Taekwondo

Macht Kampfsport brutal und aggressiv?

Der Bruchtest dient als Beweis für die korrekte Ausführung von Techniken und Fokussierung.
23. Juni 2020

Bei richtiger Vermittlung kann das Erlernen von Kampfsport ein Gewinn fürs Leben sein. Jedoch prägen Schlagzeilen in Zeitungen, die Filmindustrie oder Ringkämpfe ein trügerisches Bild. Trifft das zu?  

„Kampfsportler schlägt vier Polizisten krankenhausreif“, so steht es 2017 in der „Welt“ und vielen anderen Blättern. Solche und andere Schlagzeilen sind es, die das Bild von Kampfsport und Kampfkunst in unserer Gesellschaft prägen. Doch durch dieses Vereinfachen entsteht eine völlig falsche Vorstellung dieser Sportarten.

Zunächst ist Differenzierung angesagt: In der Fachwelt wird unterschieden zwischen sogenanntem Kampfsport und der Kampfkunst. Beim Kampfsport geht es um praktische Anwendung, um den Wettkampf, Mann gegen Mann oder Frau gegen Frau. Kurz: rein körperliche Ertüchtigung gepaart mit Selbstverteidigung. Kampfkunst dagegen - der Name sagt es schon - ist eine Kunst.

Die traditionelle Kampfkunstform Taekwondo erlerne ich seit 12 Jahren und trage hier den Meistergrad. Das bedeutet: Schwarzer Gürtel. Einer der berühmtesten und erfolgreichsten Taekwondo-Großmeister, Sportwissenschaftler Dr. Andreas Held, beschreibt es so: „Taekwondo ist eine Kampfkunst, hinter der sich unwahrscheinlich viele Lebensweisheiten verbergen. Taekwondo ist nicht nur eine körperliche Ertüchtigung, sondern ein Weg, über den Körper zu seinem tiefen Inneren zu finden.“

Und das ist der springende Punkt. Es geht um den Hintergrund und die Vermittlung der Lehre:

Grundsätze im Taekwondo

Dennoch ist die Meinung vieler Kritiker, dass Kampfsport brutal und aggressiv sein bedeutet. Immer wieder werde ich mit dieser Meinung konfrontiert. Wer in seiner Freizeit erlernt, wie er am besten Gegner ausschaltet, kann nur dementsprechend handeln. Doch es kann ganz anders sein: Komplexe Bewegungsabläufe aktivieren Körper und Geist. Durch eine sogenannte „Meditation in Bewegung“ kommt es zur Ausschüttung von Glückshormonen. In der Folge sind die Lernenden ruhig und zufrieden. Kampfkünste gelten als Formen der aktiven Meditation. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass mir nichts besser nach einem aufreibenden Tag hilft als ein anstrengendes und forderndes Training. Als meine Taekwondoschule zu Corona-Zeiten geschlossen war, empfand ich mich als deutlich gestresster und reizbarer.

Gewalt ist nicht erwünscht

Außerdem lernen die Schüler*innen durch das Trainieren, in Gruppen zusammenzuarbeiten, einen höflichen Umgang zu pflegen und voneinander zu lernen. Auch das bildet einen Kontrast zum Bild vom brutalen und aggressiven Kampfsportler, denn das soziale Miteinander hat einen hohen Stellenwert. Großmeister Hardi Follmer erklärt das so: „Es geht nicht darum, wer schneller oder stärker ist. Wir trainieren gemeinsam und lernen voneinander“.

Ein weiteres Klischee, das mir im Alltag häufig begegnet: Kampfsport ist ein Sammelbecken für ohnehin gewaltbereite Menschen. Doch solche Menschen werden im Extremfall nicht in die Gruppe aufgenommen. Es gibt gewisse Regeln und Grundsätze, an die sich die Schüler*innen halten müssen. Gewalt wird nicht akzeptiert. Auch bietet eine asiatische Kampfkunst idealerweise durch ihre Philosophie und ihre Werte die Möglichkeit zur Veränderung und führt in ein neues Leben. Schlagen ist grundsätzlich inakzeptabel und entspricht nicht den Werten unserer Gesellschaft. Eine Sportart, die Gewalt toleriert und fördert, kann keine Vorteile mit sich bringen. Genau das wird auch den Schülern*innen vermittelt. Gewalttätiges Handeln wird nicht toleriert und kann sogar mit dem Ausschluss vom Training bestraft werden. Kampfkunst lehrt andere Dinge: Fokussierung, Disziplin, Selbstbewusstsein und Steigerung der Leistungsfähigkeit. Das entspricht genau dem Gegenteil des Klischees. „Die Werte, die gelehrt werden, stehen gegen Gewalt und Aggression“, so Großmeister Hardi Follmer. Ein selbstbewusster Mensch, der zufrieden mit sich ist, muss sich nicht als der Stärkere beweisen.

Taekwondo Großmeister Hardi Follmer mit Halbkreisfußtritt

„Schon die Auseinandersetzung mit Gewalt führt zu mehr Gewalt“ ist eine weit verbreitete Meinung. Doch so vereinfacht kann man das nicht sagen. Die meisten Kampfkünste neben dem Taekwondo, unter anderem auch Aikido oder Kung-Fu, zielen auf Selbstverteidigung ab. Beim Training steht also nicht das Besiegen des Gegners im Mittelpunkt.

Ein Mehrwert fürs Leben

Die Vorteile für die Vermittlung einer Kampfkunst sind mehr als überzeugend: Es handelt sich um eine umfassende körperliche und geistige Ausbildung und somit um fundamentale Voraussetzungen für ein glückliches und erfolgreiches Leben. Aber es kommt auf die Vermittlung an. In vielen asiatischen Ländern gehört die Lehre der Kampfkunst zum Schulunterricht aber auch zur universitären Ausbildung. Die Kampfkunst hat zwei Wurzeln, die friedliche buddhistische Lehre und die körperliche Ertüchtigung zur Selbstverteidigung. Mehrere Untersuchungen haben ergeben, dass ausgebildete Kampfkünstler auch in anderen Lebensbereichen äußerst erfolgreich sind, nicht zuletzt in ihrer beruflichen Laufbahn.

Ich habe mit acht Jahren mit dem Taekwondo begonnen. Mein Traum war es, einmal so gut „kämpfen“ zu können wie Bruce Lee. Besonders als Teenager hatte ich Schwierigkeiten bei meinem Hobby zu bleiben, weil es in meiner Klasse ziemlich ungewöhnlich war, seine Zeit nicht im Fitnessstudio zu verbringen. Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich das gemacht habe, woran ich Spaß habe. Eine Lebensweisheit, die mich mein Meister gelehrt hat, ist mich auf meine Ziele zu konzentrieren, mich durch Meinungen anderer nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Täglich greife ich auf Werte zurück, die mir mein Leben lang vermittelt wurden: Höflichkeit, Integrität, Durchhaltevermögen, Selbstdisziplin und Unbezwingbarkeit.

All das mag nichts Neues sein, denn schon die alten Griechen wussten, dass Körper und Geist zusammenhängen. Doch es lohnt sich, sich diesen Zusammenhang gerade in unserer heutigen Zeit, mit der Zunahme an körperlichen und psychischen Problemen, wieder ins Bewusstsein zu rufen.