„Wir müssen umstrittene Personen nach unseren heutigen Maßstäben und Wertvorstellungen beurteilen.“
Kolonialdenkmäler - Schandfleck oder Chance?
Tausende von Menschen gehen im Juni 2020 auf die Straßen von Bristol. „Black Lives Matter“ haben sie auf ihre Plakate geschrieben. Einige Demonstrierende versammeln sich schließlich um die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston. Seit 125 Jahren thront er auf seinem mehr als drei Meter hohen Sockel und blickt auf die Menschen herab. Bronzefarben glänzen sein überlebensgroßer Körper und die elegante Bekleidung. Doch Colston verdient diese Ehre nicht, finden die Demonstrierenden. Er steht für das, was sie bekämpfen wollen: rassistische Diskriminierung und Unterdrückung. Sie binden feste Seile um die Statue, zerren sie zu Boden und werfen sie dann in das Hafenbecken.
Schon lange vorher setzten sich Aktivist*innen dafür ein, dass die Colston-Statue entfernt wird. Doch auch eine Petition mit mehr als 11.000 Unterschriften blieb erfolglos.
Die Colston-Statue ist nicht das einzige Denkmal, worüber seit der Antirassismus-Bewegung diskutiert wird. Doch welchen Hintergrund haben die Kolonialdenkmäler, über die wir in Deutschland sprechen?
Die Geschichte des Kolonialismus und seiner Denkmäler
Die deutschen Kolonien wurden ab 1884 unter Reichskanzler Otto von Bismarck erworben. Dazu zählten Teile von Afrika, China und den pazifischen Inseln. Das Ziel war es, die deutsche Wirtschaft mit dem Export von Rohstoffen aus den Kolonien zu stärken. Die Interessen der Einheimischen beachtete man dabei nicht. Vielmehr rechtfertigte man das Handeln mit der rassistischen Vorstellung, die indigenen Völker zivilisieren zu müssen. Das Überlegenheitsgefühl wurde auch in der deutschen Gesellschaft verbreitet: Die Medien „exotisierten" die Kolonialisierten, reduzierten sie auf äußerliche Merkmale und stellten sie zum Beispiel als animalisch dar. Weite Teile der deutschen Bevölkerung glaubten, in den Kolonien leistete man Entwicklungshilfe. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor das Deutsche Reich 1919 seine Kolonien.
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Die meisten Kolonialdenkmäler wurden ab 1900 errichtet, auch nach dem Verlust der Kolonien. Viele Deutsche erinnerten sich damals geradezu nostalgisch an die junge Vergangenheit zurück. Darum wurden auch im Dritten Reich noch Denkmäler für Soldaten deutscher Kolonialtruppen errichtet, die sie als Helden darstellten. Die Ideologie stimmte mit der der Nationalsozialist*innen überein, auch wenn sie nicht vorhatten, die Kolonien zurückzugewinnen.
Die Erinnerungskultur mit Verspätung
Deutschland wies lange Zeit die Schuld an den Gräueltaten in der Kolonialzeit von sich. Nadine Seidu, Leiterin der Erinnerungskultur im Kulturamt Stuttgart, sieht zwei wichtige Gründe dafür, dass die Aufarbeitung des Kolonialismus erst heute stattfindet.
Nachdem viele Jahre die Verbrechen der Nationalsozialisten geleugnet wurden, habe zunächst die Aufarbeitung der Shoah (Holocaust) Raum gebraucht, sagt Seidu. Ein weiterer Grund sei, dass die politischen, ökonomischen und kulturellen Machtverhältnisse des Kolonialismus bis heute fortbestehen.
Dass die Geschichte nun langsam aufgearbeitet wird, hat ebenso vielfältige Gründe. Die Wissenschaft interessierte sich ab 1990 verstärkt für Imperialismus und Kolonialismus. Forscher*innen untersuchten dabei die Erinnerung der Deutschen und der ehemals Kolonialisierten. Dazu kam, dass sich der Völkermord an den namibischen Volksgruppen Herero und Nama (1904 bis 1908) zum 100. Mal jährte und seine Grausamkeit so ins Bewusstsein der Gesellschaft rückte.
Kolonialdenkmäler als Erbe der kolonialen Vergangenheit entdeckte die Studentenbewegung bereits im Jahr 1960. Insbesondere lokale Initiativen setzen sich seitdem für nachhaltige Aufarbeitung ein. Ihr Anliegen bekam seit der Hochkonjunktur der Protestbewegung Black Lives Matter verstärkte Aufmerksamkeit.
