Nehmt es sportlich!
Wenn es in der deutschen Fußball-Profiliga sportlich hoch hergeht, dann folgt nahezu jedes Mal dieselbe Leier: Ärger über den Videoassistenten der Schiedsrichter (VAR), der sich strittig entschieden hatte. So auch beim Spiel der Eintracht Frankfurt gegen den BVB Dortmund. Knapper Spielstand, heiße Schlussphase. Zack! – eine strittige Szene im Strafraum. Eigentlich klares Foulspiel. Der Schiedsrichter auf dem Platz entscheidet, es war keines. Aber: Der VAR schaltet sich nicht ein.
Den Video-Assistant-Referee (kurz: VAR) gibt es in der deutschen Bundesliga seit etwa fünf Jahren. Er soll dem Schiedsrichtergespann auf dem Platz in schwierigen Situationen helfen und bei klaren Fehlentscheidungen eingreifen. Weitere Infos führt der Deutsche Fußball-Bund auf seiner Website aus.
Der VAR ist zu einem Dauerbrenner geworden. Kritiker*innen wettern heftig gegen den Videoassistenten. Fehlentscheidungen häuften sich; der VAR schade mehr, als dass er etwas nützen würde. Und: Die Fans könnten sich nicht mehr sicher sein, wann man überhaupt jubeln dürfe. Wie ein Damoklesschwert schwebe der VAR ständig über jeden erzielten Treffer.
Was wirklich zählt
Die mitunter berechtigte Kritik am VAR ist aber kein Grund, ihn abzuschaffen. Schließlich sagt auch niemand zu den richtigen Schiedsrichter*innen, es bräuchte sie nicht, nur weil sie eine Fehlentscheidung trafen.
Ironischerweise wurde der VAR genau deswegen eingeführt – um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Und das tut er auch. In der überwältigenden Zahl der Eingriffe hat der VAR auch zu der richtigen Entscheidung verholfen, so heißt es in Bilanzen des DFB. In der Premierensaison etwa verhinderte er ganze 82 falsche Entscheidungen. Der Videoassistent macht das Fußballspiel also nachweislich fairer. Die Spiele werden regelkonformer, das tut dem Sport an sich gut.
Der VAR steckt noch in Kinderschuhen
Dabei gibt es den VAR noch gar nicht lange. Eingeführt wurde der Videoassistent in der Bundesligaspielzeit 2017/18. Das liegt lachhaft kurz zurück, verglichen mit anderen Sportarten wie Handball, Eishockey oder Tennis. Dort wird der Videobeweis schon seit geraumer Zeit herangezogen und das durchaus sehr erfolgreich. Es dauert aber, bis sich solche Prozesse einspielen. Dass es beim recht frischen VAR in der Bundesliga nicht sofort rund läuft, war daher zu erwarten.
Es braucht Zeit, Dinge richtig einzuglätten. Manchmal muss man auch ein, zwei Schritte zurückgehen. Manchmal finden sich mit der Zeit bessere Lösungen. In den anderen Sportarten erprobte Konzepte ließen sich auch auf den Fußball übertragen. Zum Beispiel die „Coach‘s Challenge“: Der Trainer darf für eine begrenzte Anzahl im Spiel den Videoschiedsrichter einschalten, um eine kontroverse Situation nochmal bewerten zu lassen. Das wäre für die Bundesliga zumindest eine Überlegung wert.
Stichwort Zeit: Bis der VAR manchmal in die Gänge kommt, geht einiges von der Spielzeit drauf. Das stimmt. Aber die Spielzeit verrinnt vor allem auch durch die Profis, die etwa beim Wechsel Zeit schinden oder sich auf dem Boden wälzen und den sterbenden Schwan mimen. In Relation dazu sollte den Schiedsrichter*innen zumindest zugestanden sein, dass für Entscheidungen über spielentscheidende Situationen etwas Zeit gebraucht wird.
Es geht im Fußball nicht um Spektakel
Es ist paradox: Die Schiedsrichter*innen sollen schnell sein und das Spiel nicht verzögern. Andererseits darf die Entscheidung nicht die falsche sein; aber wenn es mal länger dauert, dann springen die Kritiker*innen sofort wieder von ihren Sitzen auf.
Fans und Kritiker*innen müssen sich daher wieder dessen bewusst werden, was sie wirklich wollen und lieben: Ein gutes Fußballspiel. Ekstase und Fanfare nach einem Tor sind schön. Allemal schöner ist es aber, wenn das Tor fair und regelkonform erzielt wurde. Bestes Beispiel dafür ist das berühmte Wembley-Tor anno 1966, zweifellos ein Fußball-Spektakel. Ob der Ball damals die Torlinie überquerte oder nicht, eine solche Frage würde heute nicht mehr unbeantwortet bleiben.
Transparenz schafft Verständnis
Wichtig ist aber, die Zuschauer*innen bei der Beantwortung der Frage nach der Regelkonformität teilhaben zu lassen. Wie es gehen kann, zeigt der Einsatz des VAR bei den beiden Weltmeisterschaften 2018 und 2022. Während dem Entscheidungsprozess dem Schiedsrichtergespann über die Schulter sehen zu können und die gleichen Bilder wie sie vorliegen zu haben, ist gelebte Transparenz.
Letzten Endes sind Regeln im Fußball immer auch Auslegungssache. In Graubereichen entscheiden sich manche Schiedsrichter so, manche so. Ganz zu schweigen von den gefühlt 80 Millionen deutschen Fußballexpert*innen, die vor den Fernsehbildschirmen immer die bestmögliche Entscheidung wissen.
Fehler gehören im Sport dazu
Im Sport treffen die Unparteiischen nicht immer die richtigen Entscheidungen. Der VAR hilft jedoch, dass immer öfter die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Ideen können helfen, den VAR noch besser zu machen und damit dem Fußballspiel zu noch mehr Fairness und Regelkonformität zu verhelfen. Das ist gelebter Sport. Und wenn nach langer Überprüfung eben gegen das Lieblingsteam entschieden wird – das gehört zum Sport dazu.
Der VAR wird auch künftig Fehler machen. Aber die Fehlentscheidungen der Schiedsrichter*innen werden insgesamt trotzdem weniger. Das tut dem Fußball nur gut und ist ein wahrer Dienst für das, was die Kritiker*innen und Fans im Grunde lieben. Und mit Schiedsrichterfehlern soll umgegangen werden wie mit allen Fehlern im Fußball auch: Nehmt es sportlich, Fehler gehören dazu.
Unser Redakteur Moritz vertritt eine andere Meinung. In seinem Kommentar schreibt er darüber, warum seiner Meinung nach der VAR abgeschafft werden sollte.