Letzte Worte 3 Minuten

"Letzte Worte sind für Narren"

Hände schreiben einen Satz und streichen ihn durch. Die Armbanduhr zeigt 23:59.
Der finale Zeitdruck. Karl Marx verzichtet lieber auf letzte Worte. | Quelle: Lara Reichel
02. Jan. 2025

Menschen gehen, Worte bleiben. In dieser Kolumne geht es um die letzten Sätze berühmter Persönlichkeiten und was sie uns damit über ihre Geschichte und das Leben zu sagen haben. Karl Marx hat in seinem Leben schon genug gesagt und verwehrt seine letzten Worte. 

Als die Haushälterin Karl Marx nach den letzten weisen Worten vor seinem Tod fragte, antwortete er nur mit: „Hinaus! Letzte Worte sind für Narren, die noch nicht genug gesagt haben”. So verabschiedete sich der Theoretiker des Kommunismus von der Welt, ohne große Rede oder herzzerreißenden Abschied.

Man fragt sich, warum ein Denker, der so manche Bibliotheksetagen gefüllt hat, keinen finalen Satz hinterlassen wollte. Hat ihn der Perfektionismus gepackt? Hat er in seinen letzten Minuten zu viel philosophiert, und keinen Sinn mehr darin gesehen, etwas zu sagen, damit etwas gesagt ist?

Vielleicht wollte er mit diesem letzten Satz tatsächlich mehr sagen, als wir denken. Denn, sind wir mal ehrlich: Wer kann schon von sich behaupten, nicht irgendwann den Drang verspürt zu haben, einfach alle rauszuschmeißen? Social-Media-Overload, ständige Benachrichtigungen und ein Ohr-ab-reden von Bekannten. Heute scheinbar mehr denn je. Marx hätte das vermutlich als „kapitalistischen Kommunikationswahn“ bezeichnet.

Die Vielquatscher-Krise

In gewisser Weise hat Marx auch uns kritisiert: die Vielquatscher, die Meister des Sprachdurchfalls.

Wir leben in einer Zeit, in der wir durch soziale Medien ein riesiges Publikum für unsere Worte finden. Egal ob Tweets, TikToks oder Kommentare auf Instagram, jeder Social-Media-Philosoph hat die Chance, seinen fünfzehnten bahnbrechenden Gedanken auf der Kloschüssel viral gehen zu lassen. 

Dann gibt es auch noch die Vielredner im echten Leben. Auch Marx war ein ganz großer Redner. Allerdings kann man ihn nicht in einen Topf werfen mit der Anekdoten-Tante, die beim Familientreffen eine einstündige Geschichte rausholt, die nur entfernt mit dem eigentlichen Thema zu tun hat, oder dem Endlosschleifen-Kumpel, der einfach nicht zum Punkt kommen will und schon während des Reden vergisst, was er eigentlich sagen wollte.

Egal ob online oder in im realen Leben: Oft wird vergessen, dass Quantität nicht gleich Qualität ist. Marx würde sich wahrscheinlich kopfschüttelnd fragen, warum wir so viel reden und dabei doch so wenig sagen.

Der perfekte Abgang

Manche Menschen gebenden letzten Worten einen zu hohen Stellenwert. Diese Eitelkeit, sich mit einem weltbewegenden Zitat verabschieden zu wollen, zeigt das Streben nach Bewunderung und bleibender Erinnerung. Diese Bedeutsamkeitssucht kann man oft bei den Social Media-Abschieden beobachten. Jemand postet ganz dramatisch etwas wie: „Ich lösche Instagram, weil alles so toxisch und fake ist #selfcare #detox #goodbye”, nur um dann zwei Wochen später wieder schöne Bilder vom Brunch zu posten. Hauptsache eine große Szene und Drama. Wenn dann die Reaktionen nachlassen, einfach zurückkommen. Heiße Luft um gar nichts, ganz schön peinlich.

Aber nach dem Tod hat man eben nicht die Chance auf ein großes Comeback. Daher steigt hier bei vielen der Druck. Nicht jeder kann, wie Karl Marx, ein geistiges Erbe hinterlassen, das über Generationen hinweg Gesellschaften prägt und immer wieder in politischen Diskussionen auftaucht. Natürlich ist es ein gruseliger Gedanke, gelebt zu haben und nichts zu hinterlassen. Aber wäre es nicht vielleicht besser, unser Leben nicht danach zu richten, wie man sich später an uns erinnert? Wie wäre es, sich die Zeit zu sparen, über den vermeintlich „perfekten Satz” nachzudenken und stattdessen hinterfragt, wie bedeutungsvoll die Worte sind, die wir jeden Tag benutzen. Warum haben wir es nötig, uns am Ende selbst zu diesem neuen fremden Ich zu inszenieren, nur um intellektuell zu wirken?

Fakt ist, jemand, der es im Leben nicht geschafft hat, die wesentlichen Dinge zu sagen, wird es auch nicht in seinen letzten Worten herumreißen können. Wer das nämlich versucht, ist und bleibt ein marximaler Narr.