 Prozent der zertifizierten Emissionen tatsächlich vermieden werden. Momentan sei der Markt für Emissionsgutschriften weitgehend wirkungslos, da Reformen der Anrechnungsmechanismen benötigt würden. So äußerten sich Expert*innen in einer Pressekonferenz, in der sie zur Metastudie Stellung nahmen. Klimaschutzprojekte sind ein privatwirtschaftlich organisierter freiwilliger Kohlenstoffmarkt und momentan gibt es noch kein Regelwerk auf internationaler Ebene.
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Es sei schwierig zu erfassen, wie groß der positive Einfluss von Aufforstungsprojekten auf den Klimaschutz sei, da meist weniger Emissionen reduziert würden als angegeben. Über den langen Zeitraum der Projekte kann es auch zu natürlichen Waldbränden oder Baumkrankheiten kommen, so der Wissenschaftler Johannes Emmerling. Er ist Mitarbeiter der CMCC Foundation, ein italienisches Forschungszentrum zur Klimaveränderung. Deshalb ist es schwierig die Projekte langfristig zu sichern. Es komme teils zur mehrfachen Anrechnung der Emissionen bei Projekten mit jahrelanger Laufzeit, laut Emmerlings Einschätzung.
In der Metastudie erzielten Projekte zur Vermeidung von Fluorkohlenwasserstoff (FKW) die höchsten Emissionsreduzierungen im Vergleich du anderen Projekten. FKWs zersetzen sich häufig nur sehr langsam und können bis zu 50.000 Jahre in der Atmosphäre bleiben, so im Ratgeber des Umweltbundesamtes beschrieben. Man findet sie in verschiedensten Produkten, wie z.B. Kühlschränken, Kosmetiksprays und Feuerlöschmittel.
Was kann man verändern?
Nicht nur während der Produktion und dem Kauf können klimafreundliche Entscheidungen getroffen werden, auch der Transport verursacht einige Emissionen. „Bei Importen aus Asien ist das Schiff die bessere Option gegenüber dem Flugzeug. Es ist wichtig gerade beim Transport die Nutzung von Luftfracht zu reduzieren, wenn möglich zu vermeiden“, so Karsten Karschunke, Mitarbeiter des Umweltbundesamt. Während des Pakettransports an Land können schon Elektrofahrzeuge einen großen Unterschied bewirken. „Vermeiden, vermindern und dann erst kompensieren. Diese drei Schritte sollte jeder bewusste Konsument sich immer vor Augen führen“, rät Karschunke. Volker Angres erklärt außerdem, dass man das Zurückschicken mancher Fashion-Artikel in Zukunft mithilfe eines KI- generierten Avatars vermeiden könne. Dieser besitze die exakten Körpermaße und könne Kleidung für einen anprobieren.
Der freiwillige Klimabeitrag sei als „add on“ anzusehen und nicht als Ausgleich. Volker Angres empfiehlt Konsumierenden zuerst darauf zu achten, was genau sie bestellen, ob sie es benötigen oder es vielleicht in einem zu Fuß erreichbaren Laden zu finden ist. Man könne auch verschiedene Produkte vergleichen und das umweltfreundlichere wählen oder auf Plattformen für Second-Hand oder Altprodukten bestellen, rät Angres. Viele Händler greifen bereits durch, indem sie Rücksendungen nicht mehr kostenlos anbieten. Er setzt sich in seinem diesjährig veröffentlichten Buch „So wird das nichts! Politik zwischen Klimakollaps, Heizungshektik und Naturverwüstung“ mit einigen nachhaltigen Lösungen auseinander. In Bezug auf den freiwilligen Klimabeitrag empfiehlt er, sich nach lokalen Klimaschutz-aktivitäten zu erkundigen, da diese meist mehr bringen als nur einen Klimabeitrag beim Online Check-out zu bezahlen. „Bildung ist die Basis für alle Klimaschutzmaßnahmen in der Zukunft“, meint Volker Angres.