„Wenn heute jemand eine HIV-Infektion hat, der muss eigentlich nicht befürchten, dass sich sein Leben dadurch sehr verändert“
„Mein Leben hat sich in dieser Sekunde verändert.“
Anfang der 80er-Jahre wird man das erste Mal auf die mysteriöse Immunschwäche aufmerksam, die sich hauptsächlich unter homosexuellen Männern schnell verbreitet. „Damals gab es keine Informationen über die Erkrankung. Man kannte weder die Krankheit noch, wie sie übertragen wird. Es gab so viele Vermutungen, Anschuldigungen und auch Panik. Schwule wurden offen gemobbt und ausgegrenzt“, erzählt Jan. Er arbeitet seit 23 Jahren für die Aidshilfe Stuttgart und begleitet unter anderem Menschen bei ihren ersten Schritten, nachdem sie positiv getestet wurden.
Heute weiß man, dass HIV ein Virus ist, welches das Immunsystem angreift, insbesondere bestimmte Zellen des Immunsystems, wie zum Beispiel CD4-T-Zellen. Diese spielen eine Schlüsselrolle bei der Abwehr von Infektionen. Wenn eine Person mit HIV infiziert ist, dringt das Virus in diese spezifische Zelle ein und beginnt sich darin zu vermehren. HIV wird hauptsächlich durch den direkten Kontakt mit bestimmten Körperflüssigkeiten einer infizierten Person übertragen. Diese Körperflüssigkeiten können Blut, Sperma, Vaginalsekret, Rektalsekret und Muttermilch sein.
Die wichtigsten Übertragungswege umfassen: ungeschützter sexueller Kontakt, Kontakt mit infiziertem Blut und von der Mutter zum Kind. Hier bestehen die Risiken während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder während das Kind gestillt wird. Deutlich verringert kann das Risiko einer HIV-Übertragung durch Präventionsmaßnahmen, wie die Verwendung von Kondomen beim Sex, Vermeidung des Austauschs von Spritzen oder Nadeln und der Einsatz von HIV-Therapien bei schwangeren Frauen (Quelle: Deutsche Aidshilfe).
Anfang der 90er-Jahre arbeitet Peter als Hairstylist in Stuttgart. Im Jahr 1992 möchte er in die USA auswandern, da er sich dort als Hair und Make-up-Artist etablieren möchte. Zu diesem Zeitpunkt hat er noch keinen HIV-Test gemacht und möchte dies vor seinem nächsten Lebensabschnitt für sich klären. Er geht in Stuttgart zum Gesundheitsamt. Dort werden schon damals kostenlose und anonymisierte HIV-Tests angeboten. Einen Tag, bevor sein Flug in die USA geht, bekommt er sein Testergebnis, es ist positiv.
„Wenn heute jemand eine HIV-Infektion hat, der muss eigentlich nicht befürchten, dass sich sein Leben dadurch sehr verändert“, sagt Jan. Für Peter steht in den 90er-Jahren fest „Wer HIV bekommt, wird an AIDS sterben.“ Wird die HIV-Infektion nicht behandelt, kann dies zu dem Acquired Immunodeficiency Syndrome (AIDS) führen und schwerwiegende Krankheiten auftreten. Auf Deutsch wird AIDS „Erworbenes Immunschwächesyndrom“ übersetzt. Mit einer frühzeitigen Diagnose und einer wirksamen HIV-Therapie kann der Ausbruch von AIDS verzögert oder sogar verhindert werden. In der HIV-Therapie werden heute mehrere Wirkstoffe kombiniert, die an verschiedenen Stellen der HIV-Vermehrung wirken. Dieser Ansatz wird als Kombinationstherapie bezeichnet. Sie verstärkt die Wirkung der Behandlung und minimiert das Risiko der Resistenzentwicklung des Virus gegenüber den Medikamenten.
Doch damals gibt es noch keine effektive HIV-Therapie und Peters Lebenserwartung liegt bei maximal zehn Jahren. Trotz seiner Diagnose zieht Peter nach Miami. Er lässt sich nicht unterkriegen und beginnt nach seinem Umzug viel Sport zu machen und sich gesund zu ernähren „Ich habe auf einmal angefangen zu kochen, weil ich dachte, ich muss gesund essen und Diäten machen.“ Er arbeitet weiter, bekommt tolle Aufträge als Hair und Make-up-Artist für Fotoshootings und erlebt eine aufregende Zeit. „Ich wollte meine Zielsetzungen schneller erreichen, weil natürlich mein inneres Kind im Prinzip etwas erreichen wollte.“
Bereits 1987 gibt es das erste HIV-Medikament in den USA. Seit 1996 werden bei der Behandlung die Wirkstoffe effektiv miteinander kombiniert.
Genau zu dieser Zeit beginnt es Peter immer schlechter zu gehen. Mitte der 90er lebt und arbeitet er in New York. Er sagt sich immer wieder: „Das schaffe ich, das schaffe ich, ich bin gesund, ich bleib’ gesund, ich werde es schaffen.“ Ab dem achten Jahr seiner zehn erwarteten Lebensjahre erlebt er allerdings einen „körperlichen Downfall“. Er erzählt, dass er mehrfach in Ohnmacht fällt und sich sein Zustand immer weiter verschlechtert. Da er vom amerikanischen Gesundheitssystem nicht viel Hilfe erwarten kann, fliegt er zurück nach Stuttgart und sucht dort einen HIV-Schwerpunktarzt auf. Ab 1998 nimmt er Medikamente gegen HIV und sein Zustand verbessert sich schnell. Mit den Medikamenten, die er regelmäßig aus Deutschland holt, kann er in den USA gut weiterleben.
Anfang 2000 arbeitet er in Europa und ist viel unterwegs. Er weiß nicht, wohin er gehört und entschließt sich wieder zurück nach Stuttgart zu ziehen. Zurück in Deutschland, findet er sich wieder in einen Alltag ein. Doch 2013 erlebt er einen gesundheitlichen Rückschritt. Seine Auftragslage als Hair und Make-up-Artist ist nicht gut und da er für die HIV-Medikamente in Vorkasse geht, kann er sich diese nicht mehr leisten. Er hört auf, sie zu nehmen und sein Zustand verschlechtert sich.
An seinem Körper bilden sich violette und bräunliche Flecken. Diese deuten auf Kaposi-Sarkom hin, eine Form von Hautkrebs, die durch das HHV-8 verursacht werden kann. Es tritt häufig bei Menschen mit einem geschwächten Immunsystem auf, insbesondere bei Personen mit fortgeschrittener HIV-Infektion oder AIDS. Peter verschweigt es, er versucht die Flecken zu überschminken und verlässt immer seltener das Haus.
„Es war das erste Mal, dass ich vor 6 Leuten in Stuttgart gesagt habe. Ich bin HIV-positiv.“
Eines Tages laden seine Freund*innen ihn auf einen Umtrunk ein und sprechen ihn offen auf seinen Zustand an. Bis dato weiß nur seine Familie von seiner Diagnose. Er erzählt ihnen von seiner Erkrankung. „Es war das erste Mal, dass ich vor 6 Leuten in Stuttgart gesagt habe: Ich bin HIV-positiv“. Sie wollen ihm direkt helfen und geben ihm das nötige Geld für die Medikamente, doch die Flecken bleiben. Die Tumore müssen mit einer Chemotherapie bekämpft werden. Ein Kampf, den er gewinnt.
Heute, mit dem Fortschritt der Medizin und einem besseren Verständnis für die Krankheit HIV, ist eine Infektion nicht mehr zwangsläufig ein Todesurteil. Damals wurden Peter noch zehn Jahre zu leben gegeben – heute ist er 58 Jahre alt. Er ist lebensfroh, gesund und hat viele Pläne für die kommenden Jahre. Seine Geschichte ist ein inspirierendes Beispiel dafür, wie ein starker Lebenswille, medizinischer Fortschritt und die Unterstützung des sozialen Umfelds Menschen mit HIV ermöglichen, ein erfülltes und lebenswertes Leben zu führen.