Der Umgang mit Kolonialdenkmälern
Wie der richtige Umgang mit Kolonialdenkmälern aussieht, ist wohl deshalb so umstritten, weil die Wahrnehmung der Personen stark auseinandergeht. Otto von Bismarck ist solch eine umstrittene Persönlichkeit: Als Reichskanzler legte er den Grundstein für die Sozialpolitik in Deutschland. Und obwohl er sich lange Zeit gegen den Erwerb von Kolonien aussprach, so richtete er letztendlich doch die Kongokonferenz aus, bei der Afrika unter den europäischen Staaten aufgeteilt wurde. Während manche heute noch Bismarcks Innenpolitik loben und eines der ihm gewidmeten Denkmäler in Hamburg momentan für rund neun Millionen Euro restauriert wird, fordern andere eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Kolonialpolitik.
„Wir müssen uns deshalb umfassend informieren, wen wir mit unseren Denkmälern ehren“, sagt Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Bei problematischen Figuren gehe es darum, sie in ihrem Wirken zu betrachten, findet auch Seidu. Kritiker*innen fehlt diese Auseinandersetzung schon im Schulunterricht. Della ist sich sicher, dass das Weglassen von Teilen der Geschichte kein Zufall ist. Vielmehr erfüllt es den Zweck, sich nicht mit der schmerzhaften Vergangenheit und der deutschen Schuld befassen zu müssen.
Della betont, dass es im nächsten Schritt darum gehe, die Personen nach unseren heutigen Maßstäben und Wertvorstellungen zu beurteilen. Es funktioniert in seinen Augen nicht, die Verbrechen mit dem damaligen ideologischen Zeitgeist zu rechtfertigen.
Denkmal stürzen oder doch lieber kontextualisieren?
Denkmäler werden bereits seit Jahrhunderten in Protesten gestürzt. Zum sogenannten politischen Ikonoklasmus kommt es, wenn sich Aktivist*innen lange für Auseinandersetzung eingesetzt haben und dieser Forderung nie Folge geleistet wird, meint Della. „Dann landet so eine Skulptur halt schließlich im Kanal“, bemerkt er und spielt damit auf das Versenken von Edward Colston an.
Seidu, die vorher als Museumskuratorin gearbeitet hat, möchte Denkmäler als historische Relikte erhalten. „Nur müssen sie nicht unkommentiert mitten in der Stadt stehen“, ergänzt sie.
Kontextualisieren
„Etwas, jemanden durch Einbindung in einen zeitlichen, politischen, ökonomischen, soziokulturellen usw. Kontext interpretieren.“
(Definition von duden.de)
Der Methodenkoffer der Kontextualisierung ist groß und vielfältig. „Erinnerung funktioniert, wenn sie gelebt wird und wenn Leute Lust haben, sich damit auseinanderzusetzen“, findet Seidu. Künstler*innen befassen sich heute mit der Thematik und greifen sie in Street Art oder im Theaterstück auf. Stadtweite Initiativen zeigen koloniale Spuren in digitalen Karten und machen sie so auch für die junge Generation greifbar. Seidu findet es wichtig, dass solche Projekte die Geschichte interaktiv und nicht unantastbar vermitteln.
Die beiden Expert*innen Seidu und Della sind sich einig: In welcher Form man ein Denkmal kontextualisiert ist zweitrangig. Viel wichtiger ist es, mit diesen Projekten zu signalisieren, dass man sich endlich kritisch mit der kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt.
Neue Held*innen
Auch viele Widerstandskämpfer*innen und Vordenker*innen des Antirassismus sind Teil unserer Geschichte, die laut Della nur unvollständig erzählt wird. Deshalb setzt er sich dafür ein, dass wir anstelle der Kolonialherren lieber die Menschen ehren, die sich schon vor mehr als 100 Jahren für Gerechtigkeit und Respekt eingesetzt haben. So wurde vor wenigen Tagen eine Gedenktafel für Joseph Ekwe Bilé in Berlin errichtet, der sich für die Gleichberechtigung von Menschen afrikanischer Herkunft engagierte. Indem man solche neuen Held*innen im kollektiven Bewusstsein verankert und die Spuren des Kolonialismus angemessen behandelt, hat man eine Chance auf sichtbare Aufarbeitung